Suhrkamp: Das Geisterhaus
Klassenbeste habens mitunter nicht leicht. Suhrkamps schwieriger Weg von der «Suhrkamp-Kultur» zu einem gewöhnlichen zeitgenössischen Verlagshaus.
Kein deutschsprachiger Verlag hat in den letzten Jahren am Rande seiner Literaturproduktion immer wieder für solche Schlagzeilen gesorgt wie der Frankfurter Suhrkamp-Verlag. Seit der Verleger Siegfried Unseld 2002 verstorben ist, leitet Witwe Ulla Unseld-Berkéwicz die Geschäfte des einst renommiertesten westdeutschen Verlagshauses. Kein leichtes Unterfangen. Unseld hatte ihr einige überaus ambitionierte Cheflektoren vererbt, dazu ein beratendes und betagtes Expertengremium. Die schöne Witwe und der Stab des alten Königs, das versprach Schwierigkeiten. Und so ist seither weniger von der einst viel gerühmten «Suhrkamp-Kultur» die Rede als von Intrigen und verärgerten Kronprinzen. Etwas gar viel.
Moralisch unanfechtbar
Diesen Sommer hat sich nach zwanzigjähriger Tätigkeit Programmdirektor Rainer Weiss verabschiedet. Zwanzig Jahre - eine lange Zeit und üblicherweise in Chefetagen höchste Zeit für einen Wechsel, sollte man meinen. Doch wie zuvor schon beim Abgang von Verlagsleiter Günter Berg oder der Demissionierung des beratenden Stiftungsrats (in den Hauptrollen: Jürgen Habermas, Hans-Magnus Enzensberger, Alexander Kluge, Adolf Muschg und Wolf Singer) ist das Getöse über die Personalie gross. Die «Frankfurter Rundschau» schreibt von einer «Bombe», die «Welt» von einem «Beben» und der «Tages-Anzeiger» immerhin noch von einer «Zirkusnummer».
Doch der Ruhm und die Ausnahmestellung Suhrkamps sowie die daraus resultierende Aufgeregtheit um Autoren und Mitarbeiterinnen gehören zu einer längst versunkenen Epoche. In den fünfziger und sechziger Jahren galt der gebildete und lesende Mensch noch als ein besonderes Wesen, zumal Autoren und vor allem Suhrkamp-Autoren. Die Krönung dieser zumeist männlichen Spezies lag in der Verbindung des Homo dichterus mit dem staatlichen Universalgelehrten, die berühmte Suhrkamp-Kreuzung von erzählender Poesie und theoretisierender Wissenschaft. Die «Suhrkamp-Kultur» war in der jungen Bundesrepublik durch die programmatisch starke Stellung von Autoren aus dem antifaschistischen Exil wie Theodor W. Adorno, Walter Benjamin oder Bertolt Brecht moralisch unanfechtbar und tatsächlich so etwas wie der geistig-moralische Kompass des «besseren Deutschlands», zumindest des besseren Westdeutschlands. Studierende mit nostalgischer Neigung und dem Hang zur Universalbildung sammelten noch in den achtziger und neunziger Jahren die spektralfarbenen, von Willy Fleckhaus gestalteten Bände aus der edition suhrkamp.
Doch die Entzauberung des alten Wissenschafts- und Kulturbetriebs durch die ausserparlamentarischen Bewegungen hat auch vor Suhrkamp nicht Halt gemacht. Als die libertären Ideen der Studentenbewegung in den siebziger Jahren den Verlag selbst erreichten, wurden die Kollektivler um Lektor Walter Boehlich von Verleger Unseld kurzerhand vor die Tür gesetzt. Der Verlag veröffentlichte aber auch marxistische Autoren, die kapitalismuskritischen Habitus-Studien von Pierre Bourdieu, die französische Postmoderne um Gilles Deleuze, Jacques Derrida, Roland Barthes und Michel Foucault oder die Gender-Theorien von Judith Butler. Im deutschen Sprachbereich garantierte die philosophische Orientierung an Jürgen Habermas eine verfassungskonforme Verankerung des Programms. Im Kampf gegen die angepassten Grossen gründeten viele Intellektuelle aus der Studentenbewegung jedoch ihre eigenen Verlage. Rotbuch, Wagenbach, März, Nautilus oder Roter Stern konnten es durchaus eine Zeit lang mit dem grundsoliden Suhrkamp aufnehmen. Ein wenig erging es dem Verlag damals wie der SPD, die ihrerseits eine ganze Generation an die ausserparlamentarische Bewegung und die Grünen verlor.
