Zensur: Der lange Arm der UBS
In London hat die UBS die Aktion einer Zürcher Künstlergruppe verhindert. Unter Androhung von rechtlichen Schritten ist ein öffentliches Plakat von der zuständigen Plakatgesellschaft abgehängt worden.
2. September 2010, ein Donnerstagabend im Nordostlondoner Quartier Hackney. Das Zürcher Künstlerkollektiv !Mediengruppe Bitnik hat soeben seine Ausstellung «Too Big To Fail / Too Small To Succeed» in der Space Gallery eröffnet, als das Publikum die Galerie verlässt und auf die Strasse eilt. Ein Angestellter der Plakatagentur Primesight lehnt gerade eine Leiter an die zwanzig Quadratmeter grosse Werbetafel, die in der Dunkelheit leuchtet. Er klettert hoch und rollt das Plakat ein. Es zeigt einen älteren Herrn, der vor einer UBS-Filiale in Zürich ein Schild mit dem Schriftzug «lies» (lügt) hochhält. Das Bild ist Teil der Bitnik-Ausstellung und hätte bis zum kommenden Wochenende dort hängen sollen – an einer stark befahrenen Strasse, im öffentlichen Raum, auf einer bezahlten Werbefläche, einen Monat lang. Aber bereits nach 36 Stunden ist das Bild auf Druck der UBS aus dem öffentlichen Raum entfernt worden.
Die UBS bestätigt, dass sie mit der Plakatagentur Primesight, welche die Werbefläche vermietet, Kontakt aufnahm und dass aufgrund dieses Gesprächs das Plakat der !Mediengruppe Bitnik abgehängt wurde. Über den Inhalt des Gesprächs schweigt sich die Schweizer Grossbank aus. Doch laut Informationen der WOZ drohte die UBS mit rechtlichen Schritten gegen die Plakatgesellschaft, die Space Gallery und die !Mediengruppe Bitnik: Weil das UBS-Logo auf der Fotografie angeblich unrechtmässig verwendet werde und die Aussage des Bildes verleumderisch und ehrenrührig sei. Die Rechtsabteilung der UBS in London stellte Primesight am 2. September ein Ultimatum, das Plakat bis spätestens um 21.30 Uhr von der Werbetafel zu entfernen. Die Grossbank bedankte sich vorgängig, zumal es auch im Interesse der Werbeagentur liege, dass das Bild (medial) nicht weiterverbreitet werde.
Was die Grossbank als verleumderisch bezeichnet, ist eine Neuinszenierung des Bildes «Polizei lügt» des österreichischen Medien- und Konzeptkünstlers Peter Weibel. Das Bild aus den siebziger Jahren thematisiert die Machtverhältnisse unserer Gesellschaft und stellt das Machtmonopol der Polizei als Arm eines (über-)mächtigen Staats infrage.
Umkehr der Unschuldsvermutung
Nachdem der Schweizer Staat die UBS im Herbst 2008 vor dem drohenden Untergang hatte retten müssen, adaptierte Bitnik Weibels Bild und stellte es in einen neuen Kontext. Die KünstlerInnen inszenierten eine Szene, in der ein unbekannter Banker – analog zu Weibels Original – vor einem UBS-Gebäude das Schild mit der Aufschrift «lügt» hochhielt. Im Februar 2009 veröffentlichte die WOZ das Bild «UBS lügt. Anschläge 1971/2009» als Illustration eines Artikels zur Too-big-to-fail-Problematik.
Während eines halbjährigen Aufenthalts in London erweiterte das Zürcher Künstlerkollektiv seine Arbeit und untersuchte «das Finanzsystem auf sein parasitäres Potenzial hin». Das Bild «UBS lügt» stellte es dieses Jahr im Museum Folkwang in Essen, im Contemporary Art Center im litauischen Wilna und in Zürich aus. In London beschränkte sich Bitnik nicht darauf, das Werk in einer geschlossenen Galerie zu zeigen, sondern erweiterte den Ausstellungsraum auf die Werbetafel im öffentlichen Raum, die sich unmittelbar vor der Space Gallery befindet. Genau darin lag für die UBS der juristische Ansatzpunkt. Da Bitnik das Bild auf einer öffentlichen Reklamefläche zeigte, schritt die UBS ein. Die Drohung der Grossbank wirkte: Eine Klage hätte Bitnik und die hinter der Galerie stehende Organisation Space, die rund 600 KünstlerInnen in London unter anderem günstige Ateliers vermittelt, ruiniert.
