Isabella Huser: Das Benefizium
Es ist ein seltsames Gefährt, das die LeserInnen in den Dschungel dieser Familiengeschichte lockt: Seine drei hohen Räder sind mit Federn gespickt, als möchte es lieber fliegen. Die Amerikanerin Heather Hughan hat so ein Dreirad von ihrem Grossvater geerbt, der aus Holland in die USA eingewandert war. Da findet sie auf einem Grabstein auf der venezianischen Friedhofsinsel San Michele ein Bild von ebendiesem Gefährt. «In amore» steht darunter, gewidmet Don Teodoro Camelli, verstorben 1875 in Versano. Die Spur ist gelegt.
Isabella Huser beschreibt in ihrem Romandebüt eine spannende Recherche und rollt dabei um die 200 Jahre Sozialgeschichte eines norditalienischen Dorfes auf. Hier wurden materielle Interessen gerne mit moralischen Ansprüchen kaschiert: Das titelgebende Benefizium ist dafür nur ein Beispiel. Es handelt sich dabei um ein Landgut, dessen Nutzen einem Pfarrer zugutekommt, der dafür Seelenmessen liest. Der Stifter eines Benefiziums braucht diese Messen zur Sühne eines Vergehens. Kann die Familie des Pfarrers keinen geweihten Nachfolger vorweisen, wird die Kirche zum Nutzniesser des Gutes.
Bis Heather die komplizierten Vorgänge um «Das Benefizium des Ettore Camelli» entwirrt hat, sind wir mit der Familie Camelli und dem Dorf Versano im Trentino schon sehr vertraut. Huser kann wunderbar erzählen. Sie beschwört die Atmosphäre vergangener Zeiten herauf und lässt Ettore, den Neffen von Teodoro, auch selbst erzählen, wie er 1902 nach Amerika auswandern wollte, aber stattdessen den Dorfladen von Versano übernahm. Auf dem Sterbebett, 1944, zieht sein Leben an Ettore vorbei, die russische Gefangenschaft, seine Ehen, seine Kinder, sein Traum vom Auswandern.
Huser hat selbst einen italienischen Grossvater, aber sie erzählt nicht ihre eigene Familiengeschichte. Obwohl sie jahrelang für den Roman recherchiert hat, ist Heathers Suche Fiktion: erfundene Geschichtsschreibung. Das erinnert an ihren Film «The Making of History» (2002), der der Frage nachging, wie aus einzelnen Ereignissen rückblickend «Geschichte» wird.
Isabella Huser: Das Benefizium des Ettore Camelli. Bilgerverlag. Zürich 2008. 320 Seiten. 38 Franken