Pop- und Hochkultur
Der demokratische Schub, neue Technologien und Kapitalkonzentration haben den Markt seither gründlich verändert. Die Verlagsszene hat sich neu ausgerichtet und mit ihr selbstredend auch Suhrkamp. Der Bedarf an Autoritäten aus den Universitäten ist geschrumpft, die Pop- ist über die Hochkultur hinweggefegt. Die Genres wurden in den letzten zwei Jahrzehnten gründlich gemischt und die Autorenschaft unübersichtlich. Dazu kam in den siebziger Jahren eine vorübergehend erfolgreiche Welle von Buchhandelsneugründungen. Doch wie immer, wenn etwas kurzfristig Erfolg hat, wird es von Kapitalstärkeren gerne kopiert. Die «entideologisierten» Konzerne von heute versuchen vom Kinderbuch über den indischen Roman, der marxistischen Religionskritik bis zum chilenischen Bioweinführer jedes möglicherweise rentable Konsumbedürfnis «abzudecken», mit dem Problem allerdings, dass es die schnell wechselnden Trends schwierig machen, eine unverwechselbare, von aussen gut erkennbare Verlagsidentität aufzubauen.
Und so gedenkt man bei Suhrkamp, weiterhin Massstäbe im Bereich des Beständigen zu setzen. Die Pflege der Back-list, sprich die permanente Neuauflage älterer Titel, steht bei Suhrkamp zum Glück immer noch hoch im Kurs. Nach eigenen Angaben hat der Verlag von Max Frischs «Homo Faber» und «Andorra» seit 1971 jeweils mehr als zwei Millionen Taschenbücher verkauft. Auch von Hermann Hesses «Steppenwolf» und «Siddharta» sollen es im gleichen Zeitraum jeweils mehr als 1,5 Millionen Exemplare gewesen sein. Die Pflege gewisser älterer AutorInnen - und nebenbei die Arbeit am eigenen Mythos - kann also durchaus gewinnbringend ausfallen. «Bibliothek Suhrkamp und edition suhrkamp bilden zusammen die wichtigste deutsche Büchersammlung unserer Zeit», steht selbstbewusst auf der Suhrkamp-Homepage zu lesen.
Suhrkamp ging aus dem S. Fischer Verlag hervor. Nachdem Verlagsgründer Samuel Fischer 1934 gestorben war und Gottfried Bermann Fischer vor den Nationalsozialisten ins Exil flüchten musste, versuchte Peter Suhrkamp ab 1936 als alleiniger Verlagsleiter zu retten, was zu retten war. Von den S.-Fischer-AutorInnen waren nur wenige wie Hermann Hesse von den Nazis nicht verboten worden. 1942 wurde S. Fischer - «gezwungener Massen», wie in der S.-Fischer-Verlagsgeschichte steht - in den Peter Suhrkamp Verlag umbenannt. 1944 wurde Peter Suhrkamp in das Konzentrationslager Sachsenhausen verschleppt.
Fischer oder Suhrkamp
Nach dem Sieg der Alliierten über die Deutschen erlangte Suhrkamp schnell wieder die Publikationszulassung. Bermann Fischer operierte noch einige Zeit vom Ausland aus, Thomas Manns «Doktor Faustus» erschien zum Beispiel 1947 bei Bermann-Fischer/Querido in Amsterdam. Peter Suhrkamp wollte sich dem zurückgekehrten Bermann Fischer nicht mehr als Verleger unterordnen. So beschlossen die beiden Frankfurter Verlage 1950 einen ungewöhnlichen Vergleich. Sie umgingen einen Rechtsstreit und stellten den damals 48 AutorInnen frei, bei wem sie künftig lieber veröffentlichen würden: bei S. Fischer oder Suhrkamp.
Dreissig gingen mit Suhrkamp, unter ihnen Hesse und Brecht, die Rechte anderer namhafter Autoren wie die Thomas Manns oder Alfred Döblins blieben aber beim Stammhaus S. Fischer. Dort erschienen in der Folge literarisch sehr bedeutsame Titel, 1950 unter anderen die Erstausgabe von Franz Kafkas «Der Prozess». Von den beiden führenden Köpfen der Frankfurter Schule sollte Max Horkheimer bei S. Fischer, Theodor W. Adorno bei Suhrkamp veröffentlichen.
Als Siegfried Unseld 1959 nach dem Tod von Peter Suhrkamp die Geschäftsleitung übernahm, repräsentierte der Verlag keine reine Erfolgsgeschichte, schon gar nicht ökonomisch. Heute zur bundesdeutschen Staatsliteratur zählend, mussten Suhrkamp-Autoren wie Uwe Johnson und Wolfgang Koeppen jahrelang subventioniert werden. Zum Wohlergehen in den neunziger Jahren hatten auch schon unter Unseld populärliterarische Bücher wie Isabelle Allendes «Geisterhaus» nicht unwesentlich beigetragen.
Zurzeit bewirbt der Verlag die Werke des Dramatikers Bert Brecht, dessen Todestag sich am 14. August zum fünfzigsten Mal jährt. In der jungen Bundesrepublik war die Herausgabe des in der DDR lebenden «Kommunisten» einst eine heroische Tat. Ebenso für Tradition und Bildung taugt der von Marcel Reich-Ranicki zu verantwortende Kanon der deutschen Literatur. Aktueller Bestseller ist der hunderttausendfach verkaufte Roman «Der Schatten des Windes» von Carlos Ruiz Zafón, der den früheren Aussenminister Joschka Fischer vor Spannung nicht schlafen liess. Der Tratsch belegt: Old Suhrkamp ist längst Teil der unerbittlich ineinander verzahnten Trivial- und Elitärkultur geworden.