Internet und Datenschutz: Freipass für Datensammler
Der eidgenössische Datenschützer hat die Verwirrung rund um Street View geschickt genutzt. Im Interview erklärt Hanspeter Thür, warum Google eine Steilvorlage geliefert hat und warum ihm sonst fast nur die Rolle des Warners bleibt.
WOZ: Herr Thür, Experten rügen Googles Umgang mit sensiblen Daten seit langem. Warum gab es nun gerade bei Street View einen Aufschrei auch in der Öffentlichkeit?
Hanspeter Thür: Es ist richtig, eine echte Auseinandersetzung mit dem Phänomen «Google» aus Datenschutzsicht hat es in der Öffentlichkeit bislang kaum gegeben. Offenbar hat mit Street View das Ganze in der Wahrnehmung der Leute nun eine neue Qualität bekommen. Auch wenn die derzeitige Diskussion eine etwas oberflächliche Annäherung an die Problematik ist, empfinde ich es als positiv, dass endlich eine Diskussion ausgelöst worden ist.
Aber zum falschen Thema. Mit Google Street View virtuell durch Schweizer Strassen zu fahren, ist doch eigentlich unproblematisch.
Gut, man muss da erst mal relativieren: Zur konkreten Personenüberwachung ist Street View kaum geeignet, zu sehen sind ja immer nur Momentaufnahmen eines unbekannten Zeitpunkts.
Aber?
Es stellt sich doch eine zentrale Frage: Sind wir tatsächlich am Punkt, wo das Individuum, sobald es seine privaten Räume verlässt, sofort damit rechnen muss, dass es für alle erkennbar auf dem Internet landet? Müssen wir das akzeptieren?
Müssen wir?
Ich meine Nein. Jedermann hat das Recht am eigenen Bild. Das letzte Wort in diesem Fall dürfte allerdings der Richter haben. Was akzeptabel ist, sollten aber nicht der Datenschützer und die Justiz allein entscheiden. Es bräuchte einen gesellschaftlichen Konsens zur Frage, wie weit wir mit solchen Technologien gehen wollen.
Und den gibt es noch nicht.
Nein. Und eben deshalb ist die Street-View-Diskussion nötig. Sie ist ein nützlicher Ausgangspunkt, um derlei Fragestellungen zu schärfen. Manchmal braucht es eben etwas Augenfälliges, etwas, was buchstäblich ins Auge springt, damit man sich mit neuen Technologien auseinanderzusetzen beginnt, auch in Bezug auf Datenschutz.
Allerdings. Die Server, auf denen Google die Nutzerdaten sammelt, sind weitaus weniger augenfällig. Im Grunde kann sich Google ja nur bedanken, dass die Diskussion nun auf einem Nebenschauplatz geführt wird.
Natürlich wäre es nicht in unserem Sinne, wenn Google nun einfach ein paar Korrekturen anbringen würde und man in ein paar Wochen zum Schluss käme, damit sei alles wieder in Ordnung. Meine Perspektive ist aber wie gesagt eine andere: Ich sehe hier eine gute Gelegenheit, um eine Grundsatzdiskussion zu lancieren.
Da gibt es ja tatsächlich Bedarf. Wie sieht es denn zum Beispiel aus mit elektronischen Persönlichkeitsprofilen? Dazu war von Ihrer Seite noch nicht viel zu hören.
Das ist nochmals ein ganz anderes Thema. Seit langem weisen wir bei jeder Gelegenheit darauf hin, dass immer potentere Analysesoftware angeboten wird, mit der sehr weitgehende Profile von Personen erstellt werden können. Das betrifft allerdings nicht allein Google, sondern alle Bereiche, wo Daten zusammenfliessen und analysiert werden – insbesondere den Marketingbereich.
Wo ja auch Google mitmischt. Wie sieht da die Gesetzeslage aus?
Profilierung fängt ja bereits bei Firmen an, die mit Adressdateien ein Business machen. Das ist nach unserer Gesetzgebung auch grundsätzlich erlaubt. Eine etwas striktere Regelung ergibt sich aus dem vor eineinhalb Jahren revidierten Datenschutzgesetz, das dieses Jahr zu greifen beginnen sollte, einzig bei «besonders schützenswerten» Personendaten. Neu sind Datenbearbeiter verpflichtet, Betroffene zu informieren. Das ist das Einzige, was an gesetzlicher Vorgabe in diesem Bereich vorhanden ist: Es geht um die Durchsetzung von Transparenz.
