TV-Krimiserien: Einfühlen und aufschneiden
Spurensicherung und Gerichtsmedizin prägen im Fernsehen unsere Wahrnehmung von Verbrechen. Die Wissenschaft weiss alles, besonders die einfühlenden FallanalytikerInnen, die ProfilerInnen.
Unlängst hat im US-amerikanischen Fernsehen die neunte Staffel der Krimiserie «CSI: Crime Scene Investigation» begonnen. Ihre Darstellung eines Teams hochkarätiger ErmittlerInnen ist stilbildend geworden mit dem Aufgebot allerneuester technischer Apparate und Verfahren, Slow-Motion- oder Fast-Speed-Aufnahmen und computergenerierten Einblicken in die Struktur von Menschen und Dingen. Scheinbar gegensätzlich steht dazu die Figur des forensischen Psychopathologen, des Profilers, der sich in empathischem Nachvollzug in den Täter oder die Täterin hineinversetzt.
Beide Formen haben ehrwürdige Vorfahren. Sherlock Holmes verkörpert seit 1887 die Figur des wissenschaftlichen Detektivs, der sich der jeweils fortgeschrittensten technischen Hilfsmittel bedient. Die Spuren eines Verbrechens liefern die entscheidenden Hinweise auf den Täter oder die Täterin. Die Dinge sind zuverlässigere Indizien als die Menschen. Als Gegenpol bildete sich der psychologische Kriminalroman heraus. Hier wird mit Gespür und Intuition gearbeitet. G. K. Chestertons unscheinbarer Pater Brown versucht ab 1911, in die Haut des Täters zu schlüpfen, um so herauszufinden, wer die Tat begangen hat.
«Cracker» und «Silent Witness»
Im Fernsehen sind in den letzten fünfzehn Jahren arbeitsteilige Spezialfunktionen bei der Verbrechensermittlung in den Vordergrund gerückt: Leichenbeschau, Spurensicherung und Fallanalyse. Für den Film «Silence of the Lambs» (1990, Jonathan Demme) mit der FBI-Agentin Clarice Sterling, die sich in den kannibalischen Mörder Hannibal Lecter hineindenken soll, liessen sich die FilmemacherInnen von Robert K. Ressler beraten, damals Leiter der Behavioral Analysis Unit des FBI, der Abteilung für Verhaltensforschung. Ressler popularisierte ab Anfang der achtziger Jahre den Begriff des Profilers, des Fallanalytikers. In seinen Büchern versprach er, wie einst Pater Brown, in die Haut der VerbrecherInnen geschlüpft zu sein: «I Have Lived in the Monster» (1997).
Der britische Sender ITV startete 1993 die Serie «Cracker» mit dem Kriminalpsychologen Eddie «Fitz» Fitzgerald (deutsch ab 1996 als «Für alle Fälle Fitz»). Dieser wird von vornherein als beschädigter Held präsentiert: übergewichtig, Kettenraucher, Alkoholiker, untreuer Ehemann. Von den PolizistInnen, denen er helfen soll, wird er mit Misstrauen betrachtet. Er testet die Grenzen konformen Verhaltens und deutet mit seinen Regelverstössen ein Verständnis für das abweichende Verhalten der VerbrecherInnen an. Er kann alles analysieren, über alles reden. Nur das eigene Verhalten hat er nicht im Griff. Dann zeigt sich, dass auch seine Schlussfolgerungen gelegentlich falsch sind, ja, sich verheerend auswirken. In einer Episode führen sie dazu, dass ein Vergewaltiger sein Opfer umbringt. «Cracker» deutet eine Zerrüttung der polizeilich gesicherten Ordnung an. PolizistInnen werden von Gewalt und Korruption zunehmend selbst betroffen.
Dafür übernimmt die Gerichtsmedizin. Forensische Spurensicherung spielt in der Kriminalgeschichte seit langem eine Rolle. Patricia Cornwell schuf 1990 die Gerichtsmedizinerin Kay Scarpetta und liess sie in bislang fünfzehn Kriminalromanen auftreten. Die TV-Serie «Silent Witness» (BBC ab 1996, deutsch ab 2000 als «Gerichtsmedizinerin Dr. Samantha Ryan») seziert mit neuer naturalistischer Sorgfalt; die Kamera rückt nahe ran, zeigt, wie das Skalpell ins kalte Fleisch fährt, wie die Organe entnommen und gewogen, zerlegt und analysiert werden: der Körper als Objekt und Mysterium zugleich. Gerichtsmedizinerin Sam Ryan ist, wie Fitz, die Aussenseiterin, die zuweilen Untersuchungen gegen die polizeilichen Interessen vornimmt, nur der Wissenschaft verpflichtet. Doch anders als Fitz verhält sie sich im Umgang konform. Sie muss sich in einer Männerwelt behaupten, tut das professionell und will ansonsten nicht auffallen: ein eher neoliberales Frauenbild.
