«Das Gegenteil von Tod»: Die Hochzeit entfällt

Nr. 21 –

Nach «Gomorrha» beschäftigt sich Roberto Saviano auch in seinem neuen Buch mit der Camorra: Zwei reportageartige Erzählungen zeigen eine Wirklichkeit, die in keinem Reisebuch steht.


Es gibt viele dicke Bücher, die man gerne dünner hätte. Hier ist von einem Buch die Rede, das man gerne dicker hätte. Geschrieben wurde es vom Neapolitaner Roberto Saviano, der in diesem Jahr dreissig wird und mit seinem Buch «Gomorrha - Reise in das Reich der Camorra» so berühmt wurde, dass er sich seither nicht mehr frei bewegen kann und ständigen Begleitschutz nötig hat. Die alltägliche Bedrohung nahm nach der Verfilmung seines Bestsellers noch zu.

Zum Beispiel Gaetano

Savianos neues Buch ist ein schmales Bändchen. Es vereinigt zwei Geschichten: «Das Gegenteil von Tod» und «Der Ring». Sie spielen im gesichtslosen Umland von Neapel, einer unsäglich hässlichen, von Armut, Beton, Unkraut und Bauruinen gekennzeichneten Gegend, in der das organisierte Verbrechen, die Camorra - für den Aussenstehenden unsichtbar -, herrscht. Wer hier geboren wird, hat praktisch keine Chance auf ein würdiges Leben.

Junge Männer, die sich nicht von der Mafia vereinnahmen lassen wollen, haben oft nur einen Ausweg: das Militär, genauer: die internationalen militärischen Einsätze, die als «humanitäre Missionen» angepriesen werden: «Die meisten Soldaten für die Missionen stammen aus dem Süden. Mehr als die Hälfte der italienischen Gefallenen ebenfalls. Die Gegend hier ist voller Kriegsheimkehrer. Soldaten, die in Bosnien waren und vorher noch in Moçambique, im Kosovo, in Somalia, im Irak, solche, die schon im Libanon waren oder auf ihren Einsatz dort warten. Soldaten, von denen nur ihr Körper heimgekehrt ist, verbrannt, verstümmelt, zerstückelt.»

Einer, der sich für Afghanistan gemeldet hat, ist Gaetano, 24 Jahre alt. Er hat eine Verlobte, die achtzehnjährige Maria; sie hat sich mit Inbrunst auf die Hochzeit vorbereitet, die dann stattfinden soll, wenn Gaetano heimkehrt. Als er aus Afghanistan zurückkommt, ist er tot. Statt der Hochzeit gibt es eine Beerdigung, an der die anwesenden jungen Männer nicht an der Eucharistie teilnehmen, sondern ihre militärische Erkennungsmarke in die Höhe heben und herumschwingen. Maria behilft sich in ihrer Hilflosigkeit mit der Überzeugung, dass die Liebe «das Gegenteil von Tod» ist, wie es im Lied «Carmela» von Sergio Bruni heisst.

In der zweiten Geschichte geht es um zwei Buben, die auf der Piazza aufwachsen und Opfer der Camorra werden, ohne ihr anzugehören - sie kommen ums Leben, weil sie im falschen Augenblick davongerannt sind und ihnen niemand richtige Hilfe geboten hat. Der Ich-Erzähler bemüht sich am Schluss gar nicht, den Hintergrund der Tragödie einer Bekannten aus Norditalien zu erläutern - sie würde es ohnehin nicht verstehen. Das Elend dieser verarmten, brutal isolierten, abgesonderten Gegend wird sehr deutlich. Und man begreift, weshalb die Mafia hier so leichtes Spiel hat - weil die legale Ordnung praktisch abwesend ist.

Im Schlepptau des Erfolgs

Saviano erzählt in kurzen, knappen Sätzen, mit dichten Bildern, die sich leicht in einen Film umsetzen liessen. Er zeigt uns eine Wirklichkeit, wie sie in keinem Reisebuch und auch nicht in unseren Medienberichten zu finden ist: erlebte Realität einer Welt, die aus angeborener Schuld besteht und aus Hoffnungslosigkeit, unendlich weit weg von der «normalen» Nordhälfte des Landes.

Roberto Savianos Geschichten geben sich wie Skizzen für einen grösseren Text. Auf diesen konnte der Verlag aber offenbar nicht warten. Im Schlepptau des Grosserfolgs von «Gomorrha» musste so rasch wie möglich ein neuer Saviano nachgeschoben werden. Und dieses Buch ist nun da, wie ein hastig gefertigtes Stückwerk. Schade. Die Idee, die «anderen» Opfer der Mafia zu zeigen, in ihrem heimischen Umfeld, ist grossartig. Mit etwas mehr Geduld hätte sich da sicher ein gelungenes Werk ergeben, das mehr wäre als ein dünnes Bändchen.

Roberto Saviano: Das Gegenteil von Tod. Aus dem Italienischen von Friederike Hausmann und Rita Seuss. Carl Hanser Verlag. München 2009. 71 Seiten. Fr. 18.40