GPK-Bericht: In keiner Fussnote

Die Anhörungen der UBS-Chefs Marcel Ospel, Peter Kurer und Marcel Rohner fanden im ­Untersuchungsbericht keine Verwendung. Reportage vom PUK-Streit im Bundeshaus.

Es ist wieder Dienstagabend, und Erika Forster lässt vor Zimmer 2 im Bundeshaus warten. Dann tritt die Ständeratspräsidentin mit einer Stunde Verspätung vor die Medien. Forster berichtet von einer «intensiven Diskussion» über einen «minuziösen Bericht». Mit 4 zu 1 Stimmen habe das Ständeratsbüro beschlossen, die Einsetzung einer parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) zur Finanzkrise abzulehnen.
Die zweite Etappe der PUK-Verhinderung endet gleich wie die erste: Zur gleichen Stunde, mit der gleichen Protagonistin, im gleichen Zimmer und mit Verspätung. In der Frühlingssession hatte Forster zusammen mit der Mehrheit ihres Büros, das eigentlich nur für die Organisation des Ratsbetriebes zuständig ist, die Einsetzung einer PUK sistiert. Es war ein inhaltlicher Entscheid, ein politisches Bremsmanöver. Der Nationalrat protestierte heftig, es kam zu einer Aussprache zwischen den Präsidentinnen. Doch FDP-Politikerin Forster hielt im März [2010], weniger stur als berechnend, an ihrem Entscheid fest: Die Geschäftsprüfungskommissionen (GPK) von National- und Ständerat sollten zuerst ihre entsprechende Untersuchung bis am 31. Mai fertigstellen.

Die andere Seite

Am Montag dieser Woche ist es so weit: Der erst am Vorabend von der GPK verabschiedete Bericht ist noch heiss vom Kopieren. Das Interesse der Medien und der Politik an der Präsentation im Medienzentrum ist immens: Brav rapportiert in der hinteren Reihe ein geschniegelter FDP-Jüngling, schon mit einer Art Serviceclubabzeichen am Revers, die Ereignisse in die Parteizentrale.
Nach der Begrüssung fühlt sich SP-Ständerat Claude Janiak als Erstes bemüssigt, einen formaljuristischen Vortrag zu halten, weshalb es nach diesem Bericht keinesfalls eine PUK brauche. Schliesslich sei die parlamentarische Oberaufsicht nur für die Geschäfte der Behörden zuständig – und die UBS, «bitte nehmen Sie das endlich zur Kenntnis», sei nun einmal «eine private Firma». Als ob der Mond nur eine Seite hätte: die Seite, die man sieht. Und als ob es keine Weltraummissionen gegeben hätte, auch die andere Seite zu erkunden. So spricht Janiak, und so ist auch der Bericht abgefasst. Keine Fragen nach den Ursachen der Probleme, keine Frage nach dem Druck der UBS. Die letzte Empfehlung, in die der Bericht mündet, Empfehlung 19, klingt wie ein schlechter Witz: Die GPK fordert den Bundesrat und die UBS auf, Voraussetzungen für eine Untersuchung der bankinternen Vorgänge und mögliche Straf- und Zivilklagen zu schaffen.
Sofort nach der GPK-Präsentation gibt die FDP eine Pressekonferenz. Man begrüsse den «minuziösen» Bericht, heisst­ es im Communiqué. Es ist die gleiche Wortwahl, die später Forster brauchen wird. «Eine PUK ist nicht mehr notwendig», sagt Fraktionschefin Gabi Huber. «Es bleibt die Hoffnung, dass die UBS eine eigene Untersuchung einleitet», sagt Parteipräsident Fulvio Pelli. Glauben Sie daran? –Pelli: «Nein.»
Sicher soll man den GPK-Bericht lesen. Was darin beispielsweise über Finanzminister Hans-Rudolf Merz steht, ist haarsträubend. Zum UBS-Rettungspaket heisst es: «Der Vorsteher des Finanzdepartements hat dieses Dossier allein geleitet und wollte den Bundesrat nicht einbeziehen.» Alles sei unter Kontrolle, es gebe keinen Anlass zur Sorge, habe Merz auf Fragen seiner KollegInnen zur UBS stets geantwortet. Erst nach seinem Kreislaufkollaps im September 2008 erfuhr der Bundesrat, dass überhaupt eine staatliche Stützung geplant war. Nach seiner Rückkehr ins Amt liess sich Merz von seiner Stellvertreterin nicht über den Stand der Dinge informieren. Zum USA-Steuerstreit heisst es: «Der Vorsteher des Finanzdepartements muss sich vorhalten lassen, dass er nicht von Anfang an eine klare Projektorganisation geschaffen hat, was angesichts der politischen Brisanz dringend nötig gewesen wäre.»
Apropos: Zur Entschuldigung der mangelnden Information meinte Merz zur GPK, dass er bereits in seinem Heimatkanton den Konkurs einer Bank bewältigen musste. Dies habe ihn darin bestärkt, dass höchste Geheimhaltung angebracht sei. Merz wartete auch damals, bis­ ihm das Wasser zum Hals stand –­ und verkaufte die Bank unter höchster Ge­heimhaltung an die UBS, was seine Ab­hängigkeit von der Grossbank perfekt machte (siehe WOZ Nr. 49/08).
Merz sass auf allen Problemen und versuchte – in ideologischer Verblendung – sie zu lösen. Seinen Rücktritt fordert im Bundshaus niemand. Fast scheint es, er sei schon zurückgetreten. Eine seltsame Situation.
Der Bericht fördert einige interessante Punkte zutage:
Zur Abhängigkeit: Im März 2007 teilte der Chief Risk Officer der UBS der Eidgenössischen Bankenkommission (später Finanzmarktaufsicht Finma) mit, dass man von der Verschlechterung des US-Hypothekenmarkts sogar profitieren könne. An dieser Information «zweifelte die EBK keine Sekunde». Erst im Nachhinein hat die Finma festgestellt, dass die Daten nicht vollständig waren: Die Fehler lagen in zweistelliger Milliardenhöhe.
Nochmals zur Abhängigkeit: Bei ihrer Untersuchung der Steuerhinterziehung durch die UBS stützte sich die Finma zu stark auf eine bankeigene Untersuchung ab. Überhaupt finden sich zahlreiche Belege, wonach die UBS im Steuerstreit starken Druck auf die Schweizer Behörden ausübte, weil sie eine Anklage ihrer Chefs befürchtete.
Zur Kriminalität: Ein «Non-Paper» des US-Justizministeriums belegt, dass die UBS nicht bloss Steuerbetrug beging, sondern einem «einzigartigen», «grossflächigen» Betrugsschema folgte: Sie animierte ihre KundInnen absichtlich zum Steuerbetrug und machte den US-Steuerbehörden falsche Angaben.
Zur Demokratie: Die Bundesratssitzungen zur UBS wurden von September bis Ende Dezember 2008 nicht protokolliert.
Als Pointe: UBS-Chef Peter Kurer gab die missliche Situation seiner Bank am 21. September 2008 bei einem Arbeitsfrühstück beim damaligen Nationalbank-Vize Philipp Hildebrand zu.

