Bigfoot: Wer wirft da mit Tannzapfen?
Was stapft grossfüssig durch die nordamerikanischen Wälder? Die Suche nach dem legendären Bigfoot ist neu lanciert. Dank DNA-Analyse und Wärmebildkameras, gelangweilten Millionären und prominenten ZeugInnen.
Sie hinterlassen ihr Merkmal in ganz Nordamerika: Fussabdrücke, die menschlichen ähneln, aber doppelt so gross sind. Auch gehen sie aufrecht wie Menschen. Sie haben Muskeln wie Arnold Schwarzenegger zu seinen besten Zeiten, weisen aber statt nackter Haut eine dichte Behaarung auf. Sie haben kurze Hälse und platte, breite Nasen. Sie haben sowohl menschliche als auch affenhafte Züge. Man nennt sie Bigfoot («Grossfuss») oder Sasquatch (indianisch für «Wildmensch»). Offiziell gibt es sie nicht. Doch immer mehr Menschen sehen sie. Und jene, die sie finden wollen, sind ihnen dicht auf den Fersen.
Eine riesige, behaarte Hand
In jüngster Zeit haben sich renommierte Zeugen geoutet: «Ja, ich habe einen Sasquatch gesehen», sagt etwa Alton Higgins. Der Biologieprofessor beobachtete 2002 in Oklahoma ein unbekanntes Tier. «Das Ding rannte auf zwei Beinen, es war schwarz und gross. Es war kein Bär und auch kein Mensch.» Ein anderer Zeuge ist der Biologe und Ex-Uno-Mitarbeiter John Bindernagel. «2007 habe ich einen gesehen», sagt er in geheimnisvollem Ton. Er wolle es nicht an die grosse Glocke hängen, da seine Sichtung nichts beweise. Sein Berufskollege John Mionczynski begegnete Bigfoot in den siebziger Jahren in der Wildnis Wyomings. Mionczynski wachte eines Nachts auf, weil etwas um sein Zelt schlich. Im Licht der draussen aufgehängten Lampe erblickte er eine riesige, behaarte Hand, die auf dem Zelt ruhte. «Die Hand war mindestens doppelt so gross wie meine», so Mionczynski. Er ging nach draussen. Als er ein Feuer anzündete, wurde er von mehreren Tannenzapfen getroffen. «Da wusste ich, dass es kein Bär sein konnte.»
Wo sind die Knochen?
Zeugenaussagen sind vielleicht für ein Gericht genug, jedoch nicht für die Wissenschaft. Sie braucht ein Typusexemplar, um eine neue Tierart beschreiben zu können. Und genau hier liegt das Problem: Bigfoot kann offenbar nicht sterben. Noch nie sind Knochen von ihm gefunden worden. Noch nie hat ein Jäger einen geschossen oder eine Autofahrerin einen erwischt. Für SkeptikerInnen ist der Riesenaffe deshalb ein Hirngespinst. «Wir haben Museen voller Skelette von Bären oder Eichhörnchen. Wie kann es sein, dass wir keinen einzigen Knochen von einem Tier haben, das zweieinhalb Meter gross ist und eine Tonne wiegt?». fragt David Daegling, ein Anthropologe von der University of Florida. Laut Jeff Meldrum, Anthropologe und Sasquatch-Advokat, gibt es logische Gründe dafür: «Es gibt nicht viele Sasquatch.» Er schätzt, dass in Nordamerika nur 500 bis 750 Exemplare überlebt haben. Das entspricht ungefähr der Zahl der Berggorillas in Zentralafrika. Die Tiere seien sehr intelligent, äusserst scheu und unglaublich schnell. «Ausserdem leben sie lange, produzieren wenig Nachwuchs und haben keine natürlichen Feinde.» Und wenn doch einmal ein Sasquatch sterbe, sorge der säurehaltige Boden im Wald dafür, dass die Knochen rasch abgebaut würden. «Die Nagetiere kümmern sich um den Rest.»
