Literatur und Faschismus: Als Mussolini Trauzeuge war
Ein von der rechtsextremen Premierministerin entsandter Delegierter sorgt für einen Eklat, doch in aktuellen Büchern zum italienischen Faschismus geht es selten um die Gegenwart: Meloni-Italien ist zu Gast an der Frankfurter Buchmesse.
Warum wird ein junger Mann Faschist? Die Frage stellt Davide Coppo in seinem Roman «Der Morgen gehört uns». Der Mailänder Sportjournalist arbeitet damit auch seine eigene Jugend auf, denn wie sein Protagonist Ettore fühlte er sich als Schüler von den Rechtsextremen angezogen.
Ettore lebt in einem Nest ausserhalb von Mailand, sein Vater ist schweigsam, seine Mutter energisch und emanzipiert, der Sohn empfindet sie als fordernd und gefühlskalt. Mit vierzehn Jahren – man schreibt das Jahr 2001 – sieht Ettore im Unterricht Filme von faschistischen Aufmärschen aus der Mussolini-Diktatur. Er ist fasziniert. «Alles schien zu laufen wie geschmiert, alles bewegte sich in dieselbe Richtung. Eine Welt der Klarheit, ganz ohne Zweifel und Ängste.»
Ettore ist kleiner als seine Altersgenossen, seine Pubertät verzögert sich, er wagt sich nicht an die Mädchen heran, und als er nach Mailand auf ein grosses Gymnasium kommt, fühlt er sich verloren. Ein Mitschüler wirbt ihn für eine rechtsextreme Organisation an. Später wird Ettore an Demonstrationen begeistert seine Hand zum römischen Gruss hochrecken und sich mit politischen Gegnern prügeln; zuerst ist er aber vor allem vom Weltbild der Neofaschisten, von ihrer Deutung der Geschichte fasziniert. Er liest etwa ein Buch über den tschechoslowakischen Studenten Jan Palach, der sich aus Verzweiflung über die Niederschlagung des Prager Frühlings 1969 selbst verbrannte. «Diese Verzweiflung kenne ich auch, sagte ich mir, und fühlte mich Palach nah wie einem Bruder. Zweitens trat hier endlich ein klar benennbarer Gegenspieler auf: der als blutrünstig und herzlos dargestellte Kommunismus.»
Sich den Faschismus erlesen
Warum dieser schüchterne Junge, den zunächst die Lust an der Rebellion zu den Extremisten führt, immer mehr zur Gewalt tendiert und sich am Hass berauscht, wird in Coppos Roman nicht wirklich nachvollziehbar. Nach einer Messerstecherei wird Ettore jedenfalls zu neun Monaten Hausarrest verurteilt. Da ist er noch keine achtzehn Jahre alt und scheint sich zu besinnen, so wie es auch der Autor Davide Coppo tat. Die vielleicht erschreckendste Erkenntnis seines Buchs: «Es stimmt nicht, dass Hass sich durch Lesen und Bildung bekämpfen lässt, wie ich es in den folgenden Jahren oft hören sollte.» Im Gegenteil: Ettore hat sich in den Faschismus eingelesen.
Italien in Frankfurt
«Verwurzelt in der Zukunft» – unter diesem Motto präsentiert sich das Gastland Italien an der diesjährigen Frankfurter Buchmesse, die vom 16. bis zum 20. Oktober stattfindet. Er wolle an der Buchmesse ein komplexes, plurales und lächelndes Gesicht von Italien repräsentieren, erklärte Delegationschef Mauro Mazza und sorgte im Juni für Aufruhr, weil er den Mafiaexperten und Meloni-Kritiker Roberto Saviano aus der offiziellen Delegation ausschloss.
Giorgia Meloni betont immer wieder, dass sie die sogenannte kulturelle Hegemonie der Linken brechen wolle. Viele Leitungspositionen namhafter Kulturinstitutionen hat sie mit Vertretern der extremen Rechten besetzt. Der Fall Saviano sei kein Einzelfall, schreiben denn auch 41 italienische Autor:innen in einem offenen Brief gegen Savianos Ausschluss.
