Alternativer Klimagipfel: Zuerst die Schmetterlinge

Nr. 17 –

Die grosse Konferenz im bolivianischen Cochabamba endete mit einem erstaunlich radikalen Abkommen. Der kommende Uno-Klimagipfel in Mexiko verspricht, spannend zu werden.


Wie viel ein paar flapsig dahingesagte Sätze kaputt machen können! Dabei wollte Evo Morales doch nur von seinem drögen Redemanuskript ablenken und für gesunde Nahrung werben: Und so machte er in einer Randbemerkung zuerst Industriehühner für zu viele weibliche Hormone bei Männern verantwortlich und dann auch noch Genfood für grassierenden Haarausfall in Europa. Zwei unbedachte Sprüche, und schon war das mediale Desaster komplett: Auf dem Sportplatz von Cochabamba, wo der bolivianische Präsident am Dienstag letzter Woche zum Auftakt der Weltkonferenz der Völker über Klimawandel und Rechte der Mutter Erde sprach, ging man bald zur Tagesordnung über, doch in der nationalen und der internationalen Presse sorgten seine Äusserungen für Schadenfreude und Proteste – die tatsächlichen Anliegen des alternativen Klimagipfels wurden dabei tunlichst ignoriert.

Zu Unrecht: Die vier Tage auf dem Campus der Valle-Universität unweit von Cochabamba im Zentrum Boliviens könnten einen Aufbruch für KlimaaktivistInnen markieren, ja für die globalisierungskritische Bewegung insgesamt. Gut 35000 TeilnehmerInnen waren letzte Woche der Einladung von Evo Morales gefolgt; fast 10000 davon waren aus insgesamt 141 Ländern angereist.

Keine Almosen des Nordens

Unter ihnen waren Leute wie Tadzio Müller. Der 33-jährige Umweltaktivist aus Berlin – schwarzes T-Shirt, schwarze Shorts, kurzer Vollbart – nutzte das Treffen vor allem zur Vernetzung, etwa für eine geplante weltumspannende Klimaaktionswoche im Oktober, an der sich auch der Kleinbauerndachverband Vía Campesina und Kampagnengruppen wie 350.org beteiligen. «Die Tage hier waren für mich interessant und produktiv», sagte er zufrieden, er habe sich sehr an die Weltsozialforen erinnert gefühlt.

In der Tat: In Cochabamba stand der Austausch von Gleichgesinnten im Vordergrund; kontroverse Debatten waren eher die Ausnahme. Doch in mancher der siebzehn offiziellen Arbeitsgruppen wurde zäh gestritten und an jeder Formulierung gefeilt. Denn anders als auf den Weltsozialforen, wo bewusst auf gemeinsame Deklarationen verzichtet wird, wollte die bolivianische Regierung ein Ergebnis präsentieren.

Diese Deklarationen fielen vielfach radikaler aus als erwünscht: In der Arbeitsgruppe «Wälder» etwa setzten sich die KritikerInnen des Emissionshandels gegenüber regierungsnahen FunktionärInnen aus Venezuela oder Bolivien durch, die für eine Autonomie der Indígenas nur wenig Verständnis zeigen. Die Vorsitzende der Arbeitsgruppe, Camila Moreno aus Brasilien, lobte entsprechend den «wunderbaren Konsens», den man erreicht habe: «Anders als bislang in der Klimakonvention dürfen künstlich angelegte Monokulturen wie Eukalyptusplantagen nicht als Wälder definiert werden, und die Rechte der Indígenas müssen ausdrücklich berücksichtigt werden.»

Besonders freute sich die Vorsitzende Moreno über das klare Nein zum Emissionshandel, der einen «neoliberalen Mechanismus» zur Privatisierung der Urwälder darstelle. An seiner statt befürworteten die TeilnehmerInnen die Einrichtung von freiwilligen Fonds, die auf der Anerkennung der «Klimaschulden» des Nordens gründen. «Das ist ein ganz entscheidender Unterschied», erläuterte Moreno, «wir wollen keine Almosen des Nordens als Gegenleistung für sogenannte Umweltdienstleistungen und keine Gelder, die an bestimmte Marktbedingungen geknüpft sind und erst noch als Ablasszahlungen innerhalb des Emissionshandels gutgeschrieben werden. Wir wollen die ökologische Restaurierung der Wälder durch die Völker.»

Um solche Details machte Evo Morales auf seiner Pressekonferenz einen grossen Bogen. «Es geht nicht mehr um Kapitalismus, Sozialismus oder Kommunismus, sondern um etwas Tieferes, um neue planetarische Werte», sagte er. «Wenn wir die Rechte der Natur verteidigen, dann verteidigen wir auch die Menschenrechte.» Als Gesellschaftsform schwebt dem Präsidenten ein «kommunitärer Sozialismus» vor.

