Arbeitskampf: Was kein Hurrikan schaffte
In einem Daimler-Werk in North Carolina engagierte sich eine Gruppe kämpferischer ArbeiterInnen und wurde entlassen. Nicht nur das Management will sie kaltstellen - sondern auch die Gewerkschaftsführung. Eine Geschichte aus dem gewerkschaftsfeindlichen «Deep South».
«Was wir hier erleben, ist eine Politik der verbrannten Erde», sagt Robert Whiteside, der entlassene Vorsitzende der Tarifkommission bei der Daimler-Tochter Freightliner. Wer meint, schon alle Gemeinheiten zu kennen, mit denen KapitalistInnen und Gewerkschaftsbürokratie gegen kämpferische BasisgewerkschafterInnen vorgehen, täuscht sich. Er oder sie sollte die Geschichte der Freightliner 5 aus dem Lkw-Werk in Cleveland, North Carolina, kennenlernen.
Cleveland ist eine Kleinstadt im konservativen «Bible Belt» der US-Südstaaten. Dieser ist seit je ein bevorzugter Fluchtpunkt für Auto- und Zulieferunternehmen, wenn sie Produktionsstätten aus den historischen gewerkschaftlichen Hochburgen um Detroit verlagern wollten. Ein überaus schwieriges Pflaster für die Gewerkschaften also.
Früher war Cleveland ein Zentrum der Textilproduktion, doch diese ist längst abgewandert. Übrig bleibt in Cleveland noch das Freightliner-Lkw-Werk der Daimler-Tochter Freightliner, des US-Marktführers, mit heute noch 3000 Beschäftigten. Dazu kommen mehrere Tausend Angestellte in den Betrieben der verschiedenen Zulieferer. Die lokale Ökonomie steht und fällt mit dieser Fabrik.
700 Entlassungen hat es im vergangenen Jahr bereits gegeben. 1500 weitere hat Daimler-Vorstand Bodo Uebber am 16. Mai in der «Stuttgarter Zeitung» angekündigt. Die Profite, die Freightliner abwirft, sind zwar stattlich. Trotzdem müsse in Cleveland die Hälfte der Belegschaft gehen, erklärte Grube, weil die Absatzzahlen nicht so gut seien, wie der Konzern es sich vorgestellt habe. Gleichzeitig baut Freightliner ein neues Werk in Mexiko, das die Produktionskapazität des Werks Cleveland locker übernehmen kann. Stadt und Belegschaft haben also allen Grund, selbst bei wieder anziehendem Lkw-Absatz die komplette Werkschliessung mit allen Konsequenzen für Cleveland und Umgebung zu fürchten.
Doch die wirkliche Gefahr scheint nicht von dieser Unternehmenspolitik auszugehen, sondern von fünf ehemaligen Freightliner-ArbeiterInnen, einer Frau und vier Männern. Glenna Swinford, Robert Whiteside, Allen Bradley, David Crisco und Franklin Torrence wurden am 3. April 2007 fristlos entlassen. Offizielle Begründung: Sie hätten einen wilden Streik angezettelt. Direkter Anlass für den Rausschmiss war, dass der örtliche Gewerkschaftsvorsitzende eine scharfe Kehrtwende vollzog. George Drexel, lokaler Chef der United Automobile, Aerospace and Agricultural Implement Workers of America (UAW), ist ein strammer Republikaner. Nachdem er sie anfänglich unterstützt hatte, entzog er der Aktion der Belegschaft die Legitimität. Damit hat er die örtliche Tarifkomission zum Abschuss freigegeben.
Kämpferische Basismitglieder
Bei Freightliner in Cleveland hatte sich in den neunziger Jahren eine Gruppe engagierter GewerkschafterInnen gefunden, die mit hohem persönlichem Einsatz das Vertrauen ihrer KollegInnen gewinnen konnten. Sie schufen die Voraussetzung dafür, dass die gesamte Belegschaft durch die Gewerkschaft vertreten wurde. Mutig und überzeugt von seiner Sache muss man dort auch wirklich sein - immerhin werden jedes Jahr im Süden der USA rund 20 000 ArbeiterInnen gefeuert, weil sie versuchten, in ihrem Betrieb eine gewerkschaftliche Vertretung zu organisieren.
