Erdöl: Fordern statt fördern
Ecuadors Regierung möchte auf die Erdölförderung im Amazonas verzichten - dafür will sie allerdings Geld. Ein Gespräch mit dem Energieminister Alberto Acosta.
WOZ: Herr Acosta, Sie wollen ein Naturschutzgebiet im Amazonasbecken vor der Ausbeutung der Ölreserven retten. Etwa eine Milliarde Barrel lagern dort. Für seinen Einnahmeverlust soll Ecuador dreissig Jahre lang etwa 350 Millionen US-Dollar im Jahr bekommen. Wer soll das bezahlen?
Alberto Acosta: Leute mit viel gutem Willen.
Das müssen aber sehr viele Leute mit sehr viel gutem Willen sein.
Und mit viel Geld. Das gibt es selten zusammen. Aber wir versuchen es. Denn dieses Gebiet, das Ishpingo Tambococha Tibutini heisst, kurz ITT, ist ein Naturreservat von enormer Biodiversität mit mehr als 500 Vogelarten und seltenen Pflanzen. Auch leben dort indigene Völker, die keinen Kontakt mit der Aussenwelt haben. Und keinen wollen. Die Tagaeri zum Beispiel. Sie sind dorthin geflohen. Diese Völker stehen unter dem Schutz der Uno. Schon deshalb müssen wir versuchen, dieses Gebiet zu schützen.
Und ökologisch verträgliche Ölförderung ist unmöglich?
Wir haben vierzig Jahre Erfahrung mit Ölförderung im Dschungel. Seitdem sind vier Milliarden Barrel Öl aus dem ecuadorianischen Urwald gefördert worden - die Bilanz ist vernichtend. Die Umweltzerstörung ist immens, die Folgeschäden sind noch lange nicht behoben. Und für viele indigene Völker im Amazonasbecken, etwa für die Tetetes und die Sansahuaris, bedeutete die Ankunft der Ölgesellschaften den Tod. Deshalb schlagen wir der internationalen Gemeinschaft vor, das Öl in der Erde zu lassen.
Sie wollen sich also dafür bezahlen lassen, dass Sie nichts tun?
Wir verlangen ja keine Entschädigung für Gewinne, die Privatunternehmen machen würden. Wir wollen von der internationalen Gemeinschaft auch nicht für alles entschädigt werden - wir wollen die Hälfte des möglichen Nettogewinns, den Ecuador machen würde. Den Wert des Öls werden wir exakt ausrechnen. Präsident Rafael Correa geht derzeit von einem Nettogewinn von 700 Millionen Dollar pro Jahr aus. Davon die Hälfte wären 350 Millionen Dollar. Dafür bekommt ihr von uns: keine CO2-Emission, Schutz der Artenvielfalt und der indigenen Völker. Und Sauerstoff aus dem Regenwald. Das ist doch kein schlechtes Geschäft.
Ein Geschäft ist es gerade nicht.
Doch, auch das. Es liegt auch eine ökonomische, unternehmerische Logik darin, die Biodiversität zu schützen. Denn im Amazonas liegen zahlreiche Antworten auf medizinische Fragen. Dort leben die Erfahrungen von Millionen Jahren Natur und Kultur, die uns bei globalen Herausforderungen helfen können, die wir noch nicht einmal kennen. Wer weiss, ob der Sauerstoff nicht mal das wertvollste Gut sein wird - viel teurer als Öl heute. Was heute wenig wert zu sein scheint, kann in einigen Jahrzehnten grossen Wert haben - und auch einen höheren Preis.
Haben Sie schon Antworten auf den Vorschlag erhalten?
Wir fangen zwar erst an, diese Idee zu verbreiten - aber doch, ja. Die Interamerikanische Entwicklungsbank will uns 150000 Dollar für eine Studie geben, um den Wert des Öls dort genau zu berechnen. Ein paar US-Universitäten wollen uns unterstützen. Das norwegische Parlament wird über das Naturreservat ITT diskutieren. Und Harrison Ford ist begeistert von der Idee - Indiana Jones gibt alles für ITT. Das ist doch ein Anfang.