Denn die britischen Gesetze sind bei Ehrverletzungen äusserst rigide: Die Beweislast liegt nicht beim Kläger, sondern beim Beklagten. Die !Mediengruppe Bitnik hätte also beweisen müssen, dass sie die UBS nicht verleumdet. Die Umkehr der Unschuldsvermutung hat in den letzten Jahren zu einem regelrechten Klagetourismus auf der britischen Insel geführt. Vor allem Medien sind von der klägerfreundlichen Gesetzgebung betroffen. Die britische Tageszeitung «Guardian» musste beispielsweise in knapp sieben Wochen 300000 Pfund aufwenden, nur um die Briefe einer klagenden Kanzlei zu beantworten. Darüber hinaus erstrecken sich solche Prozesse oft über eine lange Zeit. Selbst wenn der Beklagte am Ende Recht erhält, muss er sich während Jahren mit dem Gerichtsfall auseinandersetzen, was nicht nur mühsam, sondern auch kostspielig ist.
Die KünstlerInnen hätten nicht gedacht, dass die UBS so schnell, so harsch und auch so ungeschickt eingreifen würde, obwohl sie sich nicht das erste Mal mit Klageandrohungen konfrontiert sehen. Die Schweizer Grossbank dürfte vor allem deshalb so empfindlich reagiert haben, weil die Ausstellung zeitlich mit der neuen Werbekampagne («Wir werden nicht ruhen») zusammenfiel. Zudem engagiert sich die UBS in Hackney, wo die Ausstellung stattfindet, seit Jahrzehnten stark mit sozialen Projekten. Im letzten Jahr hat die UBS knapp zwei Millionen Franken gespendet. Sie unterstützt beispielsweise eine Schule und einen Zirkus im Quartier.
Die Ausstellung von Bitnik zielt denn auch weniger auf die UBS als Unternehmen, sondern fragt – wie schon Peter Weibel – nach den Machtverhältnissen. Mit ihrer Intervention hat die UBS, unbeabsichtigt zwar, die These bestätigt, die der Arbeit von Bitnik zugrunde liegt: Im neoliberalen Zeitalter liegt die Macht oft nicht bei Polizei und Staat, sondern bei multinationalen Finanzkonzernen. Die Tatsache, dass die UBS gar nicht erst vor Gericht ziehen musste, sondern dass bereits ein Anruf genügte, um eine Plakatgesellschaft einzuschüchtern und sie dazu zu bringen, spätabends nach Nordostlondon zu fahren, um ein Plakat ohne Rücksprache mit der Galerie oder der Künstlergruppe abzumontieren, ist eine eindrückliche Machtdemonstration. Das Künstlerkollektiv wäre, so wie es der Titel der Ausstellung sagt, «too small to succeed», zu klein, um zu gewinnen. Die Quasizensur der Ausstellung wirft zudem alte Fragen neu auf: Wer bestimmt, wie weit die künstlerische Freiheit gehen darf? Wo darf Kunst gezeigt werden? Wer bestimmt darüber? Wer kontrolliert den öffentlichen Raum? Und wer hat die Macht, diese Fragen zu entscheiden?
Im Ausstellungsraum
In den vergangenen drei Wochen strahlte ein leeres Plakat von der Werbefläche, und die !Mediengruppe Bitnik musste sich mit rechtlichen Fragen herumschlagen. Am Wochenende konnte sie schliesslich doch noch ein Bild aufhängen: Es ist das Original von Peter Weibel. Nur wenige Meter hinter der Reklametafel ist das Bild «UBS lügt» zu sehen und akzeptiert – im Ausstellungsraum.
PS: Ein Gerichtsverfahren, das sich auf inhaltliche Fragen, also auf die Kernaussage «UBS lügt» konzentriert hätte, hätte durchaus interessante Dinge zur Sprache bringen können, die die Politik in der Schweiz in den letzten zwei Jahren vertuscht hat. In wenigstens einem Fall ist klar, dass die UBS nicht die Wahrheit gesagt hat: Als der damalige UBS-Präsident Peter Kurer im Oktober 2008 vor der Generalversammlung erklärte, die UBS sei eine der «am besten kapitalisierten Banken». Nur zwei Wochen später musste der Bund ein Rettungspaket über 68 Milliarden Franken bereitstellen. Die Schweizer Börse ermittelt in dieser Sache übrigens seit einem Jahr wegen möglicher Fehlinformationen gegenüber AnlegerInnen.