Die Toten von Regensdorf: Erschiessung frühmorgens am Katzensee
Silvio de Zordi hat als Aufseher im Zweiten Weltkrieg vier später exekutierte Schweizer Landesverräter bewacht. Peter Vosers Vater war Oberaufseher und hinterliess über die Erschossenen nur eine einzige Notiz.
Es ist der 1. August 2009. Nationalfeiertag. Und auch der erste Tag von Peter Vosers Pensionierung. Er war bis zum 31. Juli Jagd- und Fischereiverwalter des Kantons Aargau.
Die Sonne scheint. Wir laufen zum «Gröbli-Grüebli» beim Katzensee in Regensdorf. Dort hat Peter Voser, 63, als Kind gespielt. Doch Voser ist angespannt. Denn in jener Grube wurde in den frühen Morgenstunden des 25. Mai 1943 der Landesverräter Hans Gröbli erschossen. Der Schweizer Bürger Gröbli, zum Zeitpunkt seines Todes 33 Jahre alt, hatte für das Dritte Reich spioniert. Peter kennt die Bedeutung des Ortes, weil ihn sein Vater Karl Voser darüber aufklärte, als dieser seinen Sohn hier einst beim Spielen sah. Sein Vater wusste, was hier geschehen war, weil er während des Zweiten Weltkriegs und bis 1966 Oberaufseher der Strafanstalt Regensdorf war. Bis zur Vollstreckung des Todesurteils sass Hans Gröbli dort drei Wochen in Isolationshaft. «Mein Vater hat nur selten von der Kriegszeit gesprochen», sagt Peter Voser. Als er starb, fand Peter in seinen Sachen einen handgeschriebenen Zettel. «Es ist der einzige handschriftliche Eintrag meines Vaters zu den Landesverrätern», sagt Peter Voser. Es ist eine Auflistung der zum Tode Verurteilten.
Eine Wähe als letzter Wunsch
Hans Gröbli hatte sich folgender Vergehen schuldig gemacht: Wirtschaftlicher, politischer und militärischer Nachrichtendienst. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass er Firmen und militärische Objekte ausspioniert und die Informationen Deutschland hatte zukommen lassen.
Für das Todesurteil ausschlaggebend waren ein Sabotagekurs, den er in Deutschland absolviert hatte, und der Verrat militärischer Geheimnisse: Gröbli hatte Bleistiftskizzen dreier Militärflugplätze angefertigt, er verriet den Nazis Standorte von Lebensmittel-, Sprengstoff- und Benzindepots, Wasserreservoirs sowie einer Mannschaftsunterkunft. Ein Begnadigungsgesuch lehnte er ab, er wollte, nach eigenen Worten «sterben wie ein Soldat».
Gröblis Kampf endete in der Nähe eines Hochmoors. Die Grube liegt in einer Endmoräne der letzten Eiszeit. Damals, vor 12000 Jahren, entstand auch der Katzensee. Das Eis ist geschmolzen, das Moränenmaterial, der Dreck an der Oberfläche, blieb liegen und bildete diese Endmoräne, den Hügel. 12000 Jahre später haben Menschen auf dem Hügel eine Grube ausgehoben, um Kies für den Volkertweg zu gewinnen. Wieder ein paar Jahre später, am frühen Morgen des 25. Mai 1943, fuhr ein Kommando der Armee Hans Gröbli von der Strafanstalt Regensdorf auf einem Lastwagen zu jener Grube. Er war nicht der Einzige, sondern einer von sieben, die dort erschossen wurden. Er war auch nicht der Erste und nicht der Letzte – Fridolin Beeler war vier Wochen zuvor, am 20. April 1943, der Erste, Hermann Grimm und Walter Laubscher waren am 7. Dezember 1944 die Letzten. Die Heerespolizei stellte Gröbli vor dem Kugelfang auf, der Auditor las noch einmal das Urteil vor, und das Kommando schoss, einige hatten Platzpatronen im Lauf, damit keiner wusste, ob er töten würde.
