Medientagebuch: Alpenfestung?

Nr. 32 –


Der Zufall will es, dass die vergangene Woche meines «Literarischen Katzenkalenders 2009» dem Fernsehen gewidmet ist. Unter dem Bild eines herzigen Büsis, das mit einem Korken spielt, steht folgender Satz des Münchner Oberbürgermeisters und Autors Christian Ude: «Katzen sind begnadete Unterhaltungskünstler, die aus einem Korken oder einem Staubfussel mehr machen können als private und öffentlich-rechtliche Fernsehanstalten aus der besten Sendezeit.» Was das Schweizer Fernsehen betrifft, hat Ude nicht jede Woche Recht. Aber auf die letzte trifft sein Urteil zu.

Dass das Schweizer Fernsehen während dreier Wochen täglich zwanzig Minuten zwei Handlungen widmet, die wie Pfadiübungen daherkommen, wäre an sich nicht der Schreibe wert. Nur: Der Hintergrund der TV-Serie ist ein Krieg, der über fünfzig Millionen Menschen das Leben gekostet hat, in dessen Rahmen sechs Millionen JüdInnen systematisch ermordet wurden. – Aber «darf» man denn nicht das einheimische Publikum unterhalten über die damalige «Lebenswelt in der Schweiz», wie es die betont «unpolitischen» TV-Verantwortlichen ausdrücken?

Man «darf» es nicht. Aus zwei Gründen. Und man sollte es nicht aus einem dritten Grund.

Erstens ist es zynisch gegenüber den Opfern des Krieges, die Zeit, in der weite Teile der Welt, vor allem Europas, die Hölle waren, als betuliches Landleben und Strohlager darzustellen.

Zweitens gibt es zwischen dem Reduit und den höllischen Schlachtfeldern und Konzentrationslagern tödliche Zusammenhänge. Der Rückzug der Armee in die «Alpenfestung» im Sommer 1940 erlaubte die Reduktion des Armeebestandes von über 400 000 auf 150 000 Mann. Aus Soldaten wurden wieder Arbeiter, welche die Aufgabe hatten, für Nazideutschland Kriegsmaterial zu produzieren (und zusätzlich das Vermögen etwa eines Herrn Bührle zu verzwanzigfachen). Das Zentrum des Reduits war nicht der Bunker, sondern die Fabrik. Das Bonmot «Während sechs Tagen arbeiten wir für Hitler, am siebten beten wir für die Alliierten» ist weder eine Erfindung der GSoA noch des Bergier-Berichts, sondern die Einsicht von wachen Angehörigen der damaligen Generation. Weil die TV-Serie aktiv vom Wesentlichen der damaligen wirtschaftlichen und politischen Aktivitäten in der Schweiz ablenkt, betreibt sie Geschichtsfälschung. Und weil diese an einer nationalistischen Lebenslüge ansetzt, die von den 1950er bis in die 1990er Jahre offizielle Doktrin war, vermag sie durchaus zu verfangen.

Drittens hätte man die Serie nicht machen sollen, weil sie nicht nur die Opfer des Krieges und der Schoah verhöhnt, sondern auch die Aktivdienstgeneration beleidigt. Indem «die Bedrohungslage ausgeklammert» wird, werden die damaligen Ängste ausgeblendet. Zudem gab es innerhalb der Armee, beispielsweise zwischen kritischen Soldaten und autoritären Soldatenschindern, viel mehr Zoff, als in Stans gespielt wird. Oder wenn Oliver Bono in aller Selbstverständlichkeit die Worte «Anbauschlacht» und «Selbstversorgung» verknüpft, verleugnet er zum Beispiel die Tatsache, dass sich 1940 bis 1943 der Düngerimport aus Nazideutschland fast vervierfacht hat.

Tiefpunkt der bisherigen Serie war die ausführlich dargestellte Jetztzeit-Szene mit dem weinenden Soldaten, der sich wegen Rückenbeschwerden von Mami und Papi abholen lässt. Wer solche TV-Bilder in seinem inneren Auge mit Bildern von Kriegsschauplätzen und Konzentrationslagern überblendet, den packt das helle Entsetzen. Einmal mehr bestätigt sich, was hinter dem immer wieder betonten «unpolitischen» Charakter steckt: ein Mangel an menschlicher Anteilnahme.

Der Reduit-Rückfall des Schweizer Fernsehens erinnert an die vor 32 Jahren erst mit grosser Verspätung vorgenommene, mit drei Zensurkürzungen versehene und mit einer unsäglichen Distanzierung eingeleitete TV-Ausstrahlung des Films «Die Erschiessung des Landesverräters S.» von Richard Dindo und Niklaus Meienberg. Trotzdem war es damals ein lehrreicher und spannender Fernsehabend. Warum werden zur besten Sendezeit nicht Filme wie der erwähnte ausgestrahlt?

Josef Lang (55), ist Historiker, Nationalrat, GSoA-Vorstand, war vor zwanzig Jahren Aktivist gegen die «Diamant»-Feiern.