«Fliessende Wasser»: Gebt den Wassern wieder Platz!
«Ein Buch wie eine Werbebroschüre» - normalerweise gilt das nicht als Kompliment. Aber in diesem Fall ist es anders. «Fliessende Wasser» ist wie eine Buch gewordene Werbung für die Initiative «Lebendiges Wasser» der Umweltverbände. Eine überzeugende Werbung. Denn die Fotos darin sind so schön, dass beim Betrachten sofort der Wunsch nach mehr wild und frei fliessenden Gewässern aufkommt.
Der Biologe und Fotograf Jan Ryser verzichtet auf Effekte wie übertriebenes Zoom oder kitschige Farben. Die Landschaften, die er fotografiert hat, haben das gar nicht nötig. Da entspringt ein Bach am Glacier de Tsanfleuron in einer Landschaft, die so weit ist, dass sie eher peruanisch oder patagonisch wirkt als walliserisch. Dann wieder zwängen sich die Wasser durchs enge Gasterental oder die Räblochschlucht, stürzen dramatisch über Felsen, bis sie sich - heute leider nur noch selten - zwischen Kiesbänken in den grösseren Alpentälern ausbreiten können. Die wenigen Flüsse der Alpen, die heute noch im Mittellauf frei fliessen dürfen, etwa der Tagliamento in Friaul, zeigen, was wir verloren haben. Auch Flachland-Stromlandschaften suchen wir in Westeuropa inzwischen vergebens. Faszinierend sind die Bilder, die Ryser in Polen und Ungarn aufgenommen hat: riesige Mäander, Wasserflächen bis zum Horizont, überschwemmte Wiesen, die an asiatische Reisfelder erinnern.
Aber dieses Buch liefert nicht nur Bilder. Raymond Beutler, Geograf und Sekundarlehrer, behandelt im Textteil so ziemlich alles, was in Bezug auf Fliessgewässer von Interesse sein könnte: den Wasserkreislauf, die Hydrogeologie, die Pflanzen- und Tierwelt - vom Karst bis zum Auwald, von der Gletscherzuckmücke (mit dem schönen lateinischen Namen Diamesa steinböcki) bis zum Biber.
Jan Ryser und Raymond Beutler: Fliessende Wasser. Flusslandschaften der Alpen und Mitteleuropas. Haupt Verlag. Bern 2008. 224 Seiten. 58 Franken