«Kursbuch» am Ende: Kein Anschluss mehr

Nr. 34 –

Einst war das «Kursbuch» der Kompass des linken intellektuellen Milieus. Es hatte sich schon länger überlebt. Politik und Kultur gehen wieder eigene Wege.


Der Name war ein Meisterstück: eingängig, vertraut, programmatisch, zugleich das Programmatische ironisch unterlaufend. Als Hans Magnus Enzensberger 1965 das «Kursbuch» begründete, war die deutsche Kulturszene dafür reif. Enzensberger erklärte, das Kursbuch schreibe keine Richtungen vor, sondern gebe Verbindungen an. Verbunden wurden vor allem Politik und Kultur, wie es seither kaum je wieder möglich gewesen ist. Die erste Nummer versammelte Samuel Beckett, Uwe Johnson, Claude Simon und Peter Weiss. Die zweite Frantz Fanon und Fidel Castro neben Roland Barthes, Joan Robinson und Carlos Fuentes. So fand das Kursbuch drei- bis viermal pro Jahr aufregende Literatur und scharfe Analysen. Auf Michel Foucault folgte Volker Braun, auf die «Theorie der Automation» (Nr. 8) «Vermutungen über die Revolution» (9).

Ende 1968 erschien die berühmt-berüchtigte Nummer 15, die angeblich den Tod der Literatur verkündete. Das war schon damals ein Missverständnis. Enzensberger wollte die eine Literaturform von allzu hohen politischen Ansprüchen entlasten und die Dokumentarliteratur neu zur Geltung bringen. Tatsächlich kamen im Kursbuch alle wichtigen Intellektuellen der 68er-Ära zu Wort: französischer Strukturalismus und Psychologie ebenso wie Politische Ökonomie und Drittwelttheorien. Einzelne Bände erreichten eine Auflage von 50 000 Exemplaren. Aber die Zeitschrift war nie das Organ einer Bewegung, sondern der linke Flügel eines Milieus, das durch die regenbogenfarbigen Bände der «edition suhrkamp» repräsentiert und zusammengehalten wurde.

Odyssee durch die Verlage

Dabei war die Trennung von Suhrkamp schon 1970 erfolgt, vielleicht im Zorn, womöglich im gegenseitigen Einvernehmen. Zuerst übernahm der Wagenbach-Verlag die Zeitschrift, und als es dort krachte, ging das Kursbuch 1973 zu Rotbuch. 1975 ging auch Enzensberger, zu anderen Projekten - zu verdienstvollen, erfolgreichen («Die Andere Bibliothek») und weniger einsichtigen («TransAtlantik»). Der neue Herausgeber Karl Markus Michel versuchte das Niveau zu halten, war allerdings nicht der gewiefte Verkäufer wie Enzensberger und nicht so hektisch dem Neuen, Modischen auf der Spur. Doch die achtziger Jahre waren ein schwieriges Pflaster - ein Zentralorgan, auch nur ein vermeintliches, brauchte es nicht mehr.

Spagat zwischen Kultur und Politik

Um 1990, nach der Implosion des Staatssozialismus, gab es einen kurzen Aufschwung. Rowohlt übernahm den Vertrieb, die langjährigen Kontakte mit der Opposition in Osteuropa zahlten sich aus. Auf «Abriss der DDR» (101) folgte «Mehr Europa» (102). Es gab interessante Themenhefte wie «Korruption» (120), beliebige wie «Lebensfragen» (128) und modische wie «Neidgesellschaft» (143). Die zwei Notwendigkeiten eines solchen Projekts - drängende Themen und wichtige AutorInnen - waren zusehends schwieriger zu erfüllen.

Das letzte Kapitel begann 2004, als Rowohlt das Kursbuch aufgab. Die Abozahlen waren auf 2400 gefallen, obwohl von einzelnen Heften immer noch gegen 10 000 Exemplare verkauft wurden. Ab 2005 wurde die Zeitschrift von der «Zeit» herausgegeben, man setzte auf ein neues Magazinformat und rekrutierte vor allem verlagseigene AutorInnen. Das konnte nicht gut gehen; die höhere Auflage, die man über die Kioske abzusetzen hoffte, blieb liegen. Das Ende hat etwas Wehleidiges, kleinkrämerisch Aufgeregtes. Herausgeber Tilman Spengler gibt in mürrischen Abschiedsinterviews zu verstehen, dass der Verlag ihn zu wenig unterstützt habe, er aber nicht wisse, wie viele Exemplare das Kursbuch in den letzten Jahren verkauft habe, da er nur für den Inhalt zuständig gewesen sei. Solche Blauäugigkeit darf man einem Herausgeber im 21. Jahrhundert nicht mehr abnehmen.

Soll man die Einstellung des Kursbuchs nostalgisch beklagen? Ich fürchte, man muss es nicht. Als Produkt hatte das Kursbuch jeden Schwung verloren. Was bleibt, sind Nischenprodukte für die zersplitterte Szene. In der Verbindung zwischen Politik und Kultur knackt es mittlerweile ohrenbetäubend.