Das klingt ja alles sehr sympathisch. Aber die Begehrlichkeiten sind doch immens. Die staatlichen Ölgesellschaften Chinas, Brasiliens, Venezuelas und Russlands wollen ITT mit Ecuador zusammen ausbeuten. Glauben Sie wirklich, dass Sie diesen Interessen trotzen können?
Dies ist ein Wettlauf um das Leben des Amazonas. Auf der einen Seite macht die Öllobby Druck, auf der anderen stehen Umweltverbände, internationale Organisationen, Nichtregierungsorganisationen und Regierungen, die Ideen entwickeln müssen, um ITT zu schützen.
Aber auch die mächtige staatliche Ölgesellschaft Petroecuador will ITT ausbeuten.
Natürlich wollen die das. Die Petroleros sind dafür ausgebildet, das Öl aus dem Boden zu befördern, und nicht dafür, es drin zu lassen. Für die Petroleros bedeutet Öl Dollars. Sie sehen nicht das Grün der Bäume im Amazonasbecken, sie sehen das Grün der Dollars, die das Öl bringt. Das ist der Fluch des Öls. Mehr Öl, mehr Geld. Ich kenne dieses Bewusstsein von mir selbst - als ich Marketingchef von Petroecuador am Amazonas war. Da wollte ich auch immer mehr Öl. Aber Petroecuador entscheidet nicht, ob ITT ausgebeutet wird - sondern die Regierung.
Präsident Rafael Correa hat die Idee, ITT zu schützen, kürzlich am lateinamerikanischen Energiegipfel vorgestellt. Haben Lula, Chávez und Co. ablehnend reagiert?
Nein, sie waren sehr überrascht.
Es ging bei dem Gipfel um die Ausbeutung von Gas und Öl und den Bau von Pipelines und Raffinerien. Niemand hat gesagt: Jetzt sind die Ecuadorianer verrückt geworden.
Gesagt hat es keiner. Aber wahrscheinlich haben sie es gedacht.
Venezuelas Präsident Hugo Chávez hat die Öleinnahmen verstaatlicht und forciert die Energiezusammenarbeit Lateinamerikas. Auf dem Ölreichtum Venezuelas fusst zum Teil der Erfolg der Linken in Lateinamerika.
Ja, aber wir sind nicht abhängig von Venezuela. Wir machen Geschäfte miteinander. Venezuela hat verstanden, dass es, wenn es nur die Tankstelle der USA bleibt, von den USA dominiert wird. Deshalb wird Chávez weiter Öl an die USA verkaufen, aber er sucht seine Verbündeten in Lateinamerika. Venezuela hat Öl im Überfluss. Über 300 Milliarden Barrel (die nachgewiesenen Ölreserven Venezuelas betragen rund 80 Milliarden Barrel. Anm. d. Red.). Ecuador hat 4,8 Milliarden Barrel. Wir werden an der ecuadorianischen Küste, mit Venezuelas Hilfe, eine grosse Raffinerie bauen, die uns und Venezuela nutzt. Das ist keine Grosszügigkeit von Chávez Ecuador gegenüber, sondern intelligenter Egoismus.
Das tut Chávez auch, wenn Venezuela ITT nicht ausbeuten darf? Das ist aber generös.
Nein, es ist keineswegs selbstlos, sondern ein gutes Geschäft für Venezuela. Denn die Raffinerie ist durch die Lage am Pazifik näher am asiatischen Markt, an China und auch nah an Peru, Chile und Kolumbien.
Aber trotzdem steckt die Correa-Regierung in einem Dilemma. Denn sie will, so wie Chávez in Venezuela, mit dem Öl Sozialprogramme finanzieren. Präsident Rafael Correa hat gerade die Sozialhilfe von fünfzehn auf dreissig Dollar verdoppelt - bezahlt wird das aus den Öleinnahmen. Und Sie wollen nun auf die Ausbeutung der grössten Reserven Ecuadors verzichten - zumindest auf die Hälfte der Einnahmen?