Was zum Beispiel sind denn besonders schützenswerte Personendaten?
Dazu gehören die religiöse und politische Zugehörigkeit sowie Gesundheitsinformationen – und eben auch Persönlichkeitsprofile. Diese werden im Gesetz so definiert, dass sie wesentliche Aspekte einer Person beschreiben.
Tatsächlich werden derlei Profile ja schon allenthalben erstellt ...
Ja. Meiner Ansicht nach sind Konsum- und Bewegungsprofile auf jeden Fall solche Persönlichkeitsprofile. Da hat sich tatsächlich aus der neuen Gesetzeslage zusammen mit den heutigen technischen Möglichkeiten unversehens eine ziemliche Brisanz ergeben.
Wir sprechen von Google, das die komplette Suchgeschichte jedes Nutzers aufzeichnet, aber auch von Kreditkarten oder der Migros-Cumulus-Karte. Sind Sie zufrieden mit der Art und Weise, wie diese Datenbearbeiter ihre Nutzer informieren?
Das muss man sich nun im Detail anschauen. Bei Google ist das Problem ja, dass man nicht genau weiss, welche Profile erstellt werden. Aber dass Daten gespeichert und bearbeitet werden, ist in den Datenschutzbestimmungen von Google beschrieben.
Mit Verlaub: Ein kleiner Vermerk wird niemanden von einer Google-Suche abhalten. Sind wir einfach zu gutgläubig?
Ich stelle fest, dass sich eine verschwindend kleine Zahl von Leuten dafür überhaupt interessiert. Da liegt tatsächlich ein grundsätzliches Problem: Die Verantwortung liegt letztlich beim Einzelnen. Einerseits, welche persönlichen Daten wir preisgeben, und andererseits, ob wir in Erfahrung bringen wollen, welche Daten wie gespeichert und verarbeitet werden. Diese Verantwortung kann man nicht einfach delegieren.
Und wo sehen Sie da Ihre Rolle?
Wir machen derzeit Datenbearbeiter vor allem im Marketingbereich auf das neue Gesetz aufmerksam. Und wir werden auch gehört. Nach einer Einführungs- und Informationsphase werden wir mit Stichproben überprüfen, ob die gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden. Die Firmen müssen informieren – die Frage ist bloss, wie deutlich diese Information der Konsumenten sein muss.
Beispiel Cumulus-Karte. Reicht es, wenn das Datensammeln einfach unter den allgemeinen Geschäftsbedingungen erwähnt wird?
Nein, das darf nicht einfach einer von hundert Punkten sein, den man gar nicht sieht. Es muss mit einer gewissen Auffälligkeit kommuniziert werden, dass Persönlichkeitsprofile erstellt werden.
Und im Internet? Können Sie da auch etwas bewirken? Würden Sie es gern sehen, dass auch Google auffälliger informiert?
Ja. Im Prinzip müsste der Suchmaschinennutzer deutlich und genügend präzise darüber informiert werden, welche Daten zu welchem Zweck bearbeitet werden. Immerhin hat Google auf dem Netz ausführliche Datenschutzbestimmungen aufgeschaltet.
Die niemand liest. Tatsache ist doch, dass der durchschnittliche Suchmaschinennutzer kein Bewusstsein für diese Problematik hat. Und dass das Google nur recht sein kann.
Ja, da herrscht eben auch eine grosse – Naivität sage ich nicht gerne –, sagen wir, Unbekümmertheit vor. Das Internet ist sehr praktisch, bietet viele Möglichkeiten, und deshalb will man sich nicht mit der Kehrseite der Medaille auseinandersetzen. Es bleibt dabei, auch der Nutzer muss in die Verantwortung gezogen werden: Er muss sich informieren, was ein Datenbearbeiter im Sinn hat, und gegebenenfalls nachfragen, wenn er nicht durch Schaden klug werden will.
Wer Gefahren neuer Technologien aufzeigt, setzt sich gern dem Vorwurf aus, er wolle das Rad der Zeit zurückdrehen.
