Auf allen Kanälen: Im Aufbruch bis heute

Nr. 38 –

Das kleine St. Galler Kulturmagazin «Saiten» veranstaltet zu seinem 30. Geburtstag einen Kongress zum Kulturjournalismus der Zukunft. Und investiert gegen den Trend in neue Angebote.

stilisiertes Foto des 30 Jahre Saiten Veranstaltungs-Poster

Ende der siebziger Jahre rottete das mit Brettern vernagelte Kunstmuseum St. Gallen vor sich hin. Es stand als Sinnbild dafür, was die bürgerlich dominierte Stadt von Kultur hielt. Anfang der Achtziger nahm die Stadtregierung fünf Millionen Franken in die Hand, um den Schandfleck zu beseitigen und die Museumsschätze ihren Bürger:innen wieder zugänglich zu machen. Gleichzeitig erlebte die zuvor kulturell scheintote Stadt einen politkulturellen Aufbruch, der bis heute nachwirkt und neue Kulturstätten ermöglichte, etwa das «Palace» oder das punkige «Rümpeltum».

Aufgemischte Stadt

Zunächst mischte eine linksalternative Bewegung die Stadt auf und erkämpfte sich die Grabenhalle als Freiraum, eine alte Turnhalle, die abgerissen und einer Parkgarage weichen sollte. Von der öffentlichen Hand gab es – widerwillig – gerade einmal 200 000 Franken. Sie eröffnete 1984. Ein Jahr später gründeten Künstler:innen die Kunsthalle und Filmenthusiast:innen das Kinok, heute das grösste Programmkino der Ostschweiz. Ab 1986 etablierten Feministinnen die Frauenbibliothek Wyborada – und 1994, als Nachzüglerin dieser kulturellen Gründerzeit, initiierte der Musiker Roman Riklin «Saiten».

Dreissig Jahre später ist das Kulturmagazin fester Bestandteil des St. Galler Polit- und Kulturlebens. Neben einer breiten Kulturberichterstattung zu Theater, Kunst, Musik oder Architektur erscheinen im Magazin auch Recherchen zur lokalen und regionalen Politik. Der umfangreiche Veranstaltungskalender strahlt in die ganze Ostschweiz aus. Sieben Leute arbeiten als Kollektiv in Teilzeit für den Betrieb – im Gegensatz zu den Anfängen verdienen sie halbwegs anständig, 6000 Franken auf eine Vollzeitstelle. «Saiten» finanziert sich zu zwei Dritteln aus Inserateeinnahmen, ein Drittel steuern die 2000 Abonnent:innen bei. So ist das Magazin entgegen dem allgemeinen Trend in der Medienbranche stabil unterwegs.

Nicht geschrumpft

Doch damit hat es sich auch schon mit der Feierlaune. Während die Kulturangebote in den vergangenen Jahrzehnten enorm zugenommen haben, zerfiel die mediale Kulturvermittlung. Hatten die grossen Zeitungen einst eigene Kulturbünde, ist das geschrumpfte Angebot mittlerweile nahezu versteckt.

Stellvertretend für diese Entwicklung steht die grosse Regionalzeitung «St. Galler Tagblatt». Sie hatte lange einen eigenständigen und umfangreichen Kulturteil, ab den nuller Jahren sogar ein eigenes Ressort «Stadtkultur». Vor zehn Jahren ging beides in einem «Focus»-Bund auf, das «Tagblatt» baute Stellen ab und schrumpfte wegen sinkender Inserateeinnahmen von einer Vier- zu einer Zweibundzeitung. Damit wuchs auch die Bedeutung von «Saiten». Das Kulturmagazin schrumpfte nicht, es blieb konstant.

Neue Stelle, neuer Newsletter

Aus Anlass des Jubiläums laden die «Saiten»-Macher:innen dazu ein, die Krise des Kulturjournalismus – auch selbstkritisch – zu reflektieren. Am 21. September veranstalten sie dazu in St. Gallen einen Kongress zum Kulturjournalismus der Zukunft. Dort diskutieren unter anderen Vertreter:innen der Branche; Leser:innen können ihre Perspektiven in einem Workshop einbringen. Diese sind Corinne Riedener, die seit elf Jahren und damit am längsten auf der «Saiten»-Redaktion ist, wichtig: «Alle Medien sind auch auf Nutzer:innen angewiesen, die bereit sind, für Kulturberichterstattung zu bezahlen. Und die Journalist:innen müssen herausfinden, wofür diese ihren Geldbeutel öffnen.»

«Saiten» diskutiert nicht nur, es handelt auch. Ende Oktober wird die neue Website aufgeschaltet, es läuft ein Crowdfunding für eine vierte Redaktionsstelle. Die neue Person wird für einen neuen, wöchentlichen Kulturnewsletter zuständig sein. Ausserdem wird der Veranstaltungskalender technisch verbessert.

Das alles kostet. 350 000 Franken investiert «Saiten» in seine Zukunft. Ohne Hilfe aus dem kantonalen Lotteriefonds, von Stiftungen, der Stadt St. Gallen und der St. Galler Gemeinden wäre das nicht zu stemmen.

Gefeiert wurde in der St. Galler Kulturszene kürzlich aber auch: Die Grabenhalle lud zu ihrem 40. Geburtstag zu einem zweitägigen Fest in den Stadtpark. «Saiten» war natürlich dabei.