UBS-Deal: Abnicken im Schwitzkasten

Nr. 50 –

Die Bundesversammlung konnte zur UBS-Finanzspritze in Höhe von sechs Milliarden Franken nur noch Ja sagen. Chronologie einer Bankrotterklärung.


«Niemand kann wirklich froh sein über dieses Paket», sagte der Sprecher der Finanzkommission, der grünliberale Martin Bäumle, am Montag gleich zu Beginn der Sondersession über das UBS-Rettungspaket. Das Parlament war zu einer Alibiübung zusammengetreten. Zu entscheiden gab es nichts mehr, denn das Rettungspaket war mit bundesrätlichem Notrecht bereits im Oktober beschlossen worden: Die Sechs-Milliarden-Finanzspritze für die UBS konnte man nur noch abnicken, und die Auslagerung illiquider Papiere im Wert von 54 Milliarden US-Dollar ist gemäss Nationalbankgesetz allein Sache der Nationalbank. Zu diskutieren hätte es allerdings sehr viel gegeben, in erster Linie die Demokratiefrage. Denn spannend war nicht, ob das Parlament das Rettungspaket annimmt oder nicht. Die wichtige Frage lautete: Wie geht das Parlament mit der Aushebelung der Demokratie um?

Finanzkrise? Armeekrise!

Ein kurzer Rückblick: Anfang Oktober, als sowohl JournalistInnen wie auch die meisten ParlamentarierInnen nur über Armeechef Roland Nef, VBS-Vorsteher Samuel Schmid und den desolaten Zustand der Armee reden wollten, forderten SP und Grüne dringend eine Sondersession zur Finanzmarktkrise. Die US-Regierung hatte die Kontrolle über die Hypothekenbanken Fannie Mae und Freddie Mac übernommen, die Investmentbank Lehman Brothers hatte die Bilanz deponieren müssen, der weltgrösste Versicherer AIG stand vor dem Konkurs - es war absehbar, dass auch die Schweiz bald in den Strudel der Krise geraten würde. Der freisinnige Finanzminister Hans-Rudolf Merz lag derweil wegen eines Kreislaufkollapses im Berner Inselspital - just in der Stunde der Krise. Der Linken gelang es zwar, eine Sondersession einzuberufen, die bürgerlichen Parteien allerdings zeigten sich wenig begeistert. Die wirtschaftliche Situation sei gut, hiess es. Und die UBS kündete zu jenem Zeitpunkt noch Gewinne für das dritte Quartal an. Zwei Wochen später mussten Bund und Nationalbank das Rettungspaket für die UBS mit dem beschönigenden Titel «Massnahmen zur Stärkung des Finanzsystems Schweiz» verabschieden - in der Höhe von über sechzig Milliarden Franken, ein Finanzpaket in noch nie gesehener Grösse.

Es folgte eine Welle der Empörung, die jedoch selten über moralinsaure Kritik an den übertriebenen Managergehältern hinausging. Die Krise schien zu gross, das Thema zu komplex, um grundsätzliche Fragen zu stellen. Die Sondersession wurde trotz oder vielleicht gerade wegen der Brisanz der Finanzmarktkrise verschoben und schliesslich auf den Montag zwei Tage vor der Bundesratswahl angesetzt. Die politische Diskussion um den Finanzplatz war damit für Wochen blockiert, sie lief höchstens - sehr personalisiert - über die Medien.

«Überlassen wirs den Märkten»

Die bürgerlichen ParlamentarierInnen verweigerten sich der Debatte auch jetzt, während der Sondersession im Bundeshaus. Augen zu und durch. Die Ratslinke dagegen kämpfte mit dem Mut der Verzweifelten und stellte Antrag um Antrag, während die Bürgerlichen - allen voran die SVP, die kaum im Ratssaal zu sehen war - in Gedanken wohl schon bei den Bundesratswahlen waren und lediglich zu den Abstimmungen in den Saal stürmten, um die Anträge einen nach dem anderen abzulehnen. Nein, nein, nein, möglichst keine Bedingungen an das Rettungspaket knüpfen. Finanzminister Hans-Rudolf Merz: «Bleiben wir dabei, überlassen wir es dem Management, überlassen wir es auch den Märkten.»

Die Demokratiefrage interessierte kaum jemanden, und auch SP-Nationalrat Paul Rechsteiners Erinnerung an Zaccaria Giacometti blieb ungehört. Giacometti, der 1970 verstorbene Staatsrechtler und Hüter der Demokratie, hatte in den dreissiger Jahren die dringlichen Bundesbeschlüsse und das 1939 errichtete Vollmachtenregime kritisiert. In den dreissiger und vierziger Jahren, so schrieb Giacometti, hätten die Bundesbehörden nicht nur aus Zeitnot auf die undemokratischen Vollmachtenbeschlüsse zurückgegriffen, sondern vor allem darum, weil sie negative Volkentscheide fürchteten.

Zehn Jahre später wurde die von Giacometti mitlancierte Volksinitiative «Rückkehr zur direkten Demokratie» angenommen, aus der der Dringlichkeitsartikel in der Bundesverfassung resultierte. Damit kann eine Parlamentsmehrheit heute ein Bundesgesetz verabschieden, das «keinen Aufschub duldet». Es tritt sofort in Kraft, ist aber mit einer Referendumsmöglichkeit versehen und muss befristet sein. Der Bundesrat hätte den Artikel auch heute anwenden und damit den demokratischen Weg wählen können, entschied sich aber lieber für das bequemere Notrecht.

Und so hatten Bundesrat Merz und die UBS diese Woche keinen negativen Volksentscheid zu fürchten - nicht einmal einen negativen Parlamentsentscheid. Der Nationalrat stimmte den sechs Milliarden Franken für die UBS mit 116 gegen 55 Stimmen zu - ein Ergebnis, das stellvertretend steht für die Machtverhältnisse in diesem Land.

Demokratie ausgehebelt

Die Sondersession zum UBS-Rettungspaket war für DemokratInnen ein zynischer Nachtrag zu einem auf Notrecht basierenden Exekutivbeschluss - ein Abnicken im Schwitzkasten, ohne jede Möglichkeit, dagegen anzukämpfen. Wie absurd die Nichtdebatte war, lässt sich am Beispiel von SP-Präsident Christian Levrat zeigen: Er hatte als Aktionär der UBS an der ausserordentlichen Generalversammlung der Grossbank mehr Einflussmöglichkeit als in seiner Funktion als Nationalrat. Denn im Gegensatz zum Parlament hätte das UBS-Aktionariat die Möglichkeit gehabt, das Massnahmenpaket abzulehnen.

Wer nun glaubt, der Griff zum Notrecht sei eine einmalige - unschöne, aber notwendige - Sache gewesen, der täuscht sich. Bundesrat Merz machte klar, dass er nicht ausschliessen könne, bei einer weiteren Notsituation gleich zu handeln. Da mutete es zynisch an, als der Appenzeller sagte, das Geld für die UBS sei noch nicht überwiesen: «Ein Minimum an Respekt vor demokratischen Prozessen verlangt von uns, dass wir heute zunächst einmal diese Auslegeordnung miteinander machen können.»