Der Präsident des italienischen Verlegerverbands, Innocenzo Cipolletta, hat sich für den Ausschluss bei der Frankfurter Buchmesse entschuldigt und versprochen, das Thema der Zensur und Einmischung der italienischen Politik in die Kultur in Frankfurt aufs Tapet zu bringen.
Komplizierte Situationen erzeugen Ängste, und wer einfache Lösungen und Feindbilder anbietet, hat gewonnen. So argumentierte Michela Murgia 2018 in ihrem sarkastischen Büchlein «Faschist werden. Eine Anleitung». Die linke Autorin, die im August 2023 ihrem Krebsleiden erlag, hat noch miterlebt, wie in ihrem Heimatland Giorgia Meloni an die Macht kam. Die heutige Ministerpräsidentin Italiens wurde in eben der Jugendorganisation ideologisch sozialisiert, die in Coppos Roman als «Federazione» vorkommt: in der Alleanza Nazionale, deren Nachfolgepartei die rechtsextreme Fratelli d’Italia ist. Meloni greift nicht nur ideologisch immer wieder auf das faschistische Erbe Italiens zurück; sie durchsetzt mit ihren Leuten auch erfolgreich den Kulturbetrieb.
Für Italiens Auftritt als Gastland an der diesjährigen Frankfurter Buchmesse hat Meloni den Journalisten Mauro Mazza als Delegationschef eingesetzt. Dieser hatte für einen Eklat gesorgt, als er meinte, es gebe «originellere Autoren» als den regierungskritischen Roberto Saviano, weshalb Saviano nicht zur offiziellen Delegation Italiens gehören sollte. Nach heftigen Protesten und einem offenen Brief von 41 italienischen Autor:innen musste sich Mazza entschuldigen, und es folgte eine Einladung, die Saviano jedoch ausschlug. Er zieht es vor, als Autor seines deutschen Verlags aufzutreten; bei Hanser erschien das neue Buch über den Mafiajäger Falcone (vgl. «Italien in Frankfurt»).
Wohin mit den jüdischen Geliebten?
Der italienische Faschismus ist in vielen aktuell auf Deutsch erschienenen italienischen Büchern ein Thema, allerdings – Coppo ist da eine Ausnahme – nur der historische Faschismus unter Benito Mussolini. Das gilt auch für das soeben auf Deutsch erschienene Sachbuch «Der perfekte Faschist» der US-Historikerin Victoria de Grazia, in dem sie sich mit einem von dessen wichtigsten Mitstreitern auseinandersetzt. Attilio Teruzzi (1882–1950) meldete sich mit sechzehn Jahren zur Armee, wurde im Ersten Weltkrieg mit mehreren Tapferkeitsmedaillen ausgezeichnet und fand sich 1920 als Major der Reserve in Mailand wieder, mit der Aussicht auf eine schäbige Pension, die von der Inflation aufgefressen würde. Bald schloss er sich den Schwarzhemden, der Schlägertruppe Mussolinis, an. Der Faschismus bot Teruzzi nicht nur Lohn und Brot, sondern gab ihm mit einer Ideologie, die Patriotismus mit imperialem Anspruch verbindet, auch seine Würde zurück.
1926 wurde Attilio Teruzzi Gouverneur der italienischen Kolonie Kyrenaika im östlichen Libyen. Er residierte in Bengasi, an seiner Seite seine junge Ehefrau Lilliana Weinmann, eine US-Amerikanerin jüdischer Herkunft, die nach Italien gekommen war, um Operndiva zu werden. Als glühende Anhängerin des Duce tauschte sie den Glanz der Bühne leichten Herzens gegen den gesellschaftlichen Glanz eines faschistischen Granden – bei der Hochzeit war Mussolini sogar Trauzeuge.
