Europa und die Krise: Auf dem Schuldenberg

Nr. 12 –

Wenn die Eurozone nicht auseinanderbrechen soll, muss sie vom Dogma abrücken, jedes Land sei für seine Nationalökonomie selbst verantwortlich.


In Deutschland trommeln die Gazetten seit Wochen: Krisenstimmung allenthalben. In grellen Farben wird der Staatsbankrott an die Wand gemalt. Deutschland scheint die Parole der Linken übernommen zu haben: «Wir zahlen nicht für eure Krise!»

Eine böse Schlinge

Gemeint ist allerdings nicht die Krise der Banken und Finanzmärkte, sondern die Finanzkrise Griechenlands und die der übrigen schwer verschuldeten sogenannten PIIGS-Länder (Portugal, Italien, Island, Griechenland und Spanien). Im europäischen Haus hängt der Segen mehr als schief, es gibt handfesten Krach um die Staatsfinanzen. Den verschwenderischen Griechen werden die Leviten gelesen, auf das Schuldenmachen, das angebliche Leben in Saus und Braus, hat nun die Strafe zu folgen: das Sparen, eisern und rücksichtslos. Nun überbietet man sich gegenseitig – die griechische Regierung, ihre GläubigerInnen, ihre NachbarInnen – in immer aberwitzigeren Sparplänen. Innerhalb von drei Jahren soll ein Defizit von knapp dreizehn Prozent auf unter drei Prozent heruntergefahren werden – koste es, was es wolle: Jobs, Löhne, Pensionen, öffentliche Leistungen. Sonst gehe angeblich die Welt unter beziehungsweise der Euro.

Natürlich wird der Euro nicht untergehen, von Staatspleiten kann in absehbarer Zeit keine Rede sein, auch wenn neben Griechenland auch andere Länder in Europa – etwa Italien – Schuldenquoten von über 100 Prozent aufweisen. Von den G7-Staaten haben schon fast alle solche Schuldenquoten. Japan beispielsweise, immerhin die zweitgrösste Volkswirtschaft der Welt, steht mit über 230 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts in der Kreide. Für die Länder der Eurozone aber wird es ebenfalls ungemütlich. Denn die Schulden steigen weiter, auf japanisches Niveau, befürchtet die Europäische Zentralbank (EZB). Und die Schuldenfalle, in die die GriechInnen jetzt hineingetrieben werden, ist ja nicht von den Ratingagenturen und den FinanzmarktakteurInnen allein aufgestellt worden, die EU hat mit den angeblich klaren Haushaltsregeln des Maastrichter Vertrages eine böse Schlinge ausgelegt, in der sich nun alle verfangen.

Wie gehts wieder runter?

Zur Jahreswende gab es grossen Medienjubel, die RegierungschefInnen klopften sich auf die Schultern: Das Ende der Rezession war da, man feierte Wachstum, auch wenn es nur magere 0,1 bis 0,3 Prozent waren. Was seit dem Sommer 2008 dafür rapide wächst, sind die Schuldenberge: Fast 25 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung haben die europäischen Länder mobilisiert, um ihre Banken zu retten – und noch stecken Milliarden an faulen Krediten in den Bilanzen. Von den Schuldenbergen kommt man nach konventioneller ökonomischer Weisheit nur wieder runter, wenn die jeweilige Wirtschaft rascher wächst, als die Zinslasten steigen. Einstweilen beharren die Zentralbanken in Europa auf der Politik des billigen Geldes. Sehr zur Freude der Banken, die sich das Geld, das sie den Regierungen teuer verleihen – womöglich mit saftigen Risikoaufschlägen – beinahe zum Nullzins von den Zentralbanken holen können.

Da die Wachstumsaussichten angesichts gigantischer Überkapazitäten in den kommenden Jahren aber trübe sind, wird es keinen sanften Schuldenabbau dank neuer Prosperität geben. Kaum eine Regierung kann es sich in den nächsten Monaten und Jahren leisten, auf einen allzu radikalen Sparkurs umzusteigen. Also beherrscht die Sparrhetorik das Feld, also wird der öffentliche Sektor weiter privatisiert und öffentliches Eigentum zu Geld gemacht. Also werden die EuropäerInnen wie die US-AmerikanerInnen wohl noch Jahre oder Jahrzehnte an den Folgen der Finanzkrise zu kauen haben. Wenn nicht ein radikaler Politikwechsel gegen die Dominanz der Finanzmärkte erfolgt. Im Moment ist davon allerdings nichts zu sehen.

Hinter dem Streit um die Staatsschulden der anderen steht auch ein Streit um die Ausrichtung der EU-Politik. Mit dem Lissaboner Vertrag ist die Konkurrenz statt der Kooperation zum obersten Gesetz der Union erhoben worden, die absurde Idee, dass jedes Land für seine eigene Nationalökonomie allein verantwortlich sei. Doppelt absurd in Europa, der am stärksten integrierten ökonomischen Grossregion der Welt.

Bezahlt wird nicht

Wenn die Eurozone nicht auseinanderbrechen soll, braucht sie ein Mindestmass an Koordination der Wirtschafts- und Finanzpolitik ihrer Mitgliedsländer, muss sie vom Dogma des Wettbewerbs abrücken.

Nun werden allerlei Pläne aus dem Hut gezaubert, um den Euro zu retten und die Haushaltsdisziplin durchzusetzen. Da soll plötzlich ein europäischer Währungsfonds nach dem Muster des IWF her. Allerdings lässt sich ein solcher Fonds nicht über Nacht aus dem Hut zaubern, und die Mitgliedsländer der EU beziehungsweise der Eurozone müssten die notwendigen Einlagen für den Fonds auch selbst aufbringen. Aber woher nehmen? Kommissionspräsident José Manuel Barroso wartet mit einem ganz eigenen Plan auf – «Europa 2020», ein Zehnjahresplan, der den Abbau der Schuldenberge in die Wege leiten soll.

Im Hintergrund gibt es allerdings zwischen einigen Regierungen in Europa eine bemerkenswerte Annäherung. Präsident Obama ist mit gutem Beispiel vorangegangen und will den Banken die Rechnung für ihre Rettung präsentieren. Da das Kapital trotz dieser Drohung keine Neigung zeigte, in Massen aus den USA zu flüchten, fassten auch die BritInnen Mut. Nun heisst es auch in London, eine Bankenabgabe müsse her; die VerursacherInnen der Krise, Banken und andere Finanzinstitute, die bereits wieder fröhlich Millionenboni verteilen, sollen die Milliarden zurückzahlen, die den SteuerzahlerInnen zu ihrer Rettung abgeknöpft wurden. Das scheint inzwischen sogar der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel einzuleuchten. Also wird es neue Steuern geben, vielleicht sogar für die Banken. Bleibt noch die radikale Lösung, die sich bisher nur die IsländerInnen getraut haben: Bezahlt wird nicht. Die Bürger Griechenlands scheinen das ähnlich zu sehen. Deshalb das europäische Trommelfeuer: Jeder Widerstand gegen die Politik des eisernen Sparens soll im Keim erstickt werden.