Peter Voser sagt über seinen Vater: «Er hat bloss ansatzweise über den Umgang mit den zum Tode Verurteilten geredet. Ich getraute mich aus Respekt nicht zu fragen. Die Erinnerung hat an ihm genagt. Es hat ihn nie losgelassen, bis zum Schluss nicht.» Nur eine Episode hat Karl Voser immer wieder erzählt. Er hat dabei nie einen Namen genannt. Deshalb ist es unklar, ob es sich hierbei um Hans Gröbli oder um einen der sechs anderen in Regensdorf erschossenen Landesverräter handelte. Die Geschichte, die Karl Voser seinem Sohn immer wieder erzählte, geht so:
«Ich musste mich jeweils in der Nacht vor der Exekution um die Verurteilten kümmern, damit sie sich nicht das Leben nehmen. Das Todesurteil sollte auf jeden Fall vollzogen werden. Mitten in der Nacht sagte einer: ‹Ich habe einen letzten Wunsch. Ich wünsche mir eine Apfelwähe.› Wir wussten, dass die zum Tode Verurteilten einen solchen letzten Wunsch äussern konnten. Aber es war mitten in der Nacht, es war Krieg, eine Wähe war da nicht selbstverständlich. Ich rief den Direktor an. Der Direktor sagte: ‹Der Wunsch wird gewährt, organisieren Sie das!›»
Also hat der Koch der Strafanstalt Regensdorf in jener Nacht, irgendwann in den Jahren 1942 bis 1944, eine Apfelwähe gebacken für einen zum Tode verurteilten Landesverräter. Und als die Wähe kam, sagte der Mann zu Karl Voser: «Bitte essen sie mit mir.» Also sassen die beiden in der Zelle, der Bewachte und der Bewacher und assen Apfelwähe. Und der eine glaubte, das Dritte Reich sei die Zukunft und wähnte sich trotz bevorstehender Exekution in Aufbruchstimmung, und der andere machte seine Arbeit und sorgte dafür, dass sich der eine in seinen letzten Stunden nicht das Leben nahm. Und am Morgen kam die Heerespolizei, man lud den Verurteilten in einen Lastwagen, fuhr ihn in den Wald und erschoss ihn. Davon handeln die einzigen beiden Sätze, die Karl Voser von seinen Erlebnissen im Krieg schriftlich hinterlassen hat – sie finden sich auf der Liste der Verurteilten: «Die jeweilige Übergabe an das Erschiessungskommando bleibt mir unvergesslich. Ein letzter Händedruck, ein letztes Abschiedswort, in 2 Stunden waren sie tot.»
Die Liste der Verurteilten
Insgesamt wurden in der Schweiz zwischen November 1942 und Dezember 1944 siebzehn Landesverräter erschossen. Sieben von ihnen sassen bis zur Vollstreckung des Todesurteils, durch die Heerespolizei isoliert, in Regensdorf. Der 1982 verstorbene Jurist und Autor Peter Noll hat die siebzehn Lebensläufe und Todesurteile in seinem 1980 erschienenen Buch «Landesverräter» zusammengetragen und festgehalten: «Die Notverordnung des Bundesrates führte die Todesstrafe für Fälle ein, in denen sie selbst im Kriegsfall nach dem Militärgesetz nicht zulässig gewesen wäre. Das Ermessen des Richters reichte von einem Jahr Zuchthaus bis zur Todesstrafe.»
Erster und prominentester Fall – dieser sass aber nicht in Regensdorf ein – ist Ernst S.
Die Namen der verurteilten Landesverräter musste Noll 1980, wie auch Niklaus Meienberg ab 1975 in seinen Berichten über Ernst S., mit Rücksicht auf die fünfzigjährige Sperrfrist ändern beziehungsweise abkürzen. Noll gab in seinem Buch «Landesverräter» den Männern andere Namen. Übereinstimmend mit den vorliegenden Unterlagen aus Regensdorf sind Alter, Eintritt in die Anstalt, Todesdatum. Die meisten Unterlagen seien beim Umzug in die neue Anstalt vernichtet worden, sagt der ehemalige Personalchef und stellvertretende Direktor der Strafanstalt Max Brütsch: «Das Archiv wurde 1993 geräumt.» Karl Vosers Liste hat die Räumungsaktion überlebt, weil er sie zu Hause aufbewahrt hatte. Dort steht:
«Krieg. 1939–1945. Folgende Landesverräter waren in unserer Anstalt eingesperrt:
Beeler, Fridolin, Schänis St. Gallen (1921), Eintritt: 22. 1. 1943, Erschossen: 20. 4. 1943;
Gröbli, Hans, Henau, St. Gallen, Geboren: 15. 5. 1910, Eintritt 4.5. 43, Erschossen: 25. 5. 43;
Reutlinger, He. Geboren 2. 2. 06, von Neftenbach. Eintritt 4. 5. 43, Erschossen 30. 5. 43;
Pfister, Hans, Major, geboren 9. 5. 96, Sumiswald, Bern, Eintritt: 3. 3. 1944, Erschossen: 30. 3. 44;
Vinzens, Hermann, geboren: 6. 1. 08 von Trans GB, Eintritt 29. 7. 44, Erschossen: 27. 9. 44;
Grimm, Hermann, geboren: 18. 2. 1897 von Grüningen, Zürich, Eintritt 17. 2. 44, Erschossen 7. 12. 44;
Laubscher Walter, geboren: 1897, 5. September, Täuffelen Bern, Eintritt 17. 2. 1944, Erschossen 7. 12. 1944.»