Victoria de Grazia richtet den Fokus in ihrem Buch auf die Verbindungen zwischen Politik und Privatleben. Die Schilderungen der luxuriösen Lebensführung, der Intrigen der Mächtigen sowie der sexuellen Ausschweifungen von Teruzzi, diesem «brünstigen Bullen des Reichs», wie ihn ein italienischer Militärhistoriker später bezeichnete, sind auf Dauer jedoch ermüdend. Spannend wird es beim Thema Antisemitismus. Als Mussolini begann, die deutschen Rassengesetze auch in Italien durchzusetzen, mussten die Männer sehen, wie sie ihre jüdischen Ehefrauen und Geliebten loswurden. Teruzzi hatte schon früher versucht, seine Ehe mit der ihm allzu dominant erscheinenden Amerikanerin zu beenden. Unglücklicherweise hatte Mussolini aber 1929 im Konkordat mit dem Vatikan diesem die absolute Oberhoheit über die Ehe der Italiener:innen zugestanden; seither war sie ein unauflösliches Sakrament.
Während die verstossene Lilliana in die USA zurückkehren konnte, gab es für die Jüdin Yvette Blank keinen Ausweg. Mit ihr hatte Teruzzi eine Tochter, deren Vormund er wurde, während er die Mutter auf die Insel Lipari vor Sizilien verbannen liess. Zusammen mit ihren Mitgefangenen wurde sie nach der Invasion der Alliierten 1943 befreit. Sie kehrte stracks zu Teruzzi zurück und lebte mit ihm am Gardasee in der faschistischen Republik Salò, obwohl sie als Jüdin höchst gefährdet war. Als Teruzzi nach Kriegsende verurteilt wurde und auf der Insel Procida seine Strafe absass, eröffnete Blank dort ein kleines Hotel, damit sie und ihre Tochter ihm nahe sein konnten.
Diese unabdingbare Treue und Unterwürfigkeit Yvette Blanks gegenüber ihrem Mann ist schwer zu ertragen. Gleichzeitig kann sie wohl genau deshalb als perfekte Verkörperung des faschistischen Frauenideals gelten. Warum aber ist Attilio Teruzzi für Autorin Victoria de Grazia der «perfekte Faschist»? Wohl aus denselben Gründen: Der opportunistische Politiker war Mussolini sein Leben lang in Treue verbunden. Er war 1922 beim Marsch auf Rom dabei, nahm stets widerspruchslos alle Ämter an, in die er berufen wurde, und genoss die Privilegien, die sie ihm boten. Seine Gefühlskälte gegenüber Menschen, die nicht das Glück hatten, in der Gnade des Faschismus zu leben, war ihm dabei von grossem Nutzen.
Landschaften, Träume, Kriegsgräuel
Die Zeit des Zweiten Weltkriegs in Italien steht auch im Zentrum zweier älterer und auf verschiedene Weise aussergewöhnlicher Romane, die vor kurzem neu auf Deutsch aufgelegt wurden: «La storia» von Elsa Morante aus dem Jahr 1974 und Curzio Malapartes «La pelle» («Die Haut») aus dem Jahr 1949.
In «La storia» eröffnen die Ereignisse der Weltgeschichte die einzelnen Kapitel, in denen von 1941 bis 1947 jeweils ein Jahr erzählt wird: Was ist geschehen, wer hatte wo Konflikte angezettelt, wer verdiente daran? Knapp und sachlich, aber von antifaschistischem Geist beflügelt, führt Elsa Morante in die historischen Zusammenhänge ein, um sich dann den Geschichten jener Menschen zuzuwenden, die weder triumphieren noch Profite machen.
Im Zentrum des Romans steht die schüchterne Grundschullehrerin Ida Ramundo. 1941 ist sie 37 Jahre alt und verwitwet. Seit in Italien 1938 die Rassengesetze eingeführt wurden, lebt Ida als Tochter einer jüdischen Mutter in grosser Angst. Als ihr vor ihrem Wohnblock ein deutscher Soldat begegnet, erstarrt sie. Er ist sehr jung, betrunken und wäre vielleicht leicht zu verjagen gewesen, aber Ida ist dazu nicht fähig. Sie lässt sich von ihm die Einkäufe in die Wohnung hochtragen und wehrt sich nicht, als er sie vergewaltigt. Er versteht ihre Passivität als Zustimmung. Bevor er geht, repariert er noch einen Stecker und schenkt Ida sein Spezialtaschenmesser.
Diese Anfangsszene irritiert, macht aber gleich klar, dass Morante die Menschen nicht in ein simples Täter-Opfer-Schema pressen will. So wenig wie den deutschen Soldaten stellt sie auch Idas halbwüchsigen Sohn Nino, einen begeisterten Anhänger des Duce, nicht als gefühlloses Monster dar, sondern als vitalen jungen Mann, der vor Tatendrang fast platzt. Ruhelos streift er nachts durch Rom, die Ausgangssperre ignorierend, die wegen der Angriffe der alliierten Flugzeuge verhängt wurde. «Es hätte ihm wirklich gefallen, wenn einer der Piloten auf die Provokation seiner brennenden Zigarette eingegangen und mit seinem Fallschirm direkt vor seinen Füssen gelandet wäre, um Mann gegen Mann zu kämpfen.»
Für den kleinen Giuseppe, der als Folge der Vergewaltigung im Herbst 1941 zur Welt kommt, wird der Bruder zum Befreier. Ida möchte ihren «Bastard» ebenso vor der Welt verbergen wie ihre jüdische Herkunft. Nino hingegen trägt den kleinen Bruder auf den Schultern hinaus auf die Plätze Roms, und so lernt Giuseppe an einem Frühlingstag 1942 die Welt kennen. «Zum ersten Mal in seinem Leben sah er eine Wiese. Und jeder Grashalm schien ihm von innen erleuchtet, als enthielte er einen Faden aus grünem Licht. […] Im klaren Morgenlicht schienen sogar die Wohnblocks rund um den Platz ihre Farben in einem inneren Glanz zu entfalten, der sie wie hohe Burgen versilberte und vergoldete.»
Morante beeindruckt mit ihrer empathischen Figurenzeichnung genauso wie mit der Schilderung von Landschaften, Träumen – und von Kriegsgräueln. Diese setzen vor allem im September 1943 ein, als Rom von der deutschen Armee besetzt und von den Alliierten bombardiert wird. Die Bewohner:innen fliehen aus der Stadt. Ida und ihr kleiner Sohn finden Zuflucht in einer Lagerhalle, zusammen mit vielen anderen Vertriebenen – für das Kind ein Paradies, für seine Mutter ein Horror und für die Autorin Anlass, ein Sammelsurium von Menschen zu beschreiben, die auf vielfältige Weise um ihr Überleben kämpfen.
Nino hat mittlerweile die Seiten gewechselt und ist nun begeisterter Partisan. Aber auch die Widerstandskämpfer werden von Morante nicht verklärt. Ihre Motive sind vielfältig, ihr Vorgehen oft unvorsichtig, die «Kollateralschäden» beträchtlich. Auch nach Kriegsende wird die Situation für die Bevölkerung nicht gleich besser. Die Autorin schreibt die Handlung bis 1947 fort und zeigt, welche Spuren der Krieg in der Psyche der Menschen hinterlässt.
10 000 Jahre Skandal
Elsa Morante (1912–1985) hat den Krieg in Rom erlebt, die schlimmste Zeit allerdings zurückgezogen auf dem Land, denn wie ihr Ehemann Alberto Moravia hatte auch sie einen jüdischen Elternteil. Als erste Frau Italiens wurde sie 1957 für ihren Roman «L’isola di Arturo» mit dem Premio Strega ausgezeichnet. Der Erfolg von «La storia», 1974 erschienen, übertraf alles. Das lag auch daran, dass die Autorin darauf bestand, dass der Verlag den Roman sofort als Taschenbuch herausbrachte. Denn die Menschen, von denen das Buch handelt, sollten es sich auch leisten können.