Meldrum und seine MitstreiterInnen sind sich des Problems der fehlenden Knochen bewusst. Sie suchen andere Wege, um das Rätsel zu knacken. Der vielversprechendste hat drei Buchstaben: DNA. Die Abkürzung steht für Desoxyribonukleinsäure. Sämtliche Lebewesen tragen sie in sich, sie enthält die Erbinformation. Mittels DNA-Tests können Arten und sogar einzelne Individuen unterschieden werden. Bis heute ist zwar noch keine Tierart nur aufgrund ihres genetischen Fingerabdrucks von der Forschung anerkannt worden. Jüngst ist aber laut Meldrum in Wissenschaftlerkreisen diskutiert worden, ob man bei seltenen und gefährdeten Arten eine Ausnahme machen soll.
Immer wieder werden im Zusammenhang mit Bigfoot-Sichtungen Haare sichergestellt. Der Biologe Alton Higgins zupfte wenige Kilometer vom Ort seiner Begegnung mehrere Haare von der Rinde eines Baums. Kollege LeRoy Fish habe sie unter dem Mikroskop analysiert und als Primatenhaare identifiziert, sagt Higgins. Aus diesen Haaren aber konnte keine DNA gewonnen werden. Dies ist nur bei einem frischen Haar mit Wurzel (diese enthält die DNA) möglich. Auch Blut- oder Kotspuren müssten frisch sein. Die DNA gibt zweifelsfrei Auskunft darüber, wer ihr Träger ist. Ob es ein Bär oder ein Affe ist, ein Mensch oder ein Hirsch. Die Sasquatch-DNA könnte mit der von bekannten Menschenaffen abgeglichen werden. Würde sie mit keiner übereinstimmen, wäre der Fall klar.
Angeblich soll es bereits DNA-Proben von Bigfoot geben: Eine stammt aus Ontario, die andere aus Nordkalifornien. Im ersten Fall fanden Bigfoot-ForscherInnen ausgetrocknetes Blut an einer Bärenfalle, im zweiten Fall stiess jemand auf seinem Grundstück auf ein Büschel Haare. Beide Proben wurden an Labors gesandt, bei beiden konnte DNA entnommen werden. Doch die Resultate sind nicht eindeutig, da die Proben nicht frisch waren. «Das Blut war alt, die DNA deshalb nicht vollständig. Doch die Tests ergaben, dass der Träger sowohl menschliche Gene als auch ein spezielles Schimpansengen besitzt», sagt Doug Hajicek, ein US-amerikanischer TV-Produzent, der das Blut fand. «Man müsste weitere Untersuchungen machen, und das ist sehr teuer.» Im zweiten Fall laufen die Tests noch. Bigfoot-Forscher David Paulides, der die Haare von den Findern erhalten hat, ist zuversichtlich: «Wir haben einen Zwischenbericht des Labors erhalten. Die Haare stammen offenbar von einem unbekannten Primaten.»
Geheimes Projekt
Nicht alle Bigfoot-ForscherInnen wollen DNA. Es gibt auch solche, die sich mit einem scharfen Foto begnügen würden. Leider ist Bigfoot offenbar sehr kamerascheu. Doch auch hierbei können die SzenevertreterInnen auf immer bessere Hilfsmittel zurückgreifen. Wärmebildkameras, Richtmikrofone und Fotofallen gehören für einige zur Standardausrüstung. Es gibt auch solche, die sich Lockstoffe von Gorillas besorgen und diese an Bäume hängen, um die mysteriösen Wesen anzuziehen. Einen interessanten Ansatz verfolgt die Organisation North America Bigfoot Search um David Paulides: Sie hat den Phantombildzeichner Harvey Pratt vom FBI engagiert, damit dieser die Beschreibungen von Bigfoot-ZeugInnen aufs Papier bringt.