Major und Verräter
Karl Voser ist seit über zwanzig Jahren tot. Wie auch Peter Noll. Dieser arbeitete die Geschichte der Landesverräter akribisch auf. Peter Voser wiederum kennt einen Zeitzeugen, einen Augenzeugen. Silvio de Zordi war unter Karl Voser Aufseher und übernahm 1966 von Voser den Posten des Oberaufsehers. Öffentlich hat sich de Zordi bisher nicht zu seiner Arbeit geäussert. Es hat ihn auch niemand gefragt. Inzwischen ist er 98 Jahre alt. Als wir ihn am 1. August nach dem Spaziergang ins «Gröbli-Grüebli» besuchen, offeriert er Espresso.
Silvio de Zordis Eltern kamen 1898 aus Italien nach St. Gallen. Der Vater war Schneider, der Sohn machte in Winterthur die Lehre als Schreiner. Die Möbel in seiner kleinen Regensdorfer Wohnung sind selbst gemacht. Von 1930 bis 1940 arbeitete er in Winterthur für die Schreinerei Knupper (heute Bau- und Möbelschreinerei Hugener). In Europa tobte der Krieg und die Arbeit war knapp. Von einem Kollegen auf ein Inserat aufmerksam gemacht, bewarb er sich als Aufseher in der Strafanstalt. «Die Wärter im Zuchthaus haben es schön! Die können den ganzen Tag rumsitzen, essen und den anderen beim Arbeiten zusehen», rief der Kollege aus. «Ich meldete mich noch am selben Abend», sagt de Zordi. Es folgten separate Vorstellungsgespräche bei Direktor Otto Heusser und beim Oberaufseher Karl Voser. Sie wollten ihn. Am 1. November 1940 begann de Zordi in der Strafanstalt als Aufseher zu arbeiten. «Wir hatten 57-Stunden-Wochen, zwei Wochen am Stück», sagt er. Frau und Kind kamen von St. Gallen nach, die Wohnung wurde zugeteilt, 48 Franken Miete im Monat. Später wurde de Zordi Meister der grossen Schreinerei der Strafanstalt, in der 300 Gefangene sassen und 110 Angestellte arbeiteten.
«Wie war das denn damals im Krieg?», fragt Peter Voser, der mit de Zordis Sohn zur Schule gegangen ist und den alten Aufseher selbst dreissig Jahre nicht mehr gesehen hat.
De Zordi lächelt sanft. Schüttelt dann langsam den Kopf, sagt, «bittere Zeiten waren das». Und dass er die vier verurteilten Landesverräter Laubscher, Grimm, Pfister, Beeler bewacht habe. Vor allem die Begegnung mit Major Pfister, «dem Ranghöchsten», sei ihm nach wie vor sehr präsent.
De Zordi: «Hans Pfister war drei Wochen bei uns in Regensdorf. Er war Major im Generalstab in Interlaken gewesen. Er wollte die Schweiz Hitler übergeben, um Blutvergiessen zu verhindern. Die Spionageabwehr hatte seine Post abgefangen. Ich besuchte ihn immer in der Zelle. Er war ein feiner Mensch, hatte Frau, zwei Kinder, las immer in der Bibel. Er war umgänglich, gebildet, er durfte als Einziger rauchen. Er war besessen von der Angst, dass die Schweiz von Hitler zerstört wird. Ich brachte ihm jeweils das Frühstück, Mittagessen und Abendessen; begleitete ihn auf seinem täglichen einstündigen Hofgang. Die Landesverräter waren isoliert, Gespräche mit anderen Gefangenen waren nicht erlaubt. Und uns war es nicht erlaubt, mit ihnen über Politik zu reden. Dann, an einem frühen Morgen im März 1944, wurde Pfister abgeholt. Das Erschiessungskommando bestand aus Soldaten, die an der Grenze postiert waren. Die hatten einen grossen Hass auf die Verräter. Sie nahmen ihn runter in den Hof, unser Direktor war da, der Pfarrer, der Oberaufseher. Im Hof wurde er von der Heerespolizei degradiert: Sie nahmen ihm die Zeichen ab, den Säbel, den Gurt, die Schuhbändel, die Stiefel. Sie packten ihn am Kragen und am Hintern und stiessen ihn in den gedeckten Camion. Dann fuhren sie zum Katzensee. Dann, aus dem Nichts, niemand weiss, wie sie den Zeitpunkt und den Ort herausgefunden hatte, tauchte seine Frau auf. Sie versuchte sich zwischen ihren Mann und die Kugeln zu werfen. Sie war hysterisch. Eine bittere Geschichte. Eine bittere Zeit! Die Polizei brachte sie weg. Dann hörten wir die Schüsse. Wir haben die Schüsse immer gehört.»
