Die Literaturkritikerin: «Kosmetiktipp neben Rezension – nein danke!»

Nr. 40 –

Mitten in der Zeitungskrise hat die Literaturredaktorin Eva Bachmann ihre Stelle gekündigt – weil sie genug davon hat, statt Kritik immer mehr Unterhaltung zu produzieren. Begegnung am Winterthurer Hauptbahnhof.


Die Kulturberichterstattung in den Zeitungen ist unter Druck, die Literaturkritik kollabiert: Das NZZ-Feuilleton reduziert seine Zeilenhonorare um vierzig Prozent und lässt verlauten, wer hier schreibe, schreibe nicht für Geld, sondern für die Ehre, gedruckt zu werden. Die Kulturteile werden überdurchschnittlich zusammengestrichen: im «Foyer» der «Mittellandzeitung», im «kulturmagazin» der «Basler Zeitung», im «Kleinen Bund». Der «Bund» hat die Literaturberichterstattung sogar ganz gestrichen. Die zuständige Redaktorin Sandra Leis hat sich in einem Rundmail mit dem Hinweis verabschiedet, als Kopfblatt des «Tages-Anzeigers» werde der «Bund» die Literatur von nun an aus Zürich beziehen: «Ich als Literaturverantwortliche und Ressortleiterin habe die Kündigung erhalten.»

Nach dem grossen Umbau

Eva Bachmann hat von sich aus beim «St. Galler Tagblatt» gekündigt. Nach acht Jahren gibt sie dort ihre Stelle als Literaturredaktorin auf und wird Dozentin für Deutsch und Kommunikation am Studiengang Journalismus und Organisationskommunikation an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Winterthur. Nicht dass sie genug hätte von Büchern und vom Schreiben. Genug hat sie davon, ihre Arbeit nicht so machen zu können, wie sie sie machen möchte.

Angesagt ist kurz gestückelter Mainstreamjournalismus mit Unterhaltungswert und Dienstleistungscharakter. Das «St. Galler Tagblatt» hat im Herbst 2008 die Ressorts Kultur, Wissen und Leben zusammengelegt zur «Focus»-Redaktion. Auftrag: einen Bund füllen mit «soft news» über die schönen Seiten des Lebens.

Für Eva Bachmann war dieser Umbau eine Zäsur. Sie erhielt einen fachfremden Vorgesetzten, der auf der Ebene der Planung Einfluss auf ihre Arbeit nahm: «Ich musste nun die Liste vorlegen, welche Buchbesprechungen ich plante. Zu viele deutschsprachige Titel – auch wenn es Peter Handke betraf – konnten ein Argument sein, die Liste abzuändern.» Bis im Juni 2009 führte das «Tagblatt» innerhalb des «Focus»-Bundes immerhin die wöchentliche Bücherseite weiter. Dann fiel sie einer Sparrunde zum Opfer: kein Platz, zu wenig Beachtung, andere Zeitungen hätten ihre Bücherseite auch gestrichen.

Nun war die Literatur ortlos. Bachmann: «Der neuste Dino-Fund neben einer Buchbesprechung und Kosmetiktipps – das ist nicht mein Kulturverständnis.» Sondern? «Für mich ist Kultur mehr und anderes als Freizeit und Unterhaltung: ein Teil unseres Lebens und Zusammenlebens.» Spezifisch schweizerische Literatur zum Beispiel sage etwas über den spezifischen Zustand der Schweiz aus. «Wenn wir die Gesellschaft weiterentwickeln wollen, müssen wir uns mit dem auseinandersetzen, was hier ist und hier geschaffen wird. Darüber sagen die gagigsten Events quer durch die westliche Welt nichts aus.»

Katalog der Unmöglichkeiten

Es gibt verschiedene Gründe, warum die Literaturkritik immer mehr aus den Zeitungen verschwindet:

Grundsätzlich gilt Feuilletonjournalismus als bildungsbürgerlich antiquiert und die Auseinandersetzung mit Literatur und ihren ProduzentInnen im Gegensatz zu anderen Zeiten als nicht von allgemeinem Interesse, sondern als Special Interest-Thema.

Der Trend zur Personalisierung von Geschichten führt dazu, dass Buchrezensionen durch Interviews oder Porträts ersetzt werden. Bachmann: «Damit ist das Buch zwar im Blatt. Aber die kritische Würdigung des Textes fehlt. Literatur lebt aber auch von den verschiedenen Meinungen, die über einen Text geäussert werden.»