Knackpunkt: Befragungen

Erst auf Nachfrage der WOZ wird am Montag an der GPK-Präsentation bekannt, dass sich Martin Liechti, der ehemalige Chef der UBS-Vermögens­verwaltung in Nord- und Südamerika, für den Bericht nicht befragen lassen wollte. Liechti hatte mit seinen Aus­sagen vor der US-Justiz die Anklage gegen die UBS ermöglicht. Überhaupt sind die Befragungen der eigentliche Knackpunkt der GPK-Untersuchung: Wohl gaben die ehemaligen UBS-Chefs Marcel Ospel, Peter Kurer und Marcel Rohner der GPK Auskunft. Die Drohung einer PUK hatte ihnen Beine gemacht. Erst ihre Aussagebereitschaft legitimierte die GPK-Untersuchung. Doch liest man sich nicht nur durch den 370 Seiten starken Bericht, sondern auch durch alle Fussnoten, welche die Feststellungen belegen, so bemerkt man: Keine einzige Fussnote verweist auf eine Anhörung von Ospel, Kurer oder Rohner! Kurz: Die Anhörungen der UBS-Chefs fanden für den GPK-Bericht gar keine Verwendung. Weil sie nicht zum Thema gehörten, wie gegen Ende des Berichts angedeutet wird? Oder nichts Substanzielles sagten, wie zu hören ist? Wie auch immer, die wichtigste Legitimation des Berichts entfällt.
«Ich habe siebzig Prozent meiner Zeit für Anhörungen verwendet», sagt die Grüne Therese Frösch, die zu der aktiven Hälfte der GPK-Arbeitsgruppe gehört. Für Anhörungen also, die mitunter gar nicht verwendet wurden. Nach der Präsentation des GPK-Berichtes wird bei Diskussionen im Bundeshaus immer wieder angemahnt, dass eine PUK nicht mehr Mittel hat als die GPK. Doch neben dem weit höheren politischen Gewicht kann eine PUK genau dies zusätzlich: Sie kann Zeugeneinvernahmen durchführen. Wenn eine Auskunftsperson falsch aussagt oder grundlos die Aussage verweigert, kann sie strafrechtlich belangt werden. Ausgestattet mit UntersuchungsrichterInnen können die Anhörungen einer PUK Material bringen, das für einen Bericht auch verwendet werden kann.

