St. Gallen: Vom hohen Ross gefallen
Das Stadtparlament lehnte am Dienstag einen Rettungsplan für das St. Galler Fussballstadion ab. Dem Fussballklub droht der Konkurs. Eine Geschichte über die Arroganz und über alte bürgerliche Freunde, die plötzlich zu Gegnern werden.
Es war ein Projekt, das einst auf den ungeteilten Goodwill der St. Galler Politik zählen konnte. Mit Landschenkung, Stadionrückbau und Verkehrsanschluss finanzierte die öffentliche Hand rund zwei Drittel des Stadionbaus der AFG-Arena (siehe WOZ Nr. 35/10). Der Stadionbau war ein Projekt in den Zeiten guter Konjunktur. Der FC St. Gallen, damals auf Meisterkurs, sollte Champions-League-tauglich gemacht werden, und die Generalunternehmerin HRS sollte mit dem Megaprojekt viel Geld verdienen. Das geschenkte Land verkauften die Stadionbetreiber an Jelmoli und Ikea – für 42 Millionen Franken. Damit war die Stadionfinanzierung von 52 Millionen Franken, so die Rechnung der HRS, komfortabel gesichert. Im Gegenzug durfte sie keine weiteren Kredite aufnehmen.
Rainer Sigrist, in einzigartiger Doppelrolle sowohl Präsident des Verwaltungsrates der Generalunternehmerin HRS, die das Stadion baute, als auch der Betriebs AG, die das fertige Stadion betreiben sollte, nahm stattdessen mit der Betriebs AG weitere Bankenkredite auf. «Diese Umgehung der Sicherung war ein hässlicher Trick», hiess es nun am Dienstag im Parlament.
Denn plötzlich kostete der Bau des Stadions mehr als siebzig Millionen. Die Kredite brachten Rainer Sigrists HRS weitere Millionen, seine Betriebs AG brachten sie aber an den Rand des Konkurses. Rainer Sigrist, nachdem die Notlage vor zwei Monaten durch die WOZ publik gemacht worden war: «Mit diesen Mehrkosten hat nun wirklich niemand rechnen können» – so der Mann, der sie selbst mit veranlasst hatte.
Mangelnde Transparenz verärgert selbst Bürgerliche
Zum Problem wurde, dass sich die Betriebs AG weigerte, ihre Zahlen offenzulegen. «Das ist ihr gutes Recht, nur soll sie dann kein Geld vom Staat verlangen», hiess es am Dienstag von bürgerlicher Seite im Stadtparlament.
Längst ging es nicht mehr um die zwei Millionen, welche die AG von der Stadt wollte (und weitere vier Millionen später vom Kanton), sondern ums Prinzip. Statt offenzulegen, was schiefgelaufen war, traten die Stadionbetreiber mit einer Arroganz auf, die sogar die Stimmung in der FDP kippen liess. Die Politik habe gar keine andere Möglichkeit, als Geld zu sprechen, denn sonst verliere die Region ein Aushängeschild. «Ich als Stadionbauer werde die Verantwortung sicher nicht übernehmen, wenn wir Konkurs gehen», sagte etwa ‹Stadionvater› Hans Hurni in der WOZ. Es war eine Erpressung der Politik.
Ein seltener Moment
In den Augen der StadtparlamentarierInnen äusserten sich die Bittsteller, die permanent als Befehlsgeber aufgetreten seien, zwei Tage vor der Abstimmung in der «SonntagsZeitung» mit unerträglicher Arroganz. Die Kultur werde ja auch mit Millionen subventioniert, hiess es da. Ohne die 42-Millionen-Landschenkung zu erwähnen und ohne zu erwähnen, dass die Stadt bisher darauf verzichtet hat, den FC St. Gallen bezüglich offener Rechnungen für Sicherheitsleistungen in Millionenhöhe zu betreiben. Stattdessen sagte FCSG-Präsident Michael Hüppi, die Politiker seien dann wieder die ersten, die um Gratistickets betteln würden, sei die Sache erst einmal im Trockenen. Das empörte selbst jene Kreise in der FDP und CVP, von denen man auch heute blinde Unterstützung erwartet hätte. «Eine absolute Frechheit», hiess es im CVP-Votum.
Der definitive Todesstoss kam dann von der FDP. Zwar hätte sie das Nein von Grünen, SP und SVP sowieso nicht kippen können, doch hatten ParlamentarierInnen der anderen Parteien etwas höhnisch erwartet, dass die alten bürgerlichen Seilschaften des Rotary Clubs auch hier spielen würden. Sie hatten sich getäuscht.
Es gibt diese seltenen Momente, in denen ein Politiker voll und ganz glaubwürdig wirkt. FDP-Stadtparlamentarier Daniel Rietmann hatte am Dienstag einen solchen, als er gegen die eigene Klientel (etwa einen nach der Debatte «von der FDP tief enttäuschten» Stadionbauer Max Hungerbühler) das Wort ergriff: «Im Vorfeld wurde von den Stadionbauern immer wieder der Vergleich mit den Förderbeiträgen der Stadt St. Gallen in Kunst und Kultur gemacht. Aber hier gibt es einen entscheidenden und ausschlaggebenden Unterschied: Weder bei der Kunst noch der Kultur handelt es sich um privatwirtschaftlich geführte Unternehmen, welche in finanzieller Hinsicht ausserhalb vernünftiger und für die Bevölkerung verständlicher Bandbreiten operieren. Und noch einen Unterschied gibt es: Sowohl bei der Kunst wie auch bei der Kultur gibt es absolute Transparenz, beim Betrieb wie bei den Finanzen.» Spätestens jetzt war es keine Debatte mehr, sondern eine Beerdigung. Ein schwer enttäuschter und verärgerter Rietmann sagte: «Und dann habe ich noch eine Bitte an die Herren Stadionbetreiber: Ärgern Sie sich in der ‹SonntagsZeitung› nicht über die Politiker, sondern über sich selbst, weil Sie uns die wichtigen Fragen nicht beantwortet haben.»
Am Mittwoch reagierten die privaten Investoren: Sie wollen Bedenkzeit. Sie hatten angekündigt, fünf Millionen Franken einzuschiessen, sofