Elektrosmog: Im Schatten des Heimatsenders
Seit der Landessender Beromünster nicht mehr strahlt, geht es Mensch und Tier vor Ort besser. Und nicht nur das: Eine neue Studie belegt, dass der Sender während des Zweiten Weltkriegs nicht gar so mutig war wie sein Ruf.
Beromünster» – während Jahrzehnten klang dieser Begriff wie Musik in den Ohren der Deutschschweizer Bevölkerung. Beromünster, das war zugleich Ort wie auch Programm, das war Standort der Sendeanlage für das beliebte Mittelwellenradio in der gleichnamigen Luzerner Gemeinde, und das war Sinnbild für die Inhalte von Radio DRS, bestehend aus Nachrichten, Ländlermusik, Gratulationen und Wunschkonzert. 1931 erbaut und 1937 erweitert, gilt die 215 Meter hohe Hauptantenne heute noch als das höchste Bauwerk der Schweiz. Und die Anlage strahlte lange Zeit mit einer so gewaltigen Potenz ins Land hinaus, dass selbst die Bergbauern im entlegensten Seitental beim Melken DRS hören konnten, wenn sie ihr Transistorradio auf der Frequenz MW 531 eingestellt hatten.
In der Zeit des Zweiten Weltkriegs sendete Beromünster mit einer Leistung von 100 Kilowatt und konnte damit auch in Deutschland und praktisch in ganz Europa gehört werden. In manchen Gebieten des Deutschen Reichs sei der Schweizer Sender sogar «besser zu empfangen gewesen als der Reichssender Stuttgart», wie der deutsche Historiker Michael P. Hensle in einer Studie über das Hören von «Feindessendern» im Nationalsozialismus nachgewiesen hat. In jener Zeit erwarb sich Beromünster den Ruf, kritisch und unabhängig zu sein; die Radiostation genoss gerade im Ausland hohes Ansehen. Im Inland diente sie vorab der Geistigen Landesverteidigung: Das Radio als damaliges Leitmedium wurde auf eine strikt regierungstreue Berichterstattung verpflichtet und brachte massenweise rührige Heimat- und Militärsendungen.
Die DDR funkt dazwischen
Im Mai 1969 erhielt Beromünster einen neuen Sender mit einer Leistung von 500 Kilowatt, denn ausländische Stationen hatten das Schweizer Produkt immer wieder gestört – insbesondere Radios aus der DDR und aus Nordafrika. Die PTT intervenierten vergeblich bei den Missetätern: «War die Beeinträchtigung des Empfangs durch den Sender Schwerin (DDR) schon erheblich», hielt der Bundesbetrieb damals fest, «so verschlimmerten sich die Verhältnisse entscheidend, als der algerische Sender Ain Beida seine Emissionen im Jahr 1966 genau auf der Beromünsterfrequenz aufnahm». Mit dem 500-Kilowatt-Sender konnten die Eidgenossen die fremden Störer mühelos übertönen. 1994 wurde die Leistung weiter ausgebaut auf 600 Kilowatt, doch wegen verschärfter Grenzwerte für Elektrosmog musste sie nach der Jahrtausendwende wieder auf rund 200 Kilowatt gedrosselt werden.
Heute ist das alles Schall und Rauch. Wer durchs 2580 EinwohnerInnen zählende Dorf fährt, erblickt am Horizont zwar noch den riesigen Hauptturm mit dem kleineren Reserveturm und den weitläufigen Anlagen; gesendet wird hier aber längst nicht mehr. Am 28. Dezember 2008 legte Radio DRS den Sender Beromünster definitiv still, nachdem er am Schluss mit der «Musigwälle 531» nur noch rund 300 000 NostalgikerInnen erreicht hatte. Denn einerseits hatten UKW-Empfang, Kabel-, Satelliten- und Internetradio die Mittelwelle abgelöst, andererseits hatte ein Blitz die Anlagen stark beschädigt, so dass kostspielige Sanierungen nötig gewesen wären, was sich aber nicht mehr lohnte. Also trommelte Radio DRS im Oktober 2008 Bevölkerung und Prominenz zu einem zweitägigen Abschiedsfest zusammen; 15 000 Personen kamen, es gab Feldkost aus der Militärküche, eine Ausstellung alter Radiogeräte und viel volkstümliche Musik. Schlagerkönigin Maja Brunner trällerte das eigens für den Anlass komponierte «Läb wohl, liebs Beromünster» ins Mikrofon und spendete Trost für die Zukunft: «Tuets auch chli weh, mir gönd jetzt mit de neue Ziit.»
Dreimal duschen pro Nacht
Den AnwohnerInnen der Anlage muss das Lied wie blanker Hohn vorkommen – ihnen hat der Sender jahrelang «chli weh» getan. Zum Beispiel Rita Boog, einer Bäuerin, die rund anderthalb Kilometer vom Sendeturm entfernt wohnt. Vom prächtigen Bauernhof der Boogs aus wirkt die über 200 Meter hohe Antenne wie ein irrtümlich aufs Land versetzter Eiffelturm (zum Vergleich: das Pariser Wahrzeichen misst 300 Meter). Boog seufzt erleichtert, als sie zur Senderabschaltung befragt wird: «Es geht mir viel besser seither.» Als sie 1995 auf den Hof kam, hätten sich bald Beschwerden bemerkbar gemacht: Kopfweh, Unwohlsein, Gliederschmerzen beim Aufstehen am Morgen. Boog suchte einen Arzt auf, doch weil die Ursachen der Leiden unklar blieben, wollte der Mediziner der Vierzigjährigen kurzum Psychopharmaka verschreiben. Die Mutter von fünf Kindern lehnte ab und wich auf homöopathische Medikamente aus. Diese halfen ein wenig, doch richtig gebessert hat es bei der Bäuerin erst an Silvester 2008, drei Tage nach dem Abschalten des Senders: «Die Schmerzen beim Aufwachen waren plötzlich verschwunden.»
Die Schilderungen von anderen Betroffenen stützen die Erfahrungen Boogs. Zum Beispiel ein Ehepaar, das in der Umgebung eine Hühnerzucht betreibt. Es will nicht mit dem Namen in der Presse erscheinen, «weil man ja nichts beweisen kann». Doch ihr Urteil ist klar: «Uns geht es viel besser, seit der Sender stillgelegt ist.» Ein anderer Anwohner berichtet, er sei früher zwei-, dreimal in der Nacht aufgewacht und musste sich duschen, weil er wegen der Strahlung nicht mehr schlafen konnte. Stephan Furrer, ein Landwirt, der in der Umgebung wohnt und sich in der lokalen Umweltschutzgruppe engagiert, hat beobachtet, dass auf Gemeindegebiet «Kopfweh und Krebserkrankungen gehäuft auftreten» und dass viele über «Schlafstörungen und Unwohlsein klagen». Am meisten zu denken gibt dem 46-jährigen Vater dreier Kinder die Tatsache, dass es in einem Weiler in der Nähe der Anlagen innert kurzer Zeit drei Todesfälle durch Hirntumor zu beklagen gab.
Ob solche Symptome tatsächlich auf den Sender zurückzuführen sind, ist schwierig zu beweisen. Deshalb werden die Vorfälle von SkeptikerInnen gerne als «psychosomatisch» abgetan, doch damit macht man es sich zu einfach. Beim Elektrosmog handelt es sich um nichtionisierende Strahlung, die hoch- oder niederfrequent ist; Radio- und TV-Sender oder Handyantennen sind hochfrequent, Starkstrom- und Eisenbahnleitungen weisen niedrige Frequenzen auf. Verschiedene Studien zeigen, dass hochfrequente Strahlung biologische, nichtthermische Effekte auslöst, selbst wenn die Intensität deutlich unterhalb der internationalen Grenzwerte liegt. Eine Untersuchung der Universität Bern zum Beispiel stellte einen statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen Schlafstörungen und dem Sendebetrieb des stillgelegten Radio-Kurzwellensenders Schwarzenburg BE fest. BewohnerInnen im näheren Umkreis klagten gehäuft über Nervosität, Unruhe, allgemeine Schwäche, Müdigkeit und Gliederschmerzen. Das Bundesamt für Umwelt schreibt dazu: «Dass es nicht-thermische Wirkungen gibt, ist unbestritten. Wie solche Effekte zustande kommen, ist jedoch nicht bekannt. Ebenso wenig lässt sich sagen, ob und unter welchen Bedingungen sie zu einem Gesundheitsrisiko werden. Die Auswirkungen schwacher Hochfrequenz-Strahlung auf den Menschen müssen deshalb weiter untersucht werden.»
Die neuste Untersuchung zum Thema liefert Martin Röösli, Professor am Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Basel. Er hat soeben einen Teilbericht des Nationalen Forschungsprogramms «Nichtionisierende Strahlung – Umwelt und Gesundheit» (NFP 57) veröffentlicht. Ende Jahr wird er eine weitere Studie publizieren, die den Einfluss der Strahlung auf Lebensqualität und Schlaf zum Thema hat. Die Frage, ob eine Anlage wie der Sender Beromünster für Krankheiten bis hin zu Krebs und Tumoren verantwortlich sein könne, kann Röösli nicht abschliessend klären: «Es könnte sich bei diesen Beobachtungen um einen sogenannten Noceboeffekt handelt. Das ist das gleiche wie ein Placeboeffekt, nur dass die Auswirkungen auf die Gesundheit negativ statt positiv sind.» Dass es den Menschen im Sendegebiet schlagartig besser gehe, seit der Sender stillgelegt sei – daran mag der Präventivmediziner nicht recht glauben. Hingegen hält er Langzeitschäden für durchaus denkbar: «Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die chronische Exposition tatsächlich die Gesundheit beeinträchtigt. Doch dazu braucht es dringend zusätzliche Studien – auch angesichts der weiteren Zunahme der drahtlosen Kommunikation.»
Hormone für die Milch
Für Landwirt Stephan Furrer gibt es aber noch ein weiteres Argument, das die Gesundheitsrisiken des Elektrosmogs beweisen könnte: die Reaktion der Tiere. «Manche Bauern berichten, dem Vieh gehe es deutlich besser, seit der Sender nicht mehr strahlt – und das ist sicher nichts Psychosomatisches, das kann man messen.» In Beromünster beobachtete beispielsweise ein Schweinezüchter, dass seine Tiere nur wenige Tage nach dem Sendestopp «vitaler geworden» seien. Jahrelang hätten die Schweine an Stoffwechselstörungen, geschwollenen Gelenken und Bewegungsmangel gelitten. Heute seien sie «kerngesund».
Ähnliches berichtet der Landwirt August Lang, dessen Hof nur gut hundert Meter vom Sendeturm entfernt liegt. Schmunzelnd erinnert sich der 51-Jährige daran, wie er seinerzeit das Radioprogramm «direkt aus dem Dachkännel und dem Heukran» empfangen konnte. Oder wie es ihm immer wieder «die Hände verbrannt» habe, als er auf der Weide die Drähte der Viehzäune erneuern wollte – das Metall hatte sich wegen der Strahlung von selbst aufgeheizt. Als der Sender noch aktiv gewesen sei, hätten seine Kühe «immer ein Theater gemacht», wenn er sie in den Melkstand holen wollte; «ich musste sie drei-, viermal rufen und schubsen». Heute sei das anders, die Tiere kämen gerne und sofort in den Stall. Leicht verbessert habe sich auch der Milchfluss pro Minute; dieser sei heute etwa zwei Deziliter höher als zuvor. Und hätten früher mehrere Kühe Schwierigkeiten gehabt, die Milch abzugeben, was man hormonell unterstützen musste, seien diese Probleme inzwischen weniger geworden.
Diese Vorkommnisse sind auch Silvia Ivemeyer vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) in Frick AG aufgefallen. Das Institut unternimmt eine Langzeitstudie zu Eutergesundheit und Minimierung des Antibiotikaeinsatzes, bei welcher rund 150 Betriebe aus der ganzen Schweiz mitmachen – darunter auch jener von August Lang. Als der Sender noch in Betrieb war, konnten einige Tiere die Milch nur dann ins Euter lassen, wenn ihnen Lang das Hormon Oxytocin spritzte. Dieses Phänomen sei in der Umgebung kein Einzelfall, meint Ivemeyer: «Es ist auffällig, wie sehr das Oxytocin-Thema auf den Betrieben rund um Beromünster präsent ist. Was ansonsten nur selten, bei wenigen Betrieben und dann nur bei einzelnen Kühen vorkommt, hat dort in der Region eine Häufung.» Allein in Langs Herde mussten im letzten Jahr fünf von fünfzehn Kühen, die seit Ende 2008 gekalbt haben, gespritzt werden, also jede dritte Kuh. Von diesen fünf erhält heute nur noch eine das Hormon, zusätzlich muss eine weitere Kuh gespritzt werden. Definitive Resultate gebe es aber erst, wenn alle Kühe gekalbt hätten und in eine neue Laktation träten. Ivemeyer bilanziert: «Wenn jetzt immer mehr Kühe, die zur Milchgabe Oxytocin brauchten, in ihrer neuen Laktation nicht mehr gespritzt werden müssen, wäre das ein deutlicher Hinweis, dass das Problem mit dem Sender zusammenhing.»
Den Holocaust totgeschwiegen
Selbst wenn er die Gesundheit von Mensch und Tier beeinträchtigt hat – für viele bleibt der Landessender ein positiv besetztes Stück Heimat. Denn Beromünster gilt als Wahrzeichen der neutralen und wehrhaften Schweiz: Diese habe sich während des Zweiten Weltkriegs nicht gescheut, gegenüber dem Aggressor Deutschland Klartext zu sprechen – ein Urteil, das sich heute als Mythos entpuppt. So durfte Bertolt Brecht 1940 zwar sein Hörspiel «Das Verhör des Lukullus» bei Beromünster aufzeichnen und ausstrahlen; doch ansonsten hatte Aufmüpfiges wenig Platz im Programm. Dies zeigt ein kürzlich erschienenes Buch des Zürcher Historikers Urs Bitterli, der das Wirken von Jean Rudolf von Salis nachzeichnet. Von Salis, Historiker an der ETH Zürich, war in den Jahren von 1940 bis 1946 die wichtigste Stimme von Radio Beromünster; insbesondere seine «Weltchronik», jeden Freitagabend um sieben Uhr ausgestrahlt, galt als mutige, kritische Berichterstattung. Bitterli, einst Student bei von Salis, legt nun dar, dass dieser weit konformistischer gehandelt hat als bisher angenommen.