Die CVP kippt

Die Forderung nach einer PUK kommt, trotz der negativen Empfehlung des Ständeratsbüros, auf jeden Fall in den Nationalrat. Dort dürfte sie eine Mehrheit finden: SP, Grüne und SVP wollen weiterhin zustimmen. Auch die CVP unterstützt bis am Dienstag die Forderung. Auf sie wird es im Ständerat ankommen. Im Vorzimmer des Ständerats sitzt an diesem Morgen CVP-Politiker Eugen David: «Der GPK-Bericht ist gut. Aber wichtige Punkte zu den Verantwortlichkeiten der UBS bleiben offen. Es besteht ein inhaltlicher Bedarf, sie zu klären. Das Parlament sollte die Untersuchung nicht aus den Händen geben.» Für eine PUK spreche auch, dass die AktionärInnen der UBS den Ex-Chefs die Décharge verweigerten. Und letztlich: der spürbare Widerstand gegen eine PUK auch in der Politik.
Am Nachmittag kippt die CVP-Fraktion trotzdem: Im Verhältnis von 2  zu  1 spricht sie sich gegen eine PUK aus. Frak­tionschef Urs Schwaller gibt den Entscheid bekannt: «Die GPK-Mitglieder haben uns glaubhaft versichert, sie hätten die Grenzen der Oberaufsicht ausgereizt.» Dann sagt Schwaller noch, und man muss den Satz in diesem Zusammenhang schon zweimal lesen: «Eine Bank braucht auch Vertrauen.» Eugen David sitzt nach der Sitzung wieder im Vorzimmer und bestätigt, er sei weiterhin für eine PUK. «Für mich ist noch ein zweiter Grund wichtig: Wenn der Nationalrat einer Einsetzung zustimmt, dann möchte ich mich als Ständerat nicht dagegenstellen.» Die Entscheidung liege für ihn sowieso bei der SVP: Zuerst müssten deren Ständeräte zustimmen.

Es bleibt Zeit

Maximilian Reimann, der SVP-Vertreter, war an der Sitzung des Ständeratsbüros nicht dabei. Erika Forster lässt am Dienstagabend aber ausrichten, dass er auch gegen eine PUK gewesen sei. Wie schon das letzte Mal gibt sie sich demokratisch: Durfte damals Pascale Bruderer, SP, die unterlegene Sicht referieren, so ist es jetzt Simonetta Sommaruga, SP: Sie verstehe die Empfehlung 19 der GPK nach einer weiteren Untersuchung als eine Empfehlung für eine PUK, sagt Sommaruga. Diese könne sich auch auf die Abhängigkeiten von der UBS fokussieren. Erika Forster möchte diese lieber erneut durch die GPK klären lassen. «Dann könnten wir mit der Umsetzung der übrigen achtzehn Empfehlungen schon beginnen.» Könnte man das nicht bei einer PUK auch? – Forster: «Ja.» – Entfällt damit nicht das Argument, dass für eine PUK keine Zeit bleibt? – «Ja.»
Am kommenden Mittwoch werden der GPK-Bericht und die PUK im Nationalrat diskutiert. Am Montag darauf kommen die Geschäfte in den Ständerat. PUK-Initiant Paul Rechsteiner hofft auf eine positive Dynamik aus dem Nationalrat: «Es geht weiterhin um das grösste Ereignis der Schweizer Wirtschaftsgeschichte und eine fundamentale Frage zum Funktionieren der Demokratie.»

Doppeltes Risiko

Der GPK-Bericht zeigt, dass die Aufsichtsbehörde Finma in der Früherkennung der Krise gescheitert ist. Er bemängelt den Informationsaustausch zwischen UBS und Finma, der für die tägliche Aufsicht «unzureichend» war. «Die Mängel in den Kontrollsystemen der Banken» seien nicht erkannt worden.
In einem anderen Bereich haben die Kontroll- und Computersysteme der UBS allerdings einwandfrei funktioniert. Nachzulesen ist das nicht im GPK-Bericht, sondern im neuen Buch des Journalisten Lukas Hässig. Er zeichnet darin nach, was der GPK-Bericht vermissen lässt: Die internen Vorgänge bei der UBS – frühzeitige Warnungen, spionageähnliche Methoden, verbrecherische Dreistigkeit.
Ein Lesetipp – auch für ParlamentarierInnen: Lukas Hässig: «Paradies Perdu. Wie die Schweiz das Bankgeheimnis verlor». Hoffmann und Campe. Hamburg 2010. 254 Seiten. Fr. 39.90.