Patti Smith: Plötzlich ein anderer Mensch
Mit seinem ersten Film «Dream of Life» ist dem berühmten Fotografen Steven Sebring ein sensibles Porträt der engagierten Sängerin und Poetin gelungen.
Ein Hauch von Melancholie durchzieht den Film «Dream of Life», der das Leben der Sängerin, Gitarristin, Poetin und Performerin Patti Smith nachzeichnet. Während elf Jahren hat Steven Sebring Smith mit der Filmkamera begleitet, sie privat und in der Öffentlichkeit gefilmt. Die Sequenzen sind nicht chronologisch geschnitten. Smiths Geschichte gewinnt ihre Konturen wie ein Puzzle, bei dem sich die einzelnen Teile langsam zu einem Bild fügen.
Smith wirkt in den oft in körnigem Schwarz-Weiss gedrehten Aufnahmen in sich gekehrt und nachdenklich. Der filmende Sebring bekommt ihre Nervosität kurz vor einem Konzert zu spüren, als sie ihn mit den Worten: «Okay, du kannst jetzt aufhören zu filmen» aus der Garderobe weist. Auf dem kurzen Weg von Backstage auf die Bühne wandelt sie sich zum Bühnentier, wie man Smith von ihren Auftritten kennt. Sie ist entfesselt, klagt an, schreit ihre Wut und Angst in die Welt hinaus, geisselt die von den Bush-Präsidenten über die Welt gebrachten Kriege. Die Ikone des Punk und Rock ’n’ Roll wird zur Predigerin, bei der aus dem Rhythmus der Sprache Musik wird.
Rimbaud, Ginsberg, Burroughs
Die Schallplatte «Dream of Life», eine eher verhaltene Produktion, die 1988, beinahe zehn Jahre nach dem zum Klassiker gewordenen Album «Wave», erschien, wurde als Smiths Comeback bezeichnet. Im ersten Song «People Have the Power» singt sie hoffnungsvoll davon, dass man die Drehungen der Erde verändern kann, wenn man zusammensteht. 1983 kam ihr Sohn Jackson zur Welt, drei Jahre später ihre Tochter Jesse. Ein Foto von Smith, das von Robert Mapplethorpe - einem Freund der ersten Stunde - stammte, zierte das Cover. Der berühmte Fotograf hatte sie schon für ihr Debüt «Horses» von 1975 und für «Wave» vor die Kamera geholt und mit seinen Fotos zur Ikonenhaftigkeit Patti Smith› beigetragen. Ein Jahr später starb Mapplethorpe an Aids.
Nach dem Comebackalbum folgte wieder eine lange Pause. 1990 starb Richard Sohl, der langjährige Keyboarder der Band, vier Jahre später der Gitarrist Fred «Sonic» Smith, mit dem sie seit Anfang der achtziger Jahre verheiratet war.
Steven Sebring, der als Celebrity-Fotograf bekannt wurde, hat Patti Smith 1995 während eines Fotoshootings in Detroit kennengelernt. Sie lud ihn Wochen später zu einem Konzert in New York ein, und langsam entwickelten sie aus einer vagen Idee ein Filmprojekt. Sebring war als Filmer ein Amateur - es war denn auch der experimentelle und unsichere Charakter des Projekts, der Smith reizte. Zunächst drehte Sebring in London, später bei Konzerten in Paris, Tokio, Israel, Neuseeland und immer mehr auch im privaten Rahmen, hinter der Bühne, in Hotelzimmern und bei ihr zu Hause. Smith setzte sich in eine Ecke und begann, von ihrer Liebe zum französischen Dichter Arthur Rimbaud zu erzählen, von ihrer Begegnung mit dem Dramatiker und Schauspieler Sam Shepard, mit dem sie das Theaterstück «Cowboy Mouth» schrieb, und wie aus den Begegnungen mit den Schriftstellern Allan Ginsberg und William S. Burroughs Freundschaften wurden.
Jugend auf dem Land
Man trifft Smith im spiessig und einfach eingerichteten Haus ihrer Eltern, erfährt, dass ihr Vater nach einem Konzert der Tochter auf einem Ohr taub geworden war und die Mutter Kuhfiguren sammelt, weil diese sie an ihre Jugend im ländlichen Amerika erinnern. Sie berichtet aus den Anfängen ihrer Karriere als Musikerin, als sie nicht wusste, wie man eine Gitarre stimmt. Sie bot deshalb ihr wertvolles Stück aus den dreissiger Jahren jedem Musiker zum Ausprobieren an, nur damit sie es frisch gestimmt zurückerhielt.
Das politische Engagement und die Musik von Patti Smith kommen in «Dream of Life» etwas zu kurz, nur selten sind längere Konzertausschnitte zu sehen. Aber Sebring ist trotzdem ein eindrückliches Porträt gelungen. Man erfährt viel von und über die Künstlerin, die liebend gern mit Polaroidfotos ihr Leben dokumentiert, zeichnet, Jackson und Jesse aufzieht, zwischendurch auf der Bühne ein anderer Mensch wird, viel über den Tod nachdenkt und so ihre Freunde ins Leben zurückholt.
«Dream of Life». Regie: Steven Sebring. USA 2008. www.looknow.ch