Der hohe persönliche Einsatz von Bradley, Whiteside, Swinford, Torrence und Crisco wurde auch bei den Gewerkschaftswahlen 2006 honoriert: Sie wurden in die verantwortlichen Gremien gewählt, unter anderem in die Tarifkommission. Der neue Gewerkschaftsvorstand verfolgte einen kämpferischen, der Basis verpflichteten Kurs. Damit geriet er zur Bedrohung für das zentralistische Kontrollbedürfnis der Gewerkschaftsführung.
Im Frühjahr 2007 lief der vier Jahre zuvor abgeschlossene Tarifvertrag aus. In den monatelangen Verhandlungen hatte die Freightliner-Leitung den ArbeiterInnen die kalte Schulter gezeigt. Anfang April verliess sie den Verhandlungstisch und erklärte der Belegschaft, dass es ab sofort keine Krankenversicherung mehr für sie gebe, weil man im tariflosen Zustand sei. Damit war das Mass voll: Streikkomitee und Tarifkommission beschlossen, zu einem Warnstreik aufzurufen - die Friedenspflicht war schliesslich zu Ende, die Geduld auch. Am 2. April gingen die KollegInnen raus und standen Streikposten vor dem Tor. Sogar der firmenloyale Vorsitzende George Drexel kam nicht umhin, seiner streikenden Mitgliedschaft volle Unterstützung zuzusagen.
Dann kam völlig überraschend der Rückzieher: Wenige Stunden nach seiner Solidaritätsbezeugung erklärte Drexel, der Streik sei beendet, weil er nicht vorher von der UAW-Zentrale abgesegnet worden sei. Den Streik öffentlich für illegal zu erklären, hiess, die ungeliebten StreikführerInnen dem Freightliner-Management auszuliefern. Die Entlassung von elf Mitgliedern der Tarifkommission folgte auf dem Fuss. Das Management setzte von Anfang an auf Spaltung und Einschüchterung der Belegschaft. Wenige Tage nach den Entlassungen wurden sechs der elf Mitglieder der Tarifkommission unter skandalösen Bedingungen wieder eingestellt. Sie mussten auf ihr tariflich verbrieftes Reklamationsrecht verzichten, was dem Unternehmen das Recht zur fristlosen Entlassung ohne Begründung und ohne juristisches Risiko gibt. Weiter mussten sie schriftlich erklären, von den anderen fünf aufgehetzt worden zu sein. Einer der erneut Eingestellten wurde inzwischen bereits wieder gefeuert. Ein anderer erlitt einen Nervenzusammenbruch, weil er den erpressten Verrat an seinen Kollegen nicht ertragen konnte.
Statt die eigenen, von der Basis gewählten AktivistInnen zu stützen, arbeiten sich UAW-Bürokratie und Management gegenseitig zu, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen: Die unbequemen Freightliner 5, als VertreterInnen einer Gewerkschaftspolitik, die sich an den Interessen der Mitglieder orientiert statt an den Rentabilitätsinteressen der Autokapitalien, sollen keine Chance mehr haben. GewerkschafterInnen, die in ihrem Betrieb zeigen, dass die Politik der Zugeständnisse, welche die UAW seit Jahren betreibt, durchaus nicht alternativlos ist, sind eine ständige Bedrohung. Deshalb sollen sie in ihrer eigenen Gewerkschaft mundtot gemacht werden - mit allen Mitteln.
Tricks der Gewerkschaftsführung
Dazu werden schon auch mal Regeln gebrochen, die in den Gewerkschaftsstatuten verankert sind. So behalten beispielsweise entlassene Mitglieder ihre Verhandlungsmandate. Doch die UAW-Zentrale verhandelte ohne sie weiter. Ebenso wurde ein Ausschlussverfahren gegen die fünf Entlassenen, das der UAW-Vorsitzende Drexel anstrengte, von einem Schiedsgerichtsgremium für haltlos erklärt. Da liess der Vorsitzende mitteilen, die fünf seien wegen Beitragsrückständen aus den Mitgliederlisten gestrichen. Peinlich war nur, dass die fünf ihre angeblichen Beitragsrückstände sofort und bar im Gewerkschaftshaus einzahlten - und quittiert bekamen.
Mit diesen Praktiken des Vorsitzenden wird sich in Kürze ein US-Bundesrichter zu befassen haben. Nach Ansicht ihrer Anwälte stehen die Chancen gut, dass die Freightliner 5 in dieser Frage Recht bekommen. Doch für die Freightliner 5 wird ein existenzielles Problem immer grösser. Seit fast einem Jahr erhalten sie keinen Lohn, die staatliche Arbeitslosenunterstützung in den USA ist bekanntlich nicht besonders erwähnenswert. Und jeder Cent, den sie von UnterstützerInnen bekommen, wird für ihre Solidaritäts- und Informationskampagne gebraucht.
