Australien: Wir gehen zuerst unter

Nr. 36 –

Noch ist die Nation beeindruckt von ihrem neuen Premierminister. KritikerInnen behaupten nun aber, Kevin Rudds Politik sei dieselbe wie die seines Vorgängers. Jetzt hat Rudd nochmals eine Chance.


Die AustralierInnen hatten Kevin Rudd ja nichts zugetraut. Er galt als unerfahren im Regieren und als Oppositionspolitiker, der so grosse Dinge ankündigte, wie Australiens CO2-Ausstoss um sechzig Prozent reduzieren und die im Irak stationierten Truppen bis Mitte 2008 abziehen zu wollen. Er sei ein Schwätzer, hiess es auf der Strasse, einer, der nur kritisieren könne.

Doch dann wurden die rasant steigenden Hypothekarzinsen und die immer höheren Lebenshaltungskosten zu einem nationalen Problem. Trotzdem behauptete der frühere Premierminister John Howard noch im Wahlkampf letztes Jahr, den AustralierInnen gehe es wirtschaftlich blendend. Viele seiner früheren AnhängerInnen stimmten daraufhin für die Grünen und verhalfen so indirekt der australischen Labor Party zum Sieg.

Der neue Premierminister Rudd machte sich sofort daran, seine Wahlversprechen in die Tat umzusetzen. Als Erstes unterschrieb er das Kioto-Protokoll und setzte damit ein Zeichen für die Klimapolitik. Und obwohl die Mehrheit der Bevölkerung Australiens dagegen war, entschuldigte sich Rudd offiziell bei den UreinwohnerInnen Australiens (vgl. ganz unten).

Irakeinsatz beendet

In einem weiteren Schritte kündigte der neue Immigrationsminister Chris Evans eine humanitärere Einwanderungspolitik an. Temporäre Visa wurden durch permanente Aufenthaltsbewilligungen ersetzt und die Internierungslager auf den Inseln Nauru und Manus aufgelöst (siehe WOZ Nr. 19/08). Zwar hält auch die Labor-Regierung am Grundsatz der Inhaftierung aller illegal Eingereisten fest, doch nun sollen für die Asylsuchenden eine menschenwürdige Unterbringung garantiert, der Zugang zu Rechtshilfe ermöglicht und eine Ombudsstelle eingerichtet werden. Ausserdem führte die Regierung zumindest für anerkannte Flüchtlinge wieder die Unschuldsvermutung ein. Das bedeutet, dass Flüchtlinge nicht inhaftiert werden dürfen, es sei denn, der Staat weist nach, dass sie eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellen.

Im Juni 2008 beendete Rudds Regierung nun tatsächlich den Einsatz der australischen Truppen im Irak, und die letzten der 550 stationierten SoldatInnen konnten heimreisen. Auch die umfassende Revision des Bildungswesens, ein verbesserter Schutz für Beschäftigte und die Unterstützung von Familien mit niedrigem Einkommen wurden von der Bevölkerung gut aufgenommen. Andere Aktionen wie eine geplante Revision des Spitalwesens, die Benzinpreispolitik oder der Einsatz der Marine gegen japanische Walfangschiffe sind hingegen umstritten. Dennoch waren die BürgerInnen von der neuen Regierung beeindruckt. Der Wahlkampfslogan «Kevin07» avancierte gar zum Kosenamen für Rudd.

Umso mehr lassen die jüngsten Vorwürfe von links aufhorchen: Rudd sei ein verkappter Rechter und seine Politik nicht viel anders als die seines Vorgängers. So wird der von Klimaministerin Penny Wong im Juli vorgelegte Klimaplan nicht nur von der Industrie, sondern auch von Grünen und Linken scharf kritisiert. Insbesondere der Plan zur Reduktion von Verschmutzung durch Kohle wird von der linken Wochenzeitung «Green Left» als zu wirtschaftsfreundlich bezeichnet. Er verwässere die Empfehlungen eines von der Regierung in Auftrag gegebenen Berichts und dessen Vorschläge, wie die neue Klimapolitik umgesetzt werden könne.

Raffinierte Strategie

Wong habe in ihrem Plan die Belange der Aluminiumindustrie über Gebühr berücksichtigt, moniert «Green Left». Der Aluminiumsektor ist einer der wichtigsten Industriezweige Australiens - und darf bis 2020 fast so viel CO2 ausstossen wie bisher. Aber auch der Energiesektor, der Gütertransport und die Landwirtschaft können dank Ausnahmebewilligungen so weitermachen wie bisher.

Auf die Frage einer Journalistin, ob das nicht allzu wirtschaftsfreundlich sei, antwortete Wong, dass man ökonomische Übergangshilfen bieten müsse und dass sie den Klimaplan für eine gute Verhandlungsbasis halte. Wirtschaftskreise bezeichnen Rudds Strategie hingegen als raffiniert. Mit anfänglichen Zugeständnissen hole sich die Labor-Regierung die Zustimmung der energieintensiven Industrie. Später könne sie dann Ausstosslimiten festlegen und die Übergangshilfe auslaufen lassen.

Die Industriesektoren, die nicht in den Genuss einer Ausnahmeregelung kommen, warnen, dass im Falle einer Umsetzung des Plans die Lichter ausgingen. Die Regierung betont hingegen, wie dringend eine Reduktion des CO2-Ausstosses sei. Australien leidet bereits seit 2001 unter einer Jahrhundertdürre, und die fruchtbaren Küstengebiete werden vom steigenden Meeresspiegel bedroht.

Das satirische Lied «Howard 2.0», das Rudd als eine aktualisierte Version von John Howard darstellt, hat schon vor den Wahlen letztes Jahr ein unterschwelliges Unbehagen ausgedrückt. Nun bricht es wieder auf. Rudd habe zwar etwas modernere Kommunikationsformen, aber er sei genauso rechts wie sein Vorgänger und von demselben monopolistischen Wirtschaftsystem gesteuert.

Dem muss jedoch entgegengehalten werden, dass Rudd in den ersten Monaten seiner Regierung tatsächlich schon viel geleistet hat. Nun kann er seine Ernsthaftigkeit in Sachen Klimapolitik noch dieses Jahr beweisen, indem er die Verhandlungen mit der Industrie hart und erfolgreich führt und die Grenzwerte für den Ausstoss von Treibhausgasen so tief wie notwendig festlegt.


Grosse Kluft

Im Februar hatte sich Kevin Rudd als erster Premierminister überhaupt medienwirksam für das begangene Unrecht an den UreinwohnerInnen Australiens entschuldigt. Statt einen Entschädigungsfond einzurichten, verpflichtete sich die Regierung, die Situation der UreinwohnerInnen verbessern zu wollen. Dies solle in Zusammenarbeit mit den Gemeinschaften und ohne Einschränkung der finanziellen Mittel geschehen. Der Unterschied in den Lebensbedingungen zwischen UreinwohnerInnen und AustralierInnen ist vergleichbar mit jenem zwischen einer Industrienation und einem Entwicklungsland. UreinwohnerInnen sind zudem häufiger sexueller Gewalt ausgesetzt. Nur wenige absolvieren eine höhere Ausbildung, sie haben eine höhere Geburtenrate, jedoch gleichzeitig eine um 17 Jahre kürzere Lebenserwartung sowie gerade unter Jugendlichen eine sehr hohe Suizidrate. Im ersten Amtsjahr der Rudd-Regierung sollen diese Unterschiede nun halbiert und bis 2030 ganz ausgeglichen werden.