Weltwirtschaftskrise: Exportkönige vor dem Sturz
Nicht nur der US-Häusermarkt, auch die Spekulation mit Rohwaren, Währungen und Aktien hat die jetzige Krise herbeigeführt. Der Schweiz kommt dabei eine besondere Verantwortung zu, sagt Unctad-Chefökonom Heiner Flassbeck.
WOZ: Am Wochenende haben sich die EU-Staatschefs getroffen, um über die Hilfe für die osteuropäischen Länder zu sprechen. Wie beurteilen Sie das Ergebnis?
Heiner Flassbeck: Es ist mehr als enttäuschend. Die osteuropäischen Länder haben ein gemeinsames Problem: Sie sind massiv in der falschen Währung verschuldet. Das bedroht auch die Banken im Westen. Laut Schätzungen sind dadurch bis zu einer Billion Euro gefährdet. Für diese Situation können die einzelnen Länder nicht alleine verantwortlich gemacht werden. Man hat ihnen den freien Kapitalverkehr regelrecht aufgedrängt, ohne ihnen zu sagen, wie sie ihre Währungsverhältnisse sinnvoll gestalten können. Die einen haben den Kurs ihrer Währung an den Euro gebunden, die anderen lassen ihn frei floaten. Das heisst, der Markt - das Spiel von Angebot und Nachfrage - bestimmt, wie viel ungarische Forint ich etwa für einen Schweizer Franken bekomme. Es hat sich gezeigt, dass weder die Anbindung an den Euro noch das Floaten funktioniert. Schlechter erging es bisher den Ländern mit floatenden Währungen. Durch spekulative Kapitalströme sind sie mit Kapital regelrecht überschwemmt worden. Spekulanten nahmen zum Beispiel in der Schweiz zu niedrigen Zinsen Kapital auf, schafften es nach Ungarn und verliehen es dort zu fünfzehn Prozent. Die Ungarn machten das Umgekehrte: Sie nahmen ihre Hypotheken zu Schweizer Zinssätzen in Franken auf. Allerdings beziehen sie ihre Löhne in Forint. Wenn dieser dann, wie jetzt, plötzlich viel weniger Wert ist, so können sie ihre Frankenschulden nicht mehr bezahlen, gehen Pleite und die Banken mit ihnen.
Wie bedrohlich ist die Lage?
Sehr. Kommt dazu, dass zur Stabilisierung der Wechselkurse falsche Rezepte angewandt werden: hohe Zinsen und Kürzung der Staatsausgaben. Die osteuropäischen Staaten tun also das Gegenteil von dem, was man im Westen macht, um mit der Krise fertig zu werden.
Was ist denn das Problem der osteuropäischen Länder, die ihren Kurs an den Euro gebunden haben?
Ländern wie Bulgarien, Lettland und Estland droht die Wettbewerbsfähigkeit total verloren zu gehen. Wenn die Währungen der Nachbarstaaten abgewertet werden, so können sie mit diesen nicht mehr konkurrieren.
Aber es kommt doch schon Hilfe von aussen, etwa vom Internationalen Währungsfonds IWF ...
... der macht aber einmal mehr die falsche Politik. Er empfiehlt den Ländern, die Zinsen zu erhöhen oder die Haushaltsdefizite zu kürzen. Doch das verschärft die Krise nur. Die Politik des IWF ist nur dazu gedacht, dass die ach so rationalen internationalen Finanzmärkte von der langfristigen Stabilität dieser Länder überzeugt werden können und dass ihre Währung nicht mehr abgewertet wird. Als Folge werde dann wieder Kapital in die Länder fliessen. So eine Politik ist aber vollkommen absurd.
Die Währungspolitik ist ja nur sehr schwer zu verstehen. Welchen Anteil hat sie an der jetzigen Krise?
Die jetzige Weltwirtschaftskrise ist jedenfalls nicht einfach eine Folge der Subprime-Krise in den USA, wo der Häusermarkt zusammenbrach. Sie war der Auslöser, aber die Krise hat sich verselbstständigt. Inzwischen sind auch die Spekulationen mit Rohstoffen, Aktien und Währungen zusammengebrochen. Die Währungsspekulation ist von allen wahrscheinlich die bedeutendste.
Besteht die Gefahr einer Fortsetzung des Dominoeffektes?
Klar. Schon die Abwertungen in Osteuropa führen zu so einem Effekt. Wenn etwa Rumänien stark abwertet, kommt Bulgarien automatisch in Schwierigkeiten. Wir kennen das von der Krise in Lateinamerika vor zehn Jahren. Damals hat eine Abwertung in Brasilien zum Kollaps des Finanzsystems in Argentinien geführt.
Dann müsste die EU ja ein grosses Interesse daran haben, so einen Effekt zu verhindern.
Ja klar. Dass dafür so wenig unternommen wird, zeigt, dass unsere verantwortlichen Politiker noch nicht verstanden haben, worum es hier eigentlich geht.
Woran liegt das? An der Ideologie?
Es herrschen bestimmte alte Dogmen vor. Viele Politiker hängen einem alten, monetaristischen Glauben an: Wenn der Staat zu viel Geld ins System bringe, kommt die Inflation hervorgeschossen. Kommt sie eben nicht!
Hat die Politik der EU und Deutschlands einen grossen Anteil an dieser Krise?
Ja. Die EU hat den völlig falschen Ansatz. Es gibt innerhalb der Eurozone eine viel zu grosse Lücke in der Wettbewerbsfähigkeit. Deutschland hat alle anderen Länder besiegt.
Besiegt?
Durch die Politik des Gürtel-enger-Schnallens hat es sich innerhalb der Eurozone einen riesigen Wettbewerbsvorsprung geschaffen. Die Lohnsenkungen in den vergangenen Jahren haben deutsche Produkte etwa um dreissig Prozent billiger gemacht als vergleichbare Produkte, die in Spanien oder Portugal produziert wurden. Das stellt letztlich die Eurozone infrage. Viele Euroländer müssten eigentlich abwerten können.
Sie waren ja kurze Zeit Staatssekretär im deutschen Finanzministerium unter Oskar Lafontaine. Wäre es mit Ihrer Politik anders gelaufen?
Ja. Wir wollten die Löhne normal erhöhen, den Steuerwettbewerb einschränken und die Finanzmärkte besser kontrollieren. Aber das war alles nicht durchsetzbar. Der wirtschaftspolitische Ansatz Deutschlands - «Wir wollen siegen im Wettbewerb der Nationen» - ist fundamental gescheitert.
Wäre diese Krise nicht eine Chance für einen sozialen und ökologischen Umbau mit viel Geld vom Staat?
Wenn man richtige Sozialdemokraten hätte, vielleicht. Die gibt es aber nicht mehr. Ausser in der Schweiz, da gibt es noch ein paar.
Die Schweiz hat bislang im Vergleich zu anderen Ländern nur ein kleines Antikrisenprogramm beschlossen.
Die Schweiz wird sehr stark von der Krise betroffen werden. Da reicht die aktuelle Geldpolitik alleine nicht. Und über die Finanzpolitik diskutiert man hier gar nicht. Die Schweiz ist das Industrieland mit dem grössten Leistungsbilanzüberschuss in der Welt. Das heisst, die Schweiz exportiert fünfzehn Prozent mehr Waren und Dienstleistungen als sie importiert. Das wird in dieser Krise nicht zu halten sein. Man muss sich fragen: Was ist das neue Modell? Womit will und soll das Land wachsen? Mit den Exporten geht es nicht mehr.
Was ist falsch an einem Leistungsbilanzüberschuss?
Es bedeutet, dass sich andere Länder entsprechend verschulden. Was im einen Land als Überschuss auftaucht, ist im anderen ein Defizit. Die USA, Britannen und Spanien haben über ihre Verhältnisse gelebt. Andere - die Schweiz vorneweg, dann kommen Deutschland, Japan und China - leben unter ihren Verhältnissen. Auf Dauer kann das nicht gut gehen.
Heisst das, die SchweizerInnen müssten mehr konsumieren?
Ja.
Aber es wird doch schon so viel konsumiert?
Es braucht ein Modell, bei dem andere Länder nicht Schulden gegenüber dem eigenen Land auftürmen. Die Schweiz und Deutschland geraten ja nicht von ungefähr so stark in den Strudel der Finanzkrise. Sie haben riesige Forderungen gegenüber den USA. Diese Forderungen gäbe es ja nicht ohne diese riesigen Überschüsse. Jeder Überschuss führt zur Erhöhung des Forderungsbestandes. Wenn das in einem Jahr 40 Milliarden sind - was etwa dem Überschuss der Schweiz entspricht - dann sind das in zehn Jahren aber nicht 400 Milliarden, sondern verzinst schon fast 800 Milliarden. Solche Überschüsse kann sich die Welt einfach nicht leisten. Die verschuldeten Länder müssen entweder ihre Währung abwerten - was gerade passiert - und verlieren dadurch massiv an Kaufkraft, oder sie zahlen ihre Schulden überhaupt nicht zurück, weil sie alle pleite sind.
Was wäre denn die Alternative?
Ganz einfach: Jedes Land kann nur immer so viel produzieren, wie es auch verbraucht. Man hat vielleicht zwei Prozent Wachstum im Jahr, und die muss man auch verbrauchen. Wenn man die verbraucht, dann importiert und exportiert man zwar, aber angepasst an seine Verhältnisse. Dadurch hätte man relativ ausgeglichene aussenwirtschaftliche Verhältnisse. Die Schweiz wird jetzt erleben, wie ihr Überschuss wegschmelzen wird. Die Nachfrage nach ihren Gütern ist am Zusammenbrechen.
Sie sind Direktor in der Uno-Organisation für Handel und Entwicklung Unctad. Dort leiten Sie auch die Taskforce zur Währungsspekulation, Rohwarenspekulation und Finanzregulierung. Was machen Sie da konkret?
Wir wollen derzeit die Zusammenhänge der unterschiedlichen Spekulationen und ihre enge Korrelation aufzeigen. Dann versuchen wir, Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. Die Frage ist, was künftig anders gemacht werden müsste.
Viele Ökonomen und Banker sagen, dass nicht die Spekulation für den rasanten Anstieg der Rohwarenpreise des letzten Jahres verantwortlich sei, sondern die gestiegene Nachfrage.
Wir haben genügend Beweise, die belegen, dass die Finanzmarkttransaktionen eine erhebliche Rolle für den Preisanstieg gespielt haben. So stellten wir fest, dass der Preis für Sojabohnen und der Wechselkurs zwischen Schweizer Franken und Forint in den letzten drei viertel Jahren fast zu hundert Prozent miteinander korrelierten. Dabei hat die Schweiz ja nichts mit Sojabohnen zu tun.
Was heisst das konkret?
Es ist immer das gleiche Spiel: Hedgefonds und Banken setzen auf steigende Aktienkurse, Rohstoffpreise oder Währungen. Man hat Geld aufgenommen, ist dann ins Casino gegangen, hat gespielt und jetzt merkt man, dass dabei nichts rauskam. Dabei hätte man es wissen können. Im Casino ist alles, was irgendwo als Gewinn erscheint, anderswo ein Verlust. Der zeigt sich meist dann, wenn die Spekulation zusammenbricht. Die Folge ist, dass viele Leute schliesslich hohe Schulden haben und die natürlich bedienen müssen. Der ungarische Hausbesitzer und der Schweizer Aktienspekulant haben das gleiche Problem, wenn sie verschuldet sind. Sie müssen, um nicht Pleite zu gehen, etwas verkaufen. Das führt aber nur dazu, dass die Preise von Wertpapieren oder Häusern immer weitersinken. Das ist eine Abwärtsspirale, die nur durch Verschuldung des Staates durchbrochen werden kann.
Um nochmals auf die Rohwaren zurückzukommen: Ein Argument der Banken zur Verteidigung ihres Engagements in diesem Markt war immer, Rohwaren können von den Investoren gar nicht gehortet werden. Deshalb sei die Spekulation nicht preistreibend.
Wenn es nur genügend Nachfrage gibt, geht der Preis automatisch nach oben. Wenn Sie Mais produzieren und jemand bietet Ihnen an, im Herbst die Ernte zu zehn Prozent mehr zu kaufen als im vergangenen Jahr, dann machen Sie das vielleicht. Wenn jetzt aber nicht nur einer kommt, sondern hundert, die alle mehr bezahlen wollen, dann werden Sie wohl den Mais um fünfzig Prozent teurer verkaufen, weil Sie den Preis hochtreiben können. Der Mais muss deswegen nicht gehortet werden. Die Spekulanten kaufen ja immer nur Futures, das heisst ein Recht, den Mais zu einem bestimmten Termin geliefert zu bekommen. Bis dahin haben sie aber schon wieder weiterverkauft.
Sie haben eine neue Geld- und Währungsordnung gefordert. Wie soll denn die aussehen?
Man muss wie im System von Bretton Woods zurückkehren zu einem Währungssystem mit fixen, aber anpassungsfähigen Wechselkursen. Je nach Leistungsfähigkeit der betreffenden Volkswirtschaft müssten die einzelnen Kurse angepasst werden können. Wir arbeiten bei der Unctad einen Vorschlag dazu aus. Mit diesem System sollten die ganz grossen Fehler vermieden werden können.
Aber spekuliert wird weiterhin ...
Immerhin würde es dann die Währungsspekulationen nicht mehr geben.
Aber es herrscht ja fast ein Zwang zu solchen Spekulationen. Die Pensionskassen müssen ja auch irgendwie Renditen einfahren?
Das ist eben eines der Probleme. Hinter vielen spekulierenden Hedgefonds stehen tatsächlich Pensionskassen. Unsere Regierungen haben Systeme konstruiert, die Gelder in Fonds speisen, die um die höchste Rendite konkurrieren. Aber es gibt auf dieser Welt tatsächlich nur 3 Prozent Rendite, wenn alle um 3 Prozent wachsen. Es gibt keine 15 und keine 25 Prozent, wie etwa Josef Ackermann von der Deutschen Bank das anstrebte. Wenn man solche Renditen haben will, geht man entweder ein hohes Risiko ein, oder man macht eine tolle neue Erfindung. Herr Ackermann hat aber nichts erfunden.
Müsste man folglich das Pensionskassensystem überdenken?
Ja. In zwei Wochen erscheint von mir ein neues Buch, in dem ich genau das fordere. Das ganze Rentensystem ist unsinnig. Wir sparen anders als die Eichhörnchen. Wir sparen, indem wir Geld zur Bank tragen und hoffen, dass es jemand von dort nimmt und es wieder ausgibt. Es bleibt physisch nichts vom Geld übrig. Es wird alles ausgegeben. Die Sparer sind in Wirklichkeit Gläubiger.
Gläubiger, die an die Bank oder Pensionskasse glauben?
Genau. Wenn nun aber der Glauben getrogen hat, dann ist die Pension weg. Dann muss der Staat einspringen. Das ist das Perverse an diesem System. Zuerst wird den Leuten eingeredet, sie machen ihre Vorsorge individuell, aber wenn dann alles zusammenkracht, muss der Staat dennoch einspringen. Das Pensionskassensystem funktioniert von vornherein nicht. Die Menschen sind schockiert, wenn ich das sage. Aber es ist so.
Heiner Flassbeck
Der 58-jährige Heiner Flassbeck arbeitet seit November 2000 bei der Uno-Organisation für Handel und Entwicklung Unctad. Seit 2003 leitet er dort den Bereich Globalisierung und Entwicklungsstrategien. Zu Beginn der rot-grünen Regierung in Deutschland von 1998 war Flassbeck Staatssekretär im Finanzministerium unter Oskar Lafontaine. Nach dessen Rücktritt verlor der überzeugte Anhänger der ökonomischen Theorien von John Maynard Keynes jedoch seinen Posten wieder. Heiner Flassbeck hat verschiedene Bücher zur Wirtschaftspolitik veröffentlicht. Sein neustes Buch «Gescheitert. Warum die Politik vor der Wirtschaft kapituliert» erscheint Mitte März im Westend-Verlag.