Zur Förderung und zum Export der südamerikanischen Bodenschätze, dem von ÖkologInnen kritisierten «neuen Extraktivismus», sieht Morales allerdings kurz- und mittelfristig keine Alternative; ebenso wenig zum Bau neuer Überlandstrassen im Rahmen der neoliberal begründeten Infrastrukturinitiative IIRSA, die die Verkehrs- und Kommunikationswege zwischen zwölf südamerikanischen Staaten angleichen will. Hinter den Protesten gegen solche Projekte steckten nichtstaatliche Organisationen, die die lokale Bevölkerung manipulierten, lautete seine bewusst verkürzte Erklärung.

Sein Vize Álvaro García Linera machte in einer Grundsatzrede klar, dass er die Klimafrage primär auf der globalen Ebene diskutieren möchte: «Isolierte Lösungen gibt es nicht, wir müssen gemeinsam gegen die Verschärfung des Klimadesasters kämpfen.» Lag er mit seinem antikapitalistischen Credo ganz auf der Linie seines Publikums, sorgten seine Äusserungen gegen einen angeblich «romantischen Konservierungsglauben» bei manchen für Bauchschmerzen. Statt von unberührten Naturvölkern müsse man von Indígenas ausgehen, die schon längst «in die Konsumwelt eingetreten sind», dozierte der strategische Kopf der bolivianischen Regierung.

Der «Weg des Gleichgewichts»

Aussenminister David Choquehuanca setzte hingegen andere Schwerpunkte. Der Vordenker des oft beschworenen Konzepts des «Guten Lebens», das an die traditionelle Weltsicht der UreinwohnerInnen im Andenraum anknüpft, sagte: «Im Kapitalismus steht das Geld, im Sozialismus der Mensch im Mittelpunkt. Für uns Indígenas sind aber die Berge, unsere Flüsse und unsere Luft das Wichtigste. Zuerst kommen die Schmetterlinge, die Ameisen, unsere Berge und zuletzt der Mensch.» Die Aufgabe aller indigenen Völker sei es, diese «verschütteten Werte» zurückzugewinnen und auf den «Weg des Gleichgewichts» zurückzukehren; sozialistische Vorstellungen seien damit durchaus vereinbar. «Der Wandel liegt in der Hand der Völker, nicht bei den Präsidenten, Ministern oder Abgeordneten.» Mit diesem Satz sprach Choquehuanca indirekt die durchaus vorhandenen umweltpolitischen Spannungen im eigenen Land an.

Diese nämlich äusserten sich am deutlichsten in der regierungskritischen Arbeitsgruppe 18, die sich mit den fatalen Folgen von Megaprojekten wie IIRSA für Mensch und Umwelt beschäftigte. Auf Anweisung von oben mussten die DissidentInnen ausserhalb des Campus tagen, doch so leicht liessen sie sich nicht unterkriegen. Einer ihrer Leiter, Aymara Rafael Quispe, war zugleich Ko-Vorsitzender einer offiziellen Arbeitsgruppe. Und so fand sich die zentrale Forderung der 18er – nämlich verbindliche Referenden bei Megaprojekten – schliesslich doch in der Abschlusserklärung wieder.

Ein weltweites Referendum

Überhaupt hat es das zehnseitige «Abkommen der Völker» in sich. Vielfach stellt es den Wachstumsfetischismus der lateinamerikanischen Linksregierungen infrage. So bezeichnet es das Agrobusiness, das Lebensmittel für den Markt, aber nicht für die Ernährung aller Menschen produziere, als einen der Hauptverursacher des Klimawandels. Agrosprit, Emissionshandel, Gentechik, Geo-Engineering oder Monokulturen seien allesamt falsche Lösungen im Kampf gegen den Klimawandel, heisst es in der Abschlusserklärung. Durch grosse Infrastruktur- und Bergbauprojekte würden indigene und bäuerliche Gemeinschaften in ihrer Existenz bedroht.

An die Industrieländer ist die Forderung des Alternativen Klimagipfels gerichtet, ihren CO2-Ausstoss bis 2020 zu halbieren und sechs Prozent ihres Bruttoinlandprodukts in einen Weltklimafonds einzuzahlen. In einem weltweiten Referendum soll darüber abgestimmt werden, ob die Verteidigungsausgaben nicht lieber für den Klimaschutz umgewidmet werden sollten. Schliesslich soll ein Weltklimagerichtshof künftig Unternehmen und Regierungen verklagen können.

Die «Schlacht von Cancún»

Arbeitsteilig werden nun auch die AktivistInnen und die Linksregierungen vorgehen: Evo Morales kündigte an, das «Abkommen der Völker» demnächst höchstpersönlich in die Uno-Vollversammlung einzubringen – im Vorfeld des kommenden Klimagipfels, der im Dezember im mexikanischen Seebad Cancún stattfinden wird.

