Staatskrisen: Vom Griechen lernen!
Wer Geldgewinne machen will, braucht SchuldnerInnen – so einfach ist das. Und so praktisch, wenn die Staaten mitmachen. Dabei wusste schon der weise Solon von Athen, wie Schuldenlasten abgeschüttelt werden können.
Seit dem Ausbruch der Subprime-Immobilienkrise im Dezember 2007 sind mindestens 375 Fonds und Banken bankrottgegangen. Die Staaten haben Billionenbürgschaften übernommen, das verspekulierte Eigenkapital ersetzt oder wertlose Wertpapiere gegen gutes Geld der Zentralbanken ausgetauscht. Im Euroraum, das hat die Europäische Zentralbank (EZB) errechnet, beliefen sich die von den Banken in Anspruch genommenen Staatsgarantien 2009 auf 9,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Das ist dreimal mehr für die privaten Banken als das nach Maastricht-Kriterien zulässige Defizit der öffentlichen Hand.
Woher kommt das Geld für diese Hilfen? Im Prinzip aus drei Quellen. Erstens, so hofft man, aus dem zukünftigen Wachstum. Die Banken finanzieren Investitionen, und aus den Überschüssen der wachsenden Wirtschaft werden die Bankkredite bedient. Also nichts da mit einer ökologisch nachhaltigen «De-growth»-Wirtschaft. Wachstum ist das A und O der Finanzstabilität.
Wenn das Geld nicht aus der wachsenden Wirtschaft stammt, kann es zweitens nur mithilfe von Steuern oder Kürzungen bei Staatsausgaben aufgebracht werden. Der griechische Fall ist instruktiv: Um fünf Prozent des BIP für den Schuldendienst freizubekommen, werden öffentliche Ausgaben radikal gekürzt und die Massensteuern erhöht. Als Gegenleistung gibt es Kredite von der EU und dem Internationalen Währungsfonds (IWF). Der griechische Nationalstaat betreibt mit Unterstützung internationaler Institutionen eine strenge Sparpolitik, deren Wirkungen wohl eher kontraproduktiv sind – wie ähnliche Programme zeigen, die der IWF ab den achtziger Jahren vielen Ländern mit desaströsen sozialen Folgen aufgedrängt hat. In Lateinamerika und Asien hält man daher den IWF so fern wie möglich, in Europa laden Angela Merkel und Nicolas Sarkozy den Pleitegeier aus Washington zum Flug über die Ägäis.
Das Griechenland auferlegte Sparpaket erinnert an die Reparationsverpflichtungen Deutschlands nach dem Ersten Weltkrieg. John Maynard Keynes plädierte in einem Artikel mit dem Titel «The German Transferproblem» für die Streichung der Schulden Deutschlands, um die schlimmen Folgen für das Schuldnerland, aber auch für die Gläubigerländer und die damalige Weltwirtschaft insgesamt abzuwenden. Den Artikel aus dem Jahr 1929 sollten all jene lesen, die 2010 über Griechenland und die GriechInnen herfallen.
Im Notfall hilft halt die EU
Die Umverteilung erfolgt noch durch einen dritten Kanal. Finanzinstitute können sich bei den Zentralbanken zu Zinssätzen nahe null mit Geld vollpumpen und das Geschäft des Investmentbankings fortsetzen. Dazu benötigen sie allerdings nicht nur billiges Geld, sondern auch neue SchuldnerInnen, da die alten, mit denen alles anfing, ausgefallen sind. Diese Funktion des neuen Schuldners erfüllen die Staaten: Die EZB klagt in ihrem Jahresbericht 2009 denn auch über die rasant steigende Bruttoverschuldung von durchschnittlich 66 Prozent des BIP 2007 auf 78,2 Prozent im Jahr 2009. Von den sechzehn Ländern der Eurozone sind dreizehn einem Defizitverfahren unterworfen. Ausserhalb des Euroraums liegt die öffentliche Verschuldung zum Teil noch höher.
Die Staaten mussten sich verschulden, und zwar bei den privaten Banken. Warum? Weil sie soeben die privaten Banken und Fonds aus ihren prekären Engagements heraushauen und vor dem Bankrott bewahren mussten. Zum Dank müssen die Staaten den privaten Banken viel höhere Zinsen zahlen als die Banken bei der Zentralbank für das Geld entrichten, das sie einer anderen öffentlichen Einrichtung – den Regierungen – leihen. Das ist pervers.
Die Geschäftsbanken finden auf einmal ein neues und lukratives Geschäftsfeld vor. Sie haben zwar, wenn sie zum Beispiel griechische Staatsanleihen kaufen, ein gewisses Ausfallrisiko, aber dafür erheben sie einen Risikoaufschlag. Für die Banken ist das ein gutes Geschäft: hohes Risiko, hohe Zinsen, hohe Gewinne. Und wenn der Risikofall eintritt, hilft die EU.