Major Hans Pfister war am 6. Januar 1944 verhaftet worden. Am selben Tag wurde er vom militärischen Untersuchungsrichter in Bern verhört. In Nolls «Landesverräter» ist das Protokoll der Vernehmung aufgeführt:
«Major Beerli: Sie sind beschuldigt, Deutschland militärische Geheimnisse verraten zu haben!
Major Pfister: Um Gottes willen, da kann ich nichts sagen, Herr Major!
Major Beerli: Geben Sie das zu, oder bestreiten Sie das?
Major Pfister: Das kann ich unter keinen Umständen zugeben.
Major Beerli: Standen Sie nicht in Beziehungen zu Agenten des deutschen Nachrichtendienstes?
Major Pfister: Das ist mir nicht bewusst!»
Weiter heisst es: «Noch am gleichen Tag legte er letztlich ein Geständnis ab. Massgebend sei für ihn die Erwägung gewesen, den Deutschen klarzumachen, wie gut unsere Landesverteidigung aufgebaut ist. Andererseits die Hoffnung, dass im Falle eines deutschen Angriffs die Sache mit möglichst wenig Blutvergiessen zu Ende gehe. Der schwerste Vorwurf des Untersuchungsrichters bestand darin, dass Pfister versucht habe, eine Orde de bataille, einen Aufmarschplan, in die Hände zu bekommen und den deutschen Agenten zu übergeben.»
Das Todesurteil wurde einstimmig gefällt. Die Degradierung, die de Zordi beschreibt, war die Nebenstrafe. Im Urteil hiess es: «Nur die schwerste Strafe kann die Tat des Offiziers, der die seiner Fahne geschworene Treue auf solch schändliche Art gebrochen hat, sühnen.» Der Staat müsse im Auftrag Gottes die Todesstrafe, «dieses äusserste Mittel», gebrauchen, «zum Schutz des Volkes». «Einen solchen Verbrecher soll aber nicht nur die härteste Strafe treffen, er soll, da er schweizerischer Offizier ist und als solcher die verbrecherischen Handlungen begangen hat, auch seines Grades unwürdig erklärt werden.»
Oberaufseher Karl Voser war bei dieser Exekution ausnahmsweise dabei. Das sagt einerseits sein Sohn, andererseits war Voser im Besitz der metallenen Uniformknöpfe Pfisters. Diese waren Pfister kurz vor dem Erschiessen abgeschnitten worden, um Querschläger zu vermeiden. 1982 schickte Karl Voser die Metallknöpfe Hans Pfisters an das Museum der Strafanstalt Regensdorf.
«Adolf wird euch holen!»
«Bevor ich nach Regensdorf kam, war ich während der grossen Mobilmachung im September 1939 in Andelfingen stationiert», sagt de Zordi, Feldweibel bei den Radfahrern. «Damals überrannte Deutschland mehrere neutrale Länder. Wir dachten: Wir sind als Nächste dran. Und dann gab es ja auch hierzulande rechtsradikale Tendenzen, die Fronten, die den Anschluss an Nazideutschland forderten.» Besonders geblieben sind de Zordi denn auch Erinnerungen an einen solchen Fröntler, den jungen Fridolin Beeler: Schweizer Bürger, überzeugter Nazi, zum Tode verurteilter Landesverräter.