So habe von Salis zwischen 1939 und 1942 das Streben Hitlers nach Revision der Versailler Verträge, den deutschen Überfall auf Polen und die Schlacht von Stalingrad sehr schonend kommentiert – von heftigem Widerspruch gegen die Nazis keine Spur. Auch habe er in einer Biografie die Sympathien von Bundesrat Giuseppe Motta für Benito Mussolini und die italienischen Faschisten gebilligt. Bitterli zeigt auf, dass von Salis 1940 von Bundespräsident Pilet-Golaz gerade deshalb zur Radiostimme gewählt wurde, weil er die vorsichtige Aussenpolitik des Bundesrats teilte. Weder die Judenverfolgung noch den Holocaust habe er damals explizit angeprangert. Dazu notierte kürzlich die «NZZ am Sonntag»: «Gemäss Bitterli widerlegt die heutige Lektüre die verbreitete kollektive Erinnerung, wonach von Salis’ Kommentare einen ‹beherzten Akt des Widerstands› dargestellt hätten. Erst nach der Invasion in der Normandie 1944 sei seine Kritik an Deutschland deutlicher geworden.»
Ab auf den Schrottplatz?
Er sorgte an seinem Standort für Schmerz und Leid und war weit weniger mutig als sein Ruf – vom Landessender Beromünster blättert langsam der Lack ab. Und das auch im wörtlichen Sinn: Die Anlage ist Wind und Wetter ausgesetzt, das Gelände mit den beiden Türmen, den Technikgebäuden, Angestelltenhäusern und dem Sendebunker wirkt verlassen und trostlos. Bald werden Unterhaltsarbeiten nötig, für die niemand so recht zuständig sein will. Die Swisscom als Eigentümerin «erwägt einen Rückbau», wie es in einem Gutachten der Eidgenössischen Kommission für Denkmalpflege (EKD) heisst; sie möchte den Zeitzeugen also am liebsten verschrotten. Die EKD aber stuft die Anlage als «Denkmal von nationaler Bedeutung» ein und will sie integral zum Museum machen. Dafür müsste der Kanton Luzern grünes Licht geben, sagt Georg Carlen, kantonaler Denkmalpfleger: «Zuerst muss das Bildungs- und Kulturdepartement die Frage der Unterschutzstellung klären. Wir von der Denkmalpflege haben vor längerer Zeit einen solchen Antrag gestellt.» Die Standortgemeinde wiederum will lieber kein Museum, sondern möchte den Sender zwar erhalten, aber das Gelände neu nutzen. Im Moment sei noch alles offen, meint Gemeindepräsident Ignaz Sutter, «wir können uns etwa einen Kultur- oder Gewerbebetrieb vorstellen – aber auch ein Rückbau käme schlimmstenfalls infrage.»
Leuchten wie von Geisterhand
Die AnwohnerInnen lässt diese Diskussion kalt. Sie haben sich bereits gebührend vom Übeltäter verabschiedet: Als die Anlage am 28. Dezember verstummte, brachten August Lang, Rita Boog und weitere HelferInnen gegen 300 Personen aus der Umgebung zusammen, um trotz der Kälte die letzten Sendestunden mitzuerleben und bei Fondue, Flüssigem und Feuerwerk das Ende der Bestrahlung zu feiern. Um zu zeigen, dass die Zukunft weit weniger strahlend sein werde, verteilten Lang und seine Leute 150 Neonröhren unter den Feiernden. Wer eine solche in die Hand nahm, konnte erleben, was der Künstler Roman Signer bereits in seiner Aktion «Beim Radiosender Beromünster» sichtbar gemacht hatte: Signer liess beim Sendemast einen Ballon steigen, befestigte eine Schnur mit einer Neonröhre daran – und der Elektrosmog brachte die Röhre wie von Geisterhand zum Leuchten, ohne dass man sie an den Strom anschliessen musste. Als der Landessender um Mitternacht auf MW 531 zum allerletzten Mal die Nationalhymne abgespielt hatte, erloschen die 150 Neonröhren auf einen Schlag – und durch die tiefschwarze Nacht schallte ein vielstimmiges, erleichtertes Seufzen und Johlen.