«CSI: Crime Scene Investigation» wurde erstmals im Oktober 2000 in den USA von CBS gesendet (deutsch ab 2001 als «CSI: Den Tätern auf der Spur» beziehungsweise «CSI: Tatort Las Vegas»). Zwei Jahre später ist sie bereits die meistbeachtete Serie im US-amerikanischen Fernsehen mit wöchentlich dreissig bis vierzig Millionen ZuschauerInnen. Der Erfolg führte zu Ablegerserien: «CSI: Miami» im Jahr 2002, «Navy CSI» 2003 und «CSI: NY» 2004. Dazu kamen zahlreiche andere Sender, die vom Windschatten von «CSI» profitieren wollten.
Zauberstab DNS
Im Herbst 2006 platzierte der Sender ABC seine Hitshow «Grey’s Anatomy» über junge, begabte und schöne ÄrztInnen in einem Spital in Seattle in direkter Konkurrenz mit «CSI» auf die gleiche Ausstrahlungszeit am Donnerstagabend. Seither machen sich die beiden Sendungen den Rang als beliebteste TV-Serie streitig. Krankheit und Heilen stehen gegen Verbrechen und Aufklären. Schnittmenge beider Sendungen ist der Tod beziehungsweise die Furcht vor ihm. Zugleich thematisieren sie zwei zentrale Krisenbereiche westlicher Gesellschaften: Gesundheitswesen und Kriminalität.
«CSI» bündelt bewährte Verfahren und führt sie zugleich weiter: die privaten Verwicklungen der Beteiligten, die wir von den Seifenopern kennen; ineinander verschachtelte Erzählstränge pro Episode; die Abwechslung zwischen erzählerisch gemächlicher Kameraführung und rasanter Schnitttechnik; die neuen Möglichkeiten der Computeranimation.
Laserlampen und Chemikalien machen unsichtbare Spuren sichtbar, starke Sauggeräte führen der Analyse winzigste Fasern zu, ComputerspezialistInnen graben gelöschte Daten aus. Formal werden Verlangsamung benützt (die fliegende Kugel im Aufprall durch den Körper) oder Beschleunigung (die Untersuchung eines Tatorts im Zeitraffer), Vergrösserung (das Close-up unscheinbarer Wunden) und Verfärbung (die hervorstechende Farbe verräterischer Spuren). Wenn in «Silent Witness» die Gerichtsmedizinerin den Menschen vor der Kamera zerschneidet, so dringt sie in «CSI» mit der Kamera ins Innere ein. Kein Partikel zu klein, um veranschaulicht zu werden. Wie einst der Fingerabdruck den Kriminalroman in seinen Anfängen beflügelte, so ist jetzt der genetische Fingerabdruck durch die DNS-Analyse zum neuen Zauberstab und Allheilmittel geworden. Dies also hält unsere Welt im Innersten zusammen. Dort finden sich keine gesellschaftlichen Prägungen mehr, nur noch die Genetik. Sichtbar wird nicht nur das Innerste, sondern auch das bislang Private: Die Videoüberwachung des öffentlichen Raums wird durchgängig.
Die visualisierten Rekonstruktionen im Lauf der Ermittlungen bieten alternative Erklärungsmöglichkeiten an, von denen sich zum Schluss doch die einzig richtige durchsetzt. Der Jargon über juristische Verfahrensweisen oder neue Apparaturen schrammt knapp an der Verständlichkeit vorbei. Dem Publikum wird die Entwicklung von Eigenkompetenz angeboten, zugleich bleibt die beruhigende Gewissheit, dass die wahre Kompetenz bei den ExpertInnen liegt. In juristischen Fachzeitschriften hat bereits eine Diskussion über den sogenannten «CSI-Effekt» eingesetzt: Geschworene in den USA beginnen, bei ihren Verhandlungen mehr gerichtsmedizinische Hinweise zu verlangen.
«Wire in the Blood»
Der Profiler taucht wieder auf in der britischen Serie «Wire in the Blood». Sie basiert auf Romanen und Figuren der Bestsellerautorin Val McDermid. Die erste Verfilmung mit der Figur des Psychologen Tony Hill strahlt der britische Privatsender ITV im Jahr 2002 aus (deutsch ab 2003 als «Hautnah - Die Methode Hill»); die jüngste Staffel hat im Herbst 2008 begonnen.
Wie Fitz ist Tony Hill, gespielt vom bekannten Schauspieler Robson Green, nicht Mitglied des Polizeiapparats, er kann dessen Grenzen von aussen testen. Aber der Profiler ist auf einen Serientäter angewiesen. Er sucht einen Modus Operandi, die eigentümliche Signatur der Tat, die sich nur in der Wiederholung entschlüsseln lässt. Die Entdeckung der Handschrift wird zur selbst erfüllenden Prophezeiung.