Den Vorwurf kenne ich. Aber das will ich durchaus nicht. Die Technik wird sich durchsetzen – es muss nun darum gehen, sie so einzusetzen, dass die Privatsphäre nicht auf der Strecke bleibt. Als Datenschützer verteufle ich neue technische Möglichkeiten nicht – man darf aber auch umgekehrt nicht so naiv sein zu glauben, dass diese nur im positiven Sinn benützt werden.
Worauf müssen wir uns denn noch gefasst machen? Oder anders gefragt: Gibt es einen Moment, wo man der Datensammelwut gesetzliche Schranken setzen muss?
Schwierig zu sagen. Es gibt da eine erschreckende Ignoranz. Dass heute mit relativ wenigen Daten komplexe Aussagen über eine Person gemacht werden können, ist nicht im Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit angekommen. Wenn man ein Phänomen nicht zur Kenntnis nehmen will, dann gibt es auch keine kritische Diskussion darüber und somit auch keine über allfällig nötige Schranken.
Also ein Freipass für die Datensammler?
Es stellt sich tatsächlich die Frage, wo das hinführt und wie man dem entgegentreten soll – umso mehr, da es ein eminent internationales Phänomen darstellt. Einer Insellösung in der Schweiz würden die wichtigsten Akteure im Datenmarkt bloss ein müdes Lächeln entgegenbringen. Nehmen wir die USA, wo wahnsinnige Datenberge produziert und ausgewertet werden: Dort ist es das Selbstverständlichste der Welt.
Ist Ihr Job so gesehen nicht manchmal frustrierend? Zumal eine neue Generation nachrückt, die noch sorgloser mit elektronischen Daten umzugehen scheint?
Nicht unbedingt. Denken sie an den Biometriepass: Die Debatte dazu ist ja letztlich von der Internetgeneration angestossen worden. Insofern bin ich nicht ohne Hoffnung, dass da auch ein kritisches Bewusstsein wächst. Es wäre falsch zu sagen, die Jungen sind kritiklos und wollen das unbedingt und nur die Alten sperren sich dagegen.
Hanspeter Thür (60) ist seit 2001 Eidgenössischer Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragter. Der Jurist hat eine Kanzlei in Aarau und war von 1987 bis 1999 Nationalrat für die Grüne Partei.
Das Beste aus zwei Welten
Google macht selbst kein Hehl aus seiner Strategie, möglichst viel über die NutzerInnen in Erfahrung zu bringen. Nur so sei es möglich, die Ergebnisse immer genauer auf die Suchanfrage hin masszuschneidern, sagt Google. Zudem kann die Firma dank der detaillierten Nutzerprofile auch gezielt Werbung schalten.
In Werberkreisen kursiert seit ein paar Jahren das Zauberwort Behavioural Targeting. Werbung soll nicht mehr einfach breit gestreut werden, stattdessen will man nur noch potenzielle Kundschaft mit passendem Profil anvisieren. Ansatzweise funktioniert das vor allem im Internet, beispielsweise bei Bannerwerbung. Bei aller Euphorie gab es für die Werberinnen bislang aber auch einen Wermutstropfen: Die Profile gaben nur die «Online-Identität» wieder, «reale» Informationen wie Alter, Geschlecht, Wohnort oder Gehaltsklasse schafften es nicht ins Netz.
Das soll sich nun ändern: Marketingfirmen machen sich daran, Online- und Offline-Profile zu verknüpfen. Denn auch abseits des Internets gibt es viele Spezialisten, die Kundendaten sammeln und aus ihnen fertige Profile basteln. Die Adresssammlerinnen sind dabei noch die harmlosesten Vertreterinnen, andere Firmen haben sich auf Auskünfte zu Kreditwürdigkeit oder Haustiervorlieben spezialisiert. Die «New York Times» berichtete unlängst, grosse Datensammelfirmen böten seit neustem Komplettprofile mit Personendaten wie Online-Informationen an – anonymisiert, wie es heisst. Doch auch ohne exakte Namen und Adressen sind die Möglichkeiten solcher Profilierungen erschreckend.
So wird der Fall eines Hörgeräteherstellers geschildert, der für eine spezifische Werbekampagne im Netz Rentner suchte, die ein Haus besitzen, mindestens 40 000 Franken Einkommen haben und in Neuengland leben. Der angefragte Datenspezialist Datran lieferte prompt – kurz darauf flimmerte den ahnungslosen NutzerInnen erstaunlich passende Werbung über den Computerbildschirm.