Der Daimler-Vorstand kalkuliert mit der Angst um den Arbeitsplatz. Mehr als der Hälfte der Belegschaft wurde die Entlassung in Aussicht gestellt: Wer wollte sich da noch für die gefeuerten StreikführerInnen aus dem Fenster lehnen? Eine Kleinstadt in North Carolina ist kein Ort mit klassenkämpferischer Tradition, an dem eine solche Bedrohung spontane Solidarisierung hervorbringen würde. Eher gilt: «Rette sich, wer kann!»
Radikale Blitzableiter
Das Unternehmen und seine SozialpartnerInnen versuchen, der verängstigten Belegschaft und der Öffentlichkeit die angeblichen fünf Radikalen als Blitzableiter anzubieten. So liess das Management am 9. Mai die Fabrik schliessen und schickte die komplette Belegschaft ohne Lohn nach Hause. Die fadenscheinige Begründung war zuerst, dass es Materialmangel gäbe. Dann liess sie das Gerücht streuen, die Fabrik würde aus Sicherheitsgründen geschlossen: Man müsse gewaltsame Übergriffe aufs Werksgelände verhindern. Die Justice4Five-Kampagne habe doch an diesem Tag zu einer Solidaritätskundgebung für die Wiedereinstellung der Freightliner 5 aufgerufen! Glenna Swinford, eine der fünf Entlassenen, sagte an der Kundgebung dazu: «Kein Hurrikan und kein Blizzard haben es jemals geschafft, diese Fabrik auch nur für ein paar Stunden zum Stehen zu bringen. Aber die paar friedlichen Demonstranten sollen allen Ernstes so eine Bedrohung sein, dass man alles dichtmacht, unsern Kollegen den Lohn nimmt und Bundespolizei aufs Werkgelände holt?!»
Dieses Vorgehen macht nicht den Eindruck, Resultat eines überforderten Daimler-Managements im Werk Cleveland zu sein. «Die machen keinen Schritt allein, da führt der grosse Bruder im Vorstand in Stuttgart die Hand», analysiert Robert Whiteside, der entlassene Vorsitzende der Tarifkommission. «Die Fabrik in Cleveland soll über kurz oder lang geschlossen und die Produktion nach Mexiko verlagert werden. In unserer Gegend haben die dann sowieso kein Gesicht mehr zu verlieren. Mit unserem Rausschmiss setzen sie dann noch ein politisches Zeichen und führen den ganzen Südstaaten vor, was passiert, wenn sich hier unten irgendwo einer traut, aufzustehen.»
Zwar gibt es viel Unterstützung für die Freightliner 5 aus allen Ecken der USA und Kanada, auch von ganzen Gewerkschaftsgliederungen. Diese Solidarität reicht jedoch noch nicht aus, und aus der Fabrik in Cleveland selbst braucht Daimler zurzeit kaum Druck zu befürchten. Umso wichtiger ist der Druck am Heimatstandort des Konzerns in Deutschland. Deshalb besucht zurzeit Allen Bradley, einer der Entlassenen, auf Einladung von deutschen KollegInnen verschiedene Daimler-Werke in Deutschland.
Tom Adler ist Mitglied der Gewerkschaft IG Metall und Betriebsrat im Daimler-Werk Untertürkheim bei Stuttgart. Anfang Mai reiste er für die Daimler-Koordination, einen Zusammenschluss kritischer GewerkschafterInnen, zu den KollegInnen in Cleveland.
Daimler
2007, neun Jahre nach der Fusion zu DaimlerChrysler, hat der deutsche Automobilkonzern Daimler die Firma Chrysler an den Investmentfonds Cerberus abgestossen. Doch unabhängig davon ist Daimler in den USA weiterhin vertreten. Neben der Lastwagenmarke Freightliner in North Carolina lässt Daimler Luxusgeländewagen in Alabama produzieren. Seine Lkw-Produktion in den USA verschiebt Daimler nun deutlich nach Mexiko. Für das Pkw-Geschäft, das bislang hauptsächlich in Deutschland stationiert war, sucht der Konzern nach Standorten in Osteuropa.