Das serielle Motiv ist überwiegend Sex. Eine zwanghafte Scheckbetrügerin, ein kompulsiver Finanzhai können nicht dieselbe spektakuläre Abfolge von Rechtsverletzungen bieten wie Pädophilie, Vergewaltigung, Sexualmord. Deshalb sind die Strassen des fiktiven englischen Bradfield und die Hügel der Umgebung mit Leichen übersät und mit sexuellen Serientätern überlaufen.
Wenn keine Tat vereinzelt bleibt, so sind doch die TäterInnen einmalig. Jede Handschrift, so verkündet der Profiler, ist anders, entspricht einer speziellen psychischen Verfassung. Damit gerät das Profiling über eine Grenze, die es zugleich von sich weist. Vorsorglich wird behauptet, die Fallanalyse könne nur hilfreiche Hinweise liefern. Dennoch wird letztlich darauf vertraut, genau diese eine Handschrift festnageln zu können. Die Fallanalysen grenzen, wie die Rasterfahndung, die möglichen TäterInnen immer enger ein.
Das Schweigen der Menschen
Wie einst Pater Brown vertraut Tony Hill auf die Empathie. Dazu braucht es das Nachspielen. Wenn ein Täter seine Opfer gefesselt hat, dann kauft Tony die entsprechenden Handschellen, Schnüre, und erprobt an sich die genaue Fesselung, um herauszufinden, welche Emotionen dabei ausgelöst werden. Die Fernsehverfilmungen bedienen sich dazu schneller Bildfolgen, einer sich drehenden, verzerrten Kamera, die halluzinatorischen Sog erzeugt. Die Eindrücklichkeit der Bildsprache bestätigt die Richtigkeit des einfühlenden Profiling.
Sex ist dabei zumeist ein Machtverhältnis. Darin steckt ein Rest an gesellschaftlicher Aufklärung. Tatsächlich aber kommt die Gesellschaft in dieser Psychologie nur noch als Floskel vor: Die TäterInnen sind EinzelgängerInnen, oder es ist ihnen in der Jugend etwas versagt worden. Dagegen gilt alle Faszination dem besonderen psychischen Apparat und seiner Signatur.
Für Spurensicherung und Gerichtsmedizin steht nicht mehr der Täter oder die Täterin, sondern die Tat im Vordergrund. Deren Aufklärung wird der Technologie überantwortet. Die Verdinglichung der Mittel geht mit derjenigen der Opfer einher. Der Mensch wird zerlegt, nicht nur im Wortsinn: Da liegen die toten Bestandteile herum. Die erzeugten Emotionen zerren in eine eindeutige Richtung: Verbrechen sind unvermeidlich. Ständig sind wir von Leichen umgeben. Verbrechen sind aufklärbar. Mithilfe der umfassenden Technologie. Tränen und Emotionen werden von der Verletzung und ihren Ursachen abgespalten, als Chiffren von Gefühlen versachlicht.
Die ProfilerInnen haben anfangs den anderen Weg eingeschlagen, sind aber mittlerweile auch auf den technologischen Pfad eingeschwenkt. Ihre Psychologie schrumpft ein zur hausbackenen Psychotechnik. Angeboten wird Einfühlung als Zirkusakt. Das Serielle erschlägt jede Differenzierung.
Für die SpurensicherInnen steckt im Innersten der Verbrechensaufklärung die untrügliche genetische Programmierung. Auch die eingeschrumpften Motive der ProfilerInnen arbeiten der Standardisierung zu. Die gesellschaftlichen Verhältnisse, sie sind halt so.
Kriminelle Verhältnisse
Der vorliegende Artikel ist eine kondensierte Version eines Beitrags über Profiler und Gerichtsmedizinerinnen in TV-Serien, der in der Nummer 278 der Zeitschrift «Das Argument» zum Jahreswechsel erscheint. Das Heft enthält unter dem Schwerpunkttitel «Kriminelle Verhältnisse» zudem einen Beitrag der Krimiautorin Christine Lehmann über Erfolg und Grenzen von Regionalkrimis; Frigga Haug / Else Laudan analysieren die feministischen Ariadne-Krimis als linkes Kulturprojekt, Peter Uwe Hohendahl schreibt über Gesetz und Gerechtigkeit bei Sara Paretsky, Anne Showstack Sassoon vergleicht Gramsci und Pater Brown, und Thomas Weber schreibt über wenig bekannte Detektive bei Brecht. Mit einer aktuellen Analyse kümmert sich Elmar Altvater zudem um den Realkrimi der Finanzkrise.
Argument 278: «Kriminelle Verhältnisse». Argument-Verlag. Hamburg 2008. 160 Seiten. 21 Franken. www.argument.de