Die Kritik war allerdings gespalten. 1974 wurde die allwissende Erzählstimme als altmodisch empfunden; auch wurde Morante teilweise Trivialität vorgeworfen. Tatsächlich befremden einige sentimentale Passagen mit sprechenden Tieren. Hier scheint die Kinderbuchautorin durch, als die Morante angefangen hatte. Die linke Presse rügte die antisowjetische Haltung, die in den Chroniken von «La storia» zum Ausdruck kommt. Morante aber verabscheute die Mächtigen unter jeglicher Flagge. Ihr Weltbild war pessimistisch. Auf dem Cover der Erstausgabe stand unter dem Foto eines toten Kindes der Satz: «Ein Skandal, der 10 000 Jahre andauert.»
Den Geschichtspessimismus teilte Curzio Malaparte (1898–1957) mit Morante, aber sonst könnten die beiden Autor:innen unterschiedlicher nicht sein. 1944 schockierte Malaparte die italienische Literaturwelt mit dem Roman «Kaputt». Darin verarbeitete er Kriegsereignisse, vor allem aus Osteuropa, deren Zeuge er als Reporter für den «Corriere della sera» geworden war. Malaparte hiess eigentlich Curt Erich Suckert und wuchs als Sohn eines deutschen Textilingenieurs und einer Mailänderin in Prato in der Toskana auf. Wie Attilio Teruzzi meldete er sich freiwillig zur Armee und wurde nach dem Ersten Weltkrieg Anhänger von Mussolini. In den dreissiger Jahren machte er sich bei den Faschisten unbeliebt und wurde auf die Insel Lipari verbannt. Das diente Malaparte später als Alibi für seine politische Haltung, aber er war beileibe kein Antifaschist: Bald kam er dank seiner Freundschaft mit Galeazzo Ciano, dem Schwiegersohn Mussolinis, wieder frei. Malaparte war auch nicht als neutraler Kriegskorrespondent unterwegs, sondern als Hauptmann der italienischen Armee, auf dem Balkan sogar als Verbindungsmann zur Wehrmacht, wo er auch mithalf, den faschistischen kroatischen Staat aufzubauen.
1943 wurde Malaparte in Neapel vom US-Geheimdienst verhaftet, nach ein paar Tagen aber angeheuert. Seine Beobachtungen in Neapel sind die Grundlage für den Roman «La pelle».Darin stellt der Autor infrage, ob die Landung der Alliierten 1943 in Süditalien wirklich eine «Befreiung» war. Der Ich-Erzähler, der ebenfalls Malaparte heisst, beschreibt mit viel Freude am Detail, wie die hungrigen Neapolitaner:innen ihre Körper und diejenigen ihrer Kinder an US-Soldaten verkaufen. Er selbst ist als Verbindungsmann mit den Siegern gut befreundet, stellt sie aber durchgehend als ignorante, naive Zeitgenossen dar. Ebenso pauschal beklagt er das Schicksal Italiens, dem die Alliierten mit ihrer Eroberung die Chance genommen hätten, sich heldenhaft aus eigener Kraft vom Faschismus und von der deutschen Besatzung zu befreien. Dass die Neapolitaner:innen die deutschen Truppen in einem viertägigen, selbstmörderischen Aufstand aus der Stadt gejagt hatten, erwähnt er zwar, doch bleibt er bei seiner fragwürdigen Deutung der Vorgänge. «Es ist eine Schande, den Krieg zu gewinnen», sagt Malaparte am Ende des Buchs und wirft Siegern wie Besiegten vor, dass sie nicht ihre Seele, sondern nur noch ihre Haut hätten retten wollen.