Die Schulden der PIIGS-Staaten (Portugal, Italien, Irland, Griechenland, Spanien) und die satten Gewinne der Banken haben miteinander zu tun. Die Deutsche Bank verkündet im April 2010 einen Quartalsgewinn von 2,8 Milliarden Euro, das wären auf das Jahr umgerechnet mehr als 11 Milliarden Euro. Gleichzeitig wird durch Ratingagenturen die griechische Bonität herabgestuft, sodass sich die Zinsbelastung für den griechischen Staat – also letztlich für die Steuern zahlende Bevölkerung – beträchtlich erhöht.
Immer wieder neue Schuldner
Man muss also über Schuldnerinnen und Gläubiger, über Geld als Forderung und Geld als Verpflichtung reden. Die GeldvermögensbesitzerInnen sind die global operierenden Finanzinstitute; die SchuldnerInnen allerdings wechseln, weil sie überfordert werden oder vom Markt verschwinden. Dann müssen auf neuen Anlagefeldern neue SchuldnerInnen gefunden werden. Zu Beginn der Schuldenkrise der Dritten Welt in den achtziger Jahren waren die Schulden zu achtzig Prozent privat, aber am Ende des Jahrzehnts zu nahezu hundert Prozent staatlich: Der Staat hat den Schuldendienst übernommen.
Bei diesem Tausch war der IWF hilfreich: Geldvermögen wurden gerettet; grosse Gläubigerbanken, die knapp vor dem Zusammenbruch standen, konnten weitermachen und neue SchuldnerInnen suchen.
Die fanden sie in den Schwellenländern, bis auch die unter der Belastung der renditehungrigen Finanzinstitute zusammenbrachen. Das geschah in der Mexikokrise 1994, in der Asienkrise 1996, der Russland- und der Brasilienkrise zwei Jahre später und dann – besonders spektakulär – in der Staatspleite Argentiniens 2001.
Zwar machten auch die Finanzinstitute Verluste. Aber sie hatten noch genug Geldvermögen in petto, um den New Economy-Boom in den USA auszulösen, bis aus den Kursen der Internet-Start-ups die Luft entwich, die Börsenblase platzte, die Dotcom-Firmen als Schuldnerinnen ausfielen und neue SchuldnerInnen hermussten, denn sonst konnte das Geld ja nicht «arbeiten». Die boten sich mit hilfreicher Unterstützung der Bush-Regierung an. Es waren die US-amerikanischen HäuslebauerInnen, die einen Subprime-Immobilienboom auslösten, der in Spanien, Irland oder China NachahmerInnen fand, aber 2007 zusammenbrach.
Diese Krise ist bis heute nicht überwunden. Geldvermögen mussten abgeschrieben werden, aber nur als «haircut», der nicht wehtat. Die neuen Schuldnerinnen sind nun die öffentliche Hand, deren Verbindlichkeiten in aller Welt wachsen. Die Krise kann so nicht überwunden, sie kann nur fortgesetzt werden. Was könnte die nächste attraktive Anlagesphäre sein? Die Energiewirtschaft, die Gen- und Biotechnologien, also jene Sphären, die gemeinhin als grün bezeichnet werden und deren Finanzierungsbedarf mit mehr als vierzig Billionen Euro beziffert wird?
Schulden weg – Frieden herrscht
Doch es gibt eine Möglichkeit, den fortlaufenden Schuldnerwechseln ein Ende zu setzen, und die finden wir bei Keynes vor achtzig Jahren und schon viel früher im antiken Griechenland. Der – heute würden wir sagen – Reformpolitiker Solon, einer der sieben Weisen, setzte in Athen im Jahr 594 vor unserer Zeitrechnung die «Abschaffung der Schuldknechtschaft», die «Lastenabschüttelung» (seisachtheia) durch. Aristoteles schätzte 200 Jahre nach Solon die Entschuldung der SchuldnerInnen und die gleichzeitige Reduzierung der Ansprüche der Reichen als wichtiger ein als die Ausarbeitung der Athener Verfassung. Denn mit der Lastenabschüttelung wurde Frieden im Gemeinwesen gestiftet, und Frieden ist die Grundlage jeder verfassungsmässigen Ordnung.
Das wäre auch in der derzeitigen Finanzkrise ein höchst aktueller Ausweg. Insolvente SchuldnerInnen werden durch geregelte Schuldenstreichung (in einem ordentlichen Insolvenzverfahren) entschuldet. Die dazu notwendigen Regeln können nicht die MarktakteurInnen setzen, da sie private Partialinteressen verfolgen und sich wechselseitig nur übers Ohr zu hauen versuchen. Und diese Regeln, die dem Wohl der Allgemeinheit dienen, können nur durch soziale Bewegungen erkämpft und politisch durchgesetzt werden.