De Zordi: «Beeler war noch sehr jung, 22. Er kam Anfang Jahr, 1943, und war mehrere Monate hier. Wie Grimm und Laubscher, die ich auch zu bewachen hatte, war er völlig unnahbar. Er redete nicht mit uns, er verachtete uns. Ich erinnere mich sehr gut an eine Szene im Büro von Oberaufseher Voser: Beeler sass am Tisch, ich stand neben ihm. Seine Eltern warteten draussen im Gang. Sie hatten ein Begnadigungsgesuch verfasst und mitgebracht. Karl Voser legte ihm das Begnadigungsschreiben auf den Tisch und sagte, er solle es unterschreiben. Beeler starrte das Papier einige Sekunden an, dann sagte er: ‹Ich unterschreibe nicht!› Dann stand er auf, machte den Hitlergruss und brüllte: ‹Heil Hitler!› Der Mittag kam. Die Frist verstrich. Voser sagte zu Beeler: ‹Die Zeit ist um.› Der junge Mann sagte zu uns beim Rausgehen: ‹Adolf wird euch holen!› Als ihn die Heerespolizei wenige Tage danach im Morgengrauen abholte, regnete es. Sie haben ihn in einem bedeckten Camion in den Wald gefahren. Eine Stunde später hörten wir die Schüsse.»
Ob es Zufall war oder nicht, dass Beeler, der offen Hitler verehrte, ausgerechnet am 20. April (des Jahres 1943), also an Hitlers Geburtstag erschossen wurde, geht aus den Akten nicht hervor.
Peter Noll hat zu Fridolin Beeler Folgendes zusammengetragen: «Er war zweiundzwanzig Jahre alt, als er erschossen wurde. Die ihm vorgeworfenen Taten beging er im Alter von zwanzig Jahren. Er lehnte es ab, ein Begnadigungsgesuch einzureichen, und er befahl seinem Verteidiger, die Kassationsbeschwerde gegen das Todesurteil zurückzuziehen. Nach der Rechtslage hätte die Beschwerde gutgeheissen werden müssen. Beeler, ein schwächlicher und kränklicher junger Mann, schwärmte für Hitler als, wie er meinte, ein Symbol für Härte und Selbstdisziplin. Da er unermüdlich vor seinen Bekannten seine nationalsozialistische Gesinnung demonstrierte und ausserdem Kontakte zu Deutschen pflegte, wurde er erstmals im Oktober 1941 unter dem Verdacht der Spionage verhaftet.» Mit dem Gutachten des psychiatrischen Experten, das ihn als «schizoiden Psychopathen» beurteilte und das ihn womöglich vor dem Tod bewahrt hätte, erklärte er sich nicht einverstanden: «Ich halte mich für voll zurechnungsfähig.» Im Protokoll der Militärjustiz steht: «Der Verurteilte blieb stets bewegungslos, auch nach der Schussabgabe. Die Urteilsvollstreckung erfolgte ohne den geringsten Zwischenfall.» Der Sarg wurde so vernagelt, dass er nicht mehr geöffnet werden konnte. Den Eltern wurde mitgeteilt, dass nur eine stille Bestattung erlaubt sei.
Aquarell und Flachbildschirm
Draussen explodieren 1.-August-Knaller. «Dachte vorhin, da sprengt einer das ganze Quartier in die Luft», lächelt de Zordi. Eine Krankenschwester der Spitex wechselt einen Verband. An der Wand hängt ein Aquarell, das ein Sträfling gemalt hat, «ein bekannter Maler, der fünf Jahre ins Zuchthaus musste». Daneben steht ein grosser Flachbildschirm.
Pünktlich zum Nationalfeiertag, das war mit ein Grund für diesen Besuch, hat das Schweizer Fernsehen den Zweiten Weltkrieg thematisch aufgenommen: «Alpenfestung – Leben im Réduit». Im Beschrieb heisst es: «Während sich die wehrhaften Männer in einer Artilleriefestung in den Alpen an den Waffen der 1940er Jahre üben und das Vaterland verteidigen, bewirtschaften die Frauen einen Bauernhof und leisten im Rahmen der Anbauschlacht ihren Beitrag zur Landesverteidigung.» Schauen die älteren Semester, de Zordi, 98, Voser, 63, gebannt diese Sendung, in der ein äusserst heroisches Bild jener Zeit gezeichnet wird? «Nein, kein Interesse», sagt Peter Voser. De Zordi schüttelt den Kopf: «Ich habe in Sargans, am Gonzen, während des Kriegs selbst eine Festung von innen gesehen. Wer da drin sein musste, konnte froh sein, wenn er nicht durchdrehte.»
Wir verabschieden uns. De Zordi bedankt sich für den Besuch, wünscht einen schönen 1. August. Die Fahrt Richtung Zürich geht noch einmal vorbei am Katzensee und am Volkertweg, der zum Wald führt, in dem Landesverräter exekutiert wurden. Karl Voser war es, der jene Grube, den zum Kugelfang gewordenen Kiesaushub «Gröbli-Grüebli» nannte. «Und wir Kinder haben es übernommen», sagt Peter. Und mitten in der Grube wächst heute eine Buche.