Ästhetisierung des Schreckens
Sich selbst stellt der Ich-Erzähler Malaparte als Grandseigneur mit umfassender humanistischer Bildung dar, ausserdem als sensiblen Menschen, dem das Leiden anderer so zusetzt, dass er immer wieder in Tränen ausbricht. Der Autor Malaparte spitzt das Grauen allerdings so effekthascherisch wie stilistisch ausgefeilt bis in fantastische Visionen hinein zu, als wollte er Dantes Inferno übertreffen. Diese Ästhetisierung des Schreckens, flankiert von oft zynischen Kommentaren, stösst ebenso ab wie seine verächtliche, pauschalisierende Menschenzeichnung, sei es von Soldaten, von Homosexuellen oder auch der einfachen Leute, die er oft wie Tiere beschreibt. So erlebt er, wie nach einem Bombeneinschlag traumatisierte Menschen in einen Adelspalast eindringen. «Mitten im Saal stand eine Horde zerzauster Frauen, viele halbnackt, aneinandergeklammert, und heulte und stöhnte, mal unter spitzen animalischen Schreien, mal unter heiserem, wilden Jaulen.»
Was Malaparte konsequent ausblendet, ist der Faschismus, vor allem seine eigene Rolle darin. Sein erzählendes Ich scheint über den Fronten zu schweben. Zwar spricht er ablehnend von der Wehrmacht, aber als italienischer Soldat sieht er sich als Patriot. Wenn er in der Ukraine auf lebendig gekreuzigte Juden stösst, schämt er sich «als Christ», aber vom systematischen Morden der Faschisten an ungezählten Jüdinnen und Juden ist nicht die Rede.
«La pelle» erschien schon 1950 auf Deutsch und wurde ein grosser Verkaufserfolg. Das ist verständlich, denn das Buch rückt das Leid aller Kriegsbeteiligten in den Vordergrund, blendet ihre Verantwortung aber aus – eine Haltung, die gut in die deutsche Nachkriegszeit passte. In einer neuen Übersetzung bringt der Rowohlt-Verlag jetzt diesen wortgewaltigen Roman heraus, eingeleitet von Florian Illies, der ihm nicht bloss eine hohe literarische Qualität bescheinigt, sondern auch eine aufrüttelnde Wirkung gegen das Verdrängen von Kriegsgräueln. Das kann man so lesen, aber dass ein grosser Verlag zur diesjährigen Buchmesse mit Meloni-Italien als Ehrengast ausgerechnet dieses fragwürdige Buch neu auflegt, befremdet dann doch.
Umso erfreulicher ist die Neuausgabe von Elsa Morantes Jahrhundertroman. Immer wieder erschüttert dieser durch seine packenden Schilderungen darüber, was der Faschismus mit den Menschen anstellt: wie Ida das verlassene Ghetto in Rom erlebt; wie ein Rückkehrer von der Ostfront angesichts der naiven Kriegsbegeisterung der Menschen verbittert ins Schweigen versinkt; wie ein traumatisierter jüdischer Partisan nach dem Krieg zum Drogensüchtigen wird und die gleichgültigen Römer mit wirren Reden zur Revolution aufrufen will. In dieser «Storia» stecken so viele ergreifende Geschichten.
Davide Coppo: «Der Morgen gehört uns». Aus dem Italienischen von Jan Schönherr. Kjona Verlag. München 2024. 240 Seiten. 35 Franken.
Victoria de Grazia: «Der perfekte Faschist. Eine Geschichte von Liebe, Macht und Gewalt». Aus dem amerikanischen Englisch von Michael Bischoff. Verlag Klaus Wagenbach. Berlin 2024. 512 Seiten. Mit vielen Fotografien. 54 Franken.
Elsa Morante: «La Storia». Aus dem Italienischen von Maja Pflug und Klaudia Ruschkowski. Verlag Klaus Wagenbach Verlag. Berlin 2024. 768 Seiten. 53 Franken.
Curzio Malaparte: «Die Haut». Aus dem Italienischen von Frank Heibert. Rowohlt Verlag. Hamburg 2024. 528 Seiten. 49 Franken.
Michela Murgia: «Faschist werden. Eine Anleitung». Aus dem Italienischen von Julika Brandestini. Verlag Klaus Wagenbach. Berlin 2019. 112 Seiten. 12 Franken.