Auch dem Berliner Klimaaktivisten Tadzio Müller ist in Cochabamba klar geworden: «Wir dürfen Cancún nicht ignorieren, sonst isolieren wir uns zu sehr.» Und Boliviens Präsident weiss: «In Cancún müssen wir überzeugen, erklären, überreden und uns Gehör verschaffen. Unsere Bewegung muss auf der ganzen Welt wachsen, um die Industrieländer dazu zu zwingen, die Positionen der sozialen Bewegungen zu respektieren.» Und Hugo Chávez, der einzige weitere anwesende Staatschef, spricht bereits von der «Schlacht von Cancún».



«Es ist Zeit, ‹glokal› zu denken»

Der 61-jährige Ökonom Alberto Acosta war 2007 Energie- und Bergbauminister Ecuadors. Er verblüffte die Welt damals mit dem Vorschlag, auf die Erdölförderung im Nationalpark Yasunì zu verzichten, wenn die internationale Staatengemeinschaft dafür einen Finanzausgleich bietet (siehe WOZ Nr. 6/10). Als Vorsitzender des Verfassungskonvents sorgte er ausserdem dafür, dass die «Rechte der Natur» in das ecuadorianische Grundgesetz aufgenommen wurden. Acosta verliess die Regierung Mitte 2008 im Streit mit Präsident Rafael Correa.

WOZ: Herr Acosta, was halten Sie von der Klimagipfel-Initiative der bolivianischen Regierung?

Alberto Acosta: Sie ist ein wertvoller Anstoss, der noch vertieft werden muss. Zunächst einmal war dieser Gipfel eine Reaktion auf das totale Scheitern der Uno-Klimakonferenz in Kopenhagen. Dort wurde ja die multilaterale Logik der Uno in Stücke gerissen. Unter der Führung von Barack Obama versuchte dort eine Gruppe von Ländern, ein völlig belangloses Abkommen ohne jegliche Verpflichtungen durchzusetzen.

Wie haben Sie die Debatte über die «Rechte der Mutter Erde» hier in Cochabamba erlebt?

Das Thema Naturrechte muss von unten her entwickelt werden, als Ergänzung zu den Menschenrechten und der Logik der westlichen Rechtsgeschichte. Für die Indígenas ist die Natur Teil eines Ganzen. Wir müssen das innerhalb der westlichen Logik formulieren, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Wir sind Teil der Natur.

Die Realität sieht anders aus, auch in Ecuador, Venezuela und Bolivien.

Ja, es ist fatal, die Pachamama, die Mutter Erde, nur auf globaler Ebene zu betrachten und die nationale oder lokale Ebene auszuklammern. Der Widerstand gegen den Bergbau an einem bestimmten Ort betrifft uns alle, wir müssen «glokal» denken.

Erwarten Sie rasche Fortschritte?

Eine Ausarbeitung der Rechte der Natur ist wichtig, auch ihre Umsetzung. An den Universitäten müssten Projekte entwickelt werden, etwa über Verfassungsänderungen in diese Richtung. Das geht aber nicht über Nacht. Es hat ja auch sehr lange gedauert, bis Sklaven, Frauen oder Kinder Rechte bekamen.

Wie gross ist die Chance, dass von Cochabamba aus tatsächlich die Uno-Klimaverhandlungen beeinflusst werden können?

Entsteht eine weltweite Bewegung für die Rechte der Natur und alles, was damit zusammenhängt, und steigt in den Ländern der Druck auf die Regierungen, dann könnte sich in Cancún etwas ändern, wo der nächste Klimagipfel stattfinden wird. Und die fortschrittlichen Regierungen Südamerikas sollten gemeinsame Positionen herausarbeiten.

Bisher ist das schwergefallen ...

Ja, denn sie verfolgen die Förderung und den Export von Bodenschätzen. Wenn es starke soziale Kräfte gibt, kann sich das ändern. Bis Cancún müsste es zu vielen Mobilisierungen kommen, damit sich die Unverschämtheiten von Kopenhagen nicht wiederholen. Jetzt werden ja jene Länder bestraft, die sich weigern, das «Abkommen» Obamas zu unterschreiben. Gerade wurden Ecuador und Bolivien bereits zugesagte Millionenhilfen für Umweltprojekte entzogen – von den USA, die das Kioto-Protokoll nicht unterzeichnet haben! Darüber muss viel mehr informiert werden, auch über das, was in Kopenhagen passiert ist, und warum Kioto überholt ist ...

Der Ökonom Alberto Acosta hat mehrere Bücher über die Geschichte der ecuadorianischen Wirtschaft und den Amazonas geschrieben sowie Analysen über die Petroökonomie verfasst.

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Dieser Artikel wurde ermöglicht durch den Recherchierfonds des Fördervereins ProWOZ. Dieser Fonds unterstützt Recherchen und Reportagen, die die finanziellen Möglichkeiten der WOZ übersteigen. Er speist sich aus Spenden der WOZ-Leser:innen.

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