Die Aufrüstung fruchtet offenbar: So soll es Mike Greene im letzten Jahr gelungen sein, in North Carolina einen Sasquatch mit einer Wärmebildkamera zu filmen. 2007 knipste eine Fotofalle in Pennsylvania mehrere Bilder von einem affenähnlichen Wesen. Weiter hält sich in der Bigfoot-Community standhaft das Gerücht, dass in Kentucky ein äusserst erfolgreiches Forschungsprojekt im Gang ist. Eine US-Biologin habe mehrere Jahre auf einer Farm verbracht, die öfter von Sasquatch besucht werde. Ihr sollen hochauflösende Filmaufnahmen der Kreaturen gelungen sein. Wann diese Videos der Öffentlichkeit präsentiert werden, ist allerdings unklar.
Auch wenn es nicht den Anschein macht: Geld ist in der Bigfoot-Forschung Mangelware. Hightechgeräte wie Wärmebildkameras können sich nur wenige leisten. Ohne SponsorInnen ginge gar nichts, und nicht jeder hat sie. Anthropologe Jeff Meldrum gehört zu den Glücklichen: Sein North American Ape Project hat 2008 von einer Stiftung 130 000 Franken erhalten. Quasi den Jackpot geknackt hat die kalifornische Bigfoot Field Researchers Organization: Sie konnte kürzlich den US-Multimillionär Wally Hersom als Gönner gewinnen. Doch Meldrum findet, dass Geld nicht alles ist: «Zeit ist ebenso wichtig.»
Kann Bigfoot sprechen?
Kommt Zeit, kommt DNA. Und dann auch die Antwort auf die Frage, was der Sasquatch ist. Jeff Meldrum und viele andere Bigfoot-ForscherInnen vermuten, dass er ein grosser Affe wie der Gorilla oder Orang-Utan ist. Laut Meldrum soll er ein Nachfahre des ausgestorbenen Riesenaffen Gigantopithecus sein. «Er hatte die passende Grösse und lebte am passenden Ort zur passenden Zeit.» Gigantopithecus streifte vor mehreren Millionen Jahren durch die Wälder Ostasiens – zur Zeit, als die Kontinente Asien und Amerika noch miteinander verbunden waren, ein riesiger Wald erstreckte sich von China bis Kanada.
Andere Bigfoot-AdvokatInnen glauben, dass Bigfoot ein Urmensch, ein sogenannter Hominide, ist. Er verhalte sich viel zu intelligent, um ein Affe zu sein, argumentieren sie. Jüngst erhielt diese Ansicht Auftrieb, als der US-amerikanische Linguist Scott Nelson behauptete, Sasquatch könne sprechen. Er hatte Tonbänder analysiert, die im Zusammenhang mit Sasquatch-Sichtungen in den siebziger Jahren in der Sierra Nevada aufgenommen worden sind. Auf den Bändern sei eine komplexe, unbekannte Sprache zu hören, erklärte Nelson. Meldrum kennt die Studie. Er finde sie faszinierend, teile aber nicht die Meinung, dass die Kreatur deshalb menschlich sein müsse. «Selbst wenn Sasquatch über eine Sprache verfügen sollte, würde das nicht bedeuten, dass es kein Affe sein kann. Schimpansen haben gezeigt, dass sie intelligent genug wären, um zu sprechen. Sie sind einfach anatomisch nicht in der Lage. Vielleicht hat der aufrechte Gang des Sasquatch zu einer Veränderung des Vokaltraktes geführt, die es ihm ermöglicht, zu sprechen.»