Ja, klar, das ist ein Problem. Aber ich bin davon überzeugt, dass Öl eine Falle für arme Länder ist. Es nährt die Hoffnung, dass man sich wirtschaftlich endlich entwickeln könne - aber das ist eine Illusion. Ölreichtum führt in unterentwickelten Ländern fast immer zu weniger Demokratie, zu mehr Korruption, zu Klientelismus, zu Umweltzerstörung und eben nicht zu einer autonomen, stabilen ökonomischen Entwicklung. Das ist nicht nur in Ecuador so, sondern auch in den autokratischen arabischen Staaten.
Aber die Öleinnahmen machen ein Drittel des ecuadorianischen Staatshaushaltes aus.
Stimmt. Aber wichtig ist vor allem, dass wir unsere falsche, verschwenderische Energiepolitik ändern. Denn Ecuador exportiert Rohöl, muss aber für viel Geld Diesel importieren, weil wir eben keine funktionstüchtigen Raffinerien haben. Ausserdem wird die Hälfte des Stroms aus Diesel hergestellt - ein völliger Irrsinn. Deshalb müssen wir endlich Wasserkraftwerke bauen, um billig und ökologisch verträglich Strom zu produzieren. Die Pläne dafür liegen seit fünfzehn Jahren in den Schubladen - doch wegen der neoliberalen Sparpolitik sind sie nie umgesetzt worden.
Herr Acosta, sind Sie nächstes Jahr noch Energieminister?
In Ecuador kann man als Minister nie wissen, wann man zurücktritt.
Treten Sie zurück, wenn ITT doch ausgebeutet wird?
Das muss ich nicht, weil wir ITT retten werden - wenn wir genug internationale Unterstützung bekommen. Und wir werden, ebenfalls mit internationaler Unterstützung, die Galapagosinseln frei von fossilen Brennstoffen machen und Strom für 30000 Bewohner dort nur mit Biomasse, Wind und Sonnenenergie erzeugen. Das Petrozeitalter ist vorbei. Wir müssen umschalten. Jetzt.
Simple Rechnung
Angesichts des globalen Klimawandels zieht eine Erdölförderung immer auch negative Konsequenzen für die internationale Gemeinschaft nach sich. Da das Verbrennen von einem Kilogramm Brennstoff rund die dreifache Menge CO2 freisetzt, würden die geschätzten 930 Millionen Barrel in den noch unerschlossenen Erdölfeldern im ecuadorianischen Nationalpark Yasuní rund 444 Millionen Tonnen CO2 freisetzen (siehe WOZ Nr. 13/07).
Die von der ecuadorianischen Regierung geschätzten Kosten für Massnahmen zur CO2-Reduktion betragen rund zwanzig Dollar pro Tonne. Der kürzlich veröffentlichte dritte Teil des Uno-Klimaberichts des IPPC (Intergovernmental Panel on Climate Change) spricht gar von Kosten von bis zu hundert Dollar pro CO2-Tonne. So gesehen wäre die Kompensation für den Nichtabbau sogar günstig.
Internationale Kompensation
Derzeit wird eine Studie erarbeitet, die den genauen Wert des Erdölfeldes Ishpingo Tambococha Tibutini (ITT) taxiert. Die Schätzungen liegen bei einem jährlichen Nettogewinn zwischen 500 bis 700 Millionen US-Dollar für die nächsten dreissig Jahre. Die Regierung von Ecuador schlägt nun vor, das ITT-Feld nicht auszubeuten, und fordert dafür die Hälfte des Nettogewinns von der Internationalen Gemeinschaft. Das Geld soll von Staaten, nichtstaatlichen Organisationen, Unternehmen und auch Privatpersonen kommen. Privatpersonen sollten beispielsweise die Möglichkeit haben, nicht gefördertes ITT-Erdöl zu kaufen. Für fünfzig Dollar pro ITT-Barrel könne man so etwas für das Weltklima, den Naturschutz und indigene Völker tun. Ecuador will ausserdem erreichen, dass Privatpersonen in den Industrieländern dies von den Steuern absetzen können. So könne Ecuador einen Kompensationsfonds bilden, aus dessen Zinsen soziale und ökologische Projekte finanziert werden können. Dieses Geld soll, laut dem ecuadorianischen Energieministerium, ausschliesslich für die soziale und nachhaltige Entwicklung des Landes verwendet und durch eine internationale Treuhandschaft verwaltet werden.