Gewünscht werden immer kürzere Texte mit Dienstleistungscharakter. Mehr als eine halbe Zeitungsseite ist redaktionell nur noch für Bestseller durchsetzbar. Bachmann: «Für die Abfassung eines 30-Zeilen-Häppchens ein Buch aufmerksam zu lesen, ist ein unverhältnismässiger Aufwand. Für mehr als eine Inhaltsangabe fehlt der Platz ja doch.»

Zudem haben Bücher in Konkurrenz mit anderen «soft news» das Problem, dass sie nur eine einzige sicher konkurrenzfähige Aktualität generieren – den Erscheinungstag. Der wird zum «Must» für auflagestarke, international beachtete Titel – und zur Guillotine für alle andern. Bachmann: «Wenn die Zeitungen sehr viele Bücher totschweigen, fragen noch weniger Leute in den Buchläden nach ihnen. So werden Titel der Kleinverlage noch schneller retourniert zugunsten umsatzstarker Bücher. Ein Teufelskreis. Zeitungen verkommen immer mehr zu Schreiverstärkern.»

Rechnet man Lesezeiten als Arbeitszeit, sind Buchbesprechungen im Vergleich zu anderen Textsorten zu teuer. Bachmann: «Für eine seriöse Buchbesprechung müsste man eigentlich drei Tagespauschalen einsetzen, also laut Gewerkschaftsempfehlung 1500 Franken. Viel mehr als den zehnten Teil bezahlt heute keine Zeitung. Und besser wirds nicht: Zurzeit werden die Honorarbudgets nicht selten im Vierteljahresrhythmus weiter gekürzt.»

Freie LiteraturkritikerInnen können von ihrer Arbeit nicht mehr leben, richten sich beruflich anders aus und stehen den Redaktionen nicht mehr zur Verfügung. Bachmann: «Die Einzigen, die es sich noch leisten können, Bücher zu besprechen, sind Leute in gut bezahlten, festen Anstellungen, Kantilehrer zum Beispiel.» Damit bleibe mehr Arbeit für die Redaktion, wo es immer weniger Kapazitäten gebe: «Ich habe zwar jedes Buch gelesen, das ich rezensiert habe. Aber keines während der Bürozeit, sondern abends zuhause.»

Reisst der Transmissionsriemen, der die Literaturkritik der Zeitungen bisher gewesen ist? «Ja», sagt Eva Bachmann. «Literaturkritik erfordert von den Schreibenden eine Auseinandersetzung mit der fremden und der eigenen Sprache; dazu Sprachbewusstsein und stilistische Kompetenz. Es gibt heute weder das Geld für die Pflege solcher Fähigkeiten noch den Platz in den Zeitungen für den kontinuierlichen Abdruck essayistischer Texte.»

Aber geht es nicht eher um einen Paradigmenwechsel als direkt um den Untergang? Geht es nach dem Ende der professionellen und nicht selten professoralen Auseinandersetzung mit Literatur in Richtung Internet: Demokratisierung der Buchkritik durch Buchempfehlungen von Laien? Bachmann: «Einem Buch kann tatsächlich nichts Besseres passieren als Mund-zu-Mund-Propaganda. Die funktioniert – und kann auch über Empfehlungen im Netz funktionieren. Allerdings: Wer sein Statement auf kommerziellen Plattformen hinterlegt, stellt sich in den Dienst eines Buchanbieters. Auf solchen Sites weiss niemand, wie viel manipuliert wird.»

Reden über Selbstausbeutung

Was dann? «Eigentlich müsste es in dieser Gratiszeitungs- und Kurzfutterlandschaft doch langsam Platz geben für ein Blatt, das wieder Lesestoff liefert», sagt Bachmann und fragt: «Oder eine Website? Eine Seite, die literarische Werke kontinuierlich und repräsentativ diskutiert? Bloss: Wie bezahlt man so etwas?»

Weitergeredet haben wir über kulturpolitisches Engagement, Gratisarbeit und Selbstausbeutung; über den Wert einer kulturellen Leistung und deren gerechte Entlöhnung; über einen möglichen Beitrag des Staates beim Neubau des Transmissionsriemens für die hiesige Literatur. Die Website haben wir auf dem Neumarkt in Winterthur, wo wir geredet haben, für diesmal nicht zum Laufen gebracht. Aber wir waren uns sicher, dass die Auseinandersetzung mit Literatur nicht zu Ende sein wird – auch nach dem Ende der Literaturkritik in den Zeitungen.