Schweizer Monsterjäger
An der Suche nach Bigfoot beteiligte sich einst auch ein Schweizer: der Luzerner René Dahinden. «Er war mitverantwortlich, dass das Phänomen weltweit wahrgenommen wurde», sagt der US-amerikanische Hobby-Bigfoot-Forscher Daniel Perez, der mit Dahinden befreundet war. Dahinden wird 1930 geboren. Mit 23 Jahren wandert er nach Kanada aus und arbeitet auf einer Farm in der Nähe von Calgary. Er erfährt von Bigfoot-Sichtungen, schnell entfaltet sich eine Obsession, der er alles unterordnet. Er befragt Menschen in Kanada und den USA, die Bigfoot gesehen haben wollen, untersucht Fussabdrücke und tauscht sich mit anderen Bigfoot-JägerInnen aus. Er erwirbt zudem 51 Prozent an den besten Bigfoot-Aufnahmen – dem berühmten, 1967 vom Bigfoot-Jäger Roger Patterson geschossenen Film. Noch heute wird kontrovers diskutiert, ob er gefälscht ist oder nicht. René Dahinden stirbt 2001 an Krebs, einen Bigfoot bekam er nie zu Gesicht.
Dahinden war nicht der erste Eidgenosse, der auszog, um mysteriöse Affenmenschen zu suchen. Edouard Wyss-Dunant und Norman Dyrenfurth stapfen in den fünfziger Jahren durch den Himalaja, um den sagenhaften Yeti aufzuspüren. Sie sollen auf riesige Fussabdrücke gestossen sein. Noch früher, in den zwanziger Jahren, gelingt einem Westschweizer namens François de Loys Aufsehenerregendes: Er schiesst im Dschungel Venezuelas ein Foto von einem toten menschenähnlichen Affen. Laut de Loys handelte es sich um eine unbekannte Art. Zwei venezolanische Forscher argumentieren jedoch im 2008 erschienenen Buch «Ameranthropoides loysi» einleuchtend, dass das Foto eine Fälschung ist. Es zeige bloss einen Klammeraffen, so ihr Fazit. Und es habe dazu gedient, eine rassistische Evolutionstheorie zu verbreiten.
Nachtrag vom 14. April 2011 : DNA-Analyse soll Bigfoot beweisen
Hunderte von AugenzeugInnenberichten sowie Fussabdrücke sprechen für die Existenz von Bigfoot, wie die mysteriöse affenartige Kreatur aufgrund ihrer grossen Fussspuren genannt wird. Doch handfeste Beweise in Form von Knochen existieren bisher nicht. Einem US-amerikanischen Forscherteam soll nun gelungen sein, Bigfoot-Genmaterial sicherzustellen. Es möchte damit beweisen, dass es die zotteligen Zweibeiner wirklich gibt.
Die texanische Tierärztin und Genforscherin Melba Ketchum leitet das Unterfangen. «Wir konnten DNA aus verschiedenen Proben gewinnen, von denen wir glauben, dass sie von einem Bigfoot stammen», sagt sie. Die Proben – bestehend aus Haaren, Blut und Speichel – stammen aus privaten Forschungsprojekten. Zum Beispiel von einer Biologin aus Kentucky, die auf ihrer Farm angeblich öfter von einem Bigfoot aufgesucht wurde. Zu den bisherigen Resultaten schweigt Ketchum noch: «Momentan ist das Peer-Review im Gang. Ich schätze, dass die Ergebnisse im Spätfrühling veröffentlicht werden.»
Der Biologe Michael Krützen von der Universität Zürich ist skeptisch: «Ich denke nicht, dass DNA ausreichen wird. Die Genetik ist nur ein Aspekt der Artbeschreibung. Man muss auch die Morphologie einbeziehen, und dazu müssen Knochen vorliegen.» Er vermutet, dass Ketchum die mutmassliche Bigfoot-DNA mit solcher von bekannten Arten wie etwa dem Schimpansen vergleiche, um Unterschiede auszumachen. Krützen selbst beschäftigt sich vor allem mit dem Orang-Utan in Südostasien. Er glaubt nicht, dass es den Bigfoot wirklich gibt. «Nordamerika ist doch relativ dicht besiedelt, sodass es unwahrscheinlich ist, dass ein Tier dieser Grösse so lange versteckt leben kann.» Doch andernorts, etwa in den weitläufigen Regenwäldern Asiens, würden immer wieder neue Affenarten entdeckt.
Christoph Kummer