Hansjörg Walter: «Ich applaudiere nicht»

Nr. 28 –

Ein Gespräch mit dem Thurgauer SVP-Nationalrat und Bauernverband-Präsidenten über SVP-Tendenzen in der SP, Streiks und den neuen Konservativismus.


WOZ: Am Samstag stimmten die SVP-Delegierten über das Referendum gegen die erweiterte Personenfreizügigkeit und die Weiterführung der bilateralen Verträge ab. Stimmten Sie Nein?

Hansjörg Walter: Ich konnte nicht stimmen. Ich war im Ausland. Mit dem Olma-Verwaltungsrat schauten wir uns Kongresshäuser an: An der Stelle der abgebrannten Halle 7 in St. Gallen soll ein Hotel mit Kongresszentrum entstehen. Aber natürlich hätte ich Nein gestimmt. Es hat überhaupt keinen Sinn, gegen die Weiterführung der bilateralen Verträge das Referendum zu ergreifen. Wir wollen uns ja nicht selbst die Bilateralen kündigen. Das wäre verheerend.

Bedauern Sie wie Christoph Blocher, dass die generelle Weiterführung und die Ausdehnung auf Rumänien und Bulgarien miteinander verbunden wurden?

Es wäre einfach korrekt gewesen, wenn das Parlament, wie vom Bundesrat gefordert, die beiden Vorlagen getrennt hätte. Nur der Richtigkeit halber. Denn im Thurgau ist uns ja völlig klar, dass es nur mit der gesamten EU eine Personenfreizügigkeit geben kann. Das weiss übrigens auch Blocher. Zu seinem Entscheid brachten ihn letztlich, da bin ich überzeugt, die Überlegungen gegenüber der Wirtschaft, gegenüber der EU und sicher auch der Umstand, dass er selbst die Erweiterung ausgehandelt hat.

Sie wollen kein Rosinenpicken?

Nein. Und die jetzigen Verträge, die Rumänien betreffen - das kleine Bulgarien ist unbedeutend - wurden sehr gut ausgehandelt: Wir haben Fristen und tiefe Kontingente. Für Letztere kämpfte auch der rumänische Staatspräsident.

Warum denn? Wollen nicht alle Rumänen in die Schweiz?

Die rumänische Regierung hat doch kein Interesse daran, dass all ihre besten Kräfte abwandern.

Ein Fazit des höchsten Schweizer Bauern: Die Personenfreizügigkeit bewährt sich?

Auf jeden Fall. Wir konnten dem wirtschaftlichen Aufschwung entsprechend Arbeitskräfte rekrutieren. In der Landwirtschaft stellen wir hingegen fest, dass es mit der Aufhebung der Kontingente zunehmend schwieriger wird, Personal zu finden. Die Arbeiter ziehen Stellen auf dem Bau vor, vor allem weil sie dort bessere Arbeitszeiten haben. Das sollte sich aber wieder einpendeln. Momentan sind übrigens sehr viele gut ausgebildete Portugiesen in der Landwirtschaft tätig, vor allem im Gemüseanbau.

Geht es Ihnen bei der Kritik an der Verbindung der beiden Vorlagen also einzig um die Stilfrage?

So ist es.

Hat das Referendum eine Chance?

Das Zustandekommen des Referendums schon. Ein Nein an der Urne zur Weiterführung und Erweiterung hingegen nicht.

Apropos Stil: Nehmen Sie es Toni Brunner übel, dass er sich in der Sache der Spaltung als Hardliner präsentierte?

Die ganze Geschichte ist einfach sehr schlecht für uns gelaufen. Das war nicht nur Brunners Fehler. Wir gewannen die Wahlen, dann stürzten wir ab. Wir erkannten den Ernst der Lage nicht. Die Abwahl von Christoph Blocher hat uns enorme Probleme beschert. Das Leittier wurde aus der Herde genommen. Die Frage, die sich momentan aufdrängt, ist: Wie breit wollen wir eigentlich sein?

Das heisst?

Wollen wir eine Zwanzigprozentpartei sein, die einen härteren Kurs fährt? Oder wollen wir eine Dreissigprozentpartei sein, die auf andere Meinungen Rücksicht nimmt?

Und, was wollen wir?

Ich sehe die SVP mitte-rechts positioniert, mit einem Wähleranteil von 35 Prozent. Was auch heisst, dass man in gewissen Fragen Kompromisse eingehen muss. Im Thurgau sind wir mit 42 Prozent staatstragend. Das zeigt, dass wir mit unserer breiten Politik Erfolg haben. Diesen Input wollen wir der Mutterpartei geben. Man kann keine schmale Politik machen, wenn man einen hohen Wähleranteil haben will.

Kommt der Input an?

Er wird zur Kenntnis genommen. Die Bevölkerung reagiert zudem sensibel auf die internen Auseinandersetzungen. Aktuelle Umfragen zeigen: Wir haben massiv Anteile verloren. Das erstaunt mich nicht.

Ihr Thurgauer SVP-Kollege Peter Spuhler sagte, Blocher könnte zur Hypothek für die SVP werden. Sind solche Aussagen geschickt?

Im Thurgau ist es wichtig, dass die Leute merken und sehen, dass wir uns einbringen und selbst positionieren. Ich kann das den anderen Kantonalparteien nur empfehlen. Wichtig ist, dass die SVP Schweiz die kantonalen und regionalen Gepflogenheiten respektiert.

Ist denn die immer neoliberalere SVP nach wie vor die richtige Partei für die Bauern?

Nach wie vor tritt die SVP bei Vorlagen, die die Landwirtschaft betreffen, geschlossen auf. Die Bauern sind eher konservativ ausgerichtet, aber der Bauernverband ist natürlich auch wirtschaftlich orientiert, wir sind angewiesen auf eine florierende Wirtschaft - sie garantiert die Finanzierung der Landwirtschaft. Und nach wie vor punktet die SVP bei den Bauern in der Hauptfrage der Öffnung gegenüber Europa. Eine solche Öffnung hätte für die Bauern verheerende Folgen. Hier haben wir mit der SVP einen guten Verbündeten. Wir sind aber auch auf Allianzen angewiesen mit der CVP, der FDP und den Grünen.

Wo treffen Sie sich mit den Grünen?

Wenn es um Freihandel, Marktöffnung, die Welthandelsorganisation WTO geht. Um das anzufügen: Bezüglich Finanzpolitik sagt die SVP nach wie vor klar, dass die Bauern vom Staat finanziert werden müssen.

Und dass deswegen in diesem Fall Subventionen gerechtfertigt sind ...

Man redet nicht mehr von Subventionen, sondern von Direktzahlungen.

Wie viel kriegen Sie?

Muss ich das sagen? Also gut: Sie können es sich ausrechnen: Wir haben 30 Hektaren Land und bekommen 1040 Franken pro Hektar an allgemeinen Direktzahlungen pro Jahr. Dann gibt es noch Ackerbau- und Rindviehzuschläge.

Über 40000 Franken im Jahr?

Ja. Wir sind darauf angewiesen. Mein Angestellter kriegt 5000 Franken im Monat.

Wird man als bürgerlicher Subventionsempfänger leiser mit dem Ruf nach einem schlanken Staat?

Ich bin ja nicht bei der FDP. Die SVP will die Leistungsfähigkeit des Staates aufrechterhalten, und damit ist klar, dass die staatliche Unterstützung Grenzen hat, sonst gäbe es ja eine riesige Umverteilungsübung. Natürlich beisst sich dieser Grundsatz etwas mit den Zahlungen an die Landwirtschaft, aber man kann diese auch schwer mit dem Rest vergleichen. Das Volk will, dass die Konsumentenpreise nicht zu hoch sind - sie würden ohne Direktzahlungen explodieren.

Apropos Preise: Im Juni streikten die Milchbauern. Sie forderten, dass die Produzentenpreise für Milch erhöht werden. Hatten Sie Verständnis für den Streik?

Ja, das hatte ich. Wir haben in der Schweiz massiv höhere Produktionskosten. Die geforderten sechs Rappen mehr pro Liter decken ja bloss die Mehrkosten. Deswegen wurde die Forderung auch so schnell akzeptiert.

Streik ist also ein legitimes Mittel?

Der Streik zeigte, dass es offenbar ab und zu solche Massnahmen braucht, um eine Solidarität mit der Bevölkerung zu erzwingen. Streik ist natürlich das letzte Mittel. Aber die Solidarität unter den Bauern hat mich erstaunt. Ich hätte nicht gedacht, dass so viele bereit sind, für einige Tage die Milch nicht abzuliefern.

Und Sie streikten auch?

Ich? Nein, ich streikte nicht. Ich habe eine andere Ausgangssituation. Wir produzieren auf unserem Hof Käsereimilch. Beim Streik ging es vor allem um Molkereimilch. Ich spendete aber dem Bauern-Solidaritätsfonds einen Betrag.

Einige Monate zuvor gab es einen aufsehenerregenden Streik in Bellinzona im Werk der SBB Cargo. Den fanden SVP-Exponenten nicht so gut.

Zumindest vor Ort war die politische Solidarisierung parteiübergreifend.

Die Solidarisierung der rechten Splitterparteien mit der SVP wiederum ist seit dem Nein zum Referendum nicht mehr so gross.

Dass an den Rändern Blöcke wegbrechen, wird es immer geben. Die liberalere Ausrichtung der CVP hat uns in deren Hochburgen ja auch enorm Wähler gebracht.

In der Schweiz gibt es jetzt drei grosse Blöcke: Links-Grün. Die Mitte. Die Rechte.

Alles ist in Bewegung. Das ist sehr spannend. Die EU- und EWR-Frage hat das rechte Lager erheblich gestärkt. Aber noch etwas anderes Interessantes ist passiert: Das Traditionelle liegt offenbar wieder im Trend. Wir staunen, wie die Edelweiss-Kampagne des Bauernverbandes gut ankommt. Oder beim Schwingfest: Diese urschweizerische Sportart ist plötzlich ein Publikumserfolg. Sponsoren müssen sich bewerben. Und Schwingerkönig Abderhalden wird Schweizer des Jahres. Renzo Blumenthal, der Biobauer, ist vier Jahre nach seinem Mister-Schweiz-Titel immer noch erfolgreich. Das ländlich-bäuerliche Wertkonservative ist wieder angesagt. Plötzlich finden Erziehungswerte wieder höhere Beachtung. Eine Verschiebung hat stattgefunden - auch in der SP: Das neue Sicherheitspapier hat mit links nicht mehr viel zu tun.

Applaudieren Sie der SP dafür?

Nein, ich applaudiere nicht. Aber mit den jüngeren SP-NationalrätInnen sind in der Partei neue Kräfte am Werk, die merken, dass die Kombination «links sein» und «alles in Frage stellen» nicht mehr so gefragt ist, sondern dass Sicherheit und Bildung die grossen Themen sind. Nationalrätin Chantal Galladé machte es vor: Sie erzielte bei den Ständeratswahlen mit klar rechten Positionen einen beachtlichen Erfolg.

Gehen solche Rechtstendenzen in der SP nicht auf Kosten der SVP?

Wichtig ist, dass die Situation besser wird. Es geht mir nicht darum, Themen zu reservieren. Die Zusammenarbeit mit der Linken in Sicherheitsfragen ist besser geworden: Sie unterstützen vermehrt unsere Forderungen - sowohl im Parlament als auch in den Kommissionen. SP-Nationalrat Daniel Jositsch, der in der Rechtskommission sitzt, vertritt oft Positionen, die klar im Interesse der SVP sind. Man findet sich in der Mitte mit mehrheitsfähigen Positionen.

Oder man findet sich offenbar in SVP-Positionen ...

Die öffentliche Sicherheit scheint ein Thema zu sein, das die Jungen umtreibt. Und es wird in der SP offenbar vor allem von Jüngeren aufgenommen, deren Ansätze und Vorschläge dann in eine ähnliche Richtung zielen wie unsere.

Sie sind ja nicht nur Nationalrat, sondern auch Landwirt. Was treibt eigentlich die Schweizer Bauern um?

Ich bin ja nicht bloss ein einfacher Bauer, als Präsident des Verbandes führe ich 26 Kantonalsektionen. Ich suche den Ausgleich zwischen Berg- und Talbauern, zwischen den Interessen der West- und Ostschweiz, zwischen der Getreide- und der Viehwirtschaft. Grosse Fragen stellen sich in Bezug auf die EU; wie es weitergeht in Sachen WTO und Agrarfreihandel. Ein Agrarfreihandel mit Zollabbau im Milch- und Fleischbereich würde uns massiv treffen: Ich spreche von Einkommensverlusten von vierzig Prozent. Das gilt es zu verhindern.

Der Konservativismus erlebt ein Comeback. Die moderaten Strömungen in der SVP gewinnen an Kraft. Und wenn Renzo Blumenthal als Beispiel genügt, hat sich auch das Image des Bauern etwas verbessert. Sie sind sozusagen der Mann der Stunde. Werden Sie der nächste SVP-Bundesrat?

Müsste es nicht ein Romand sein? Oder eine Frau? Aber vor allem: Gibt es eine Vakanz? Nein. Momentan stellt sich also die Frage nicht. Zudem bin ich sehr zufrieden, so wie es ist. Aber es ist natürlich klar: Die Thurgauer SVP hätte durchaus den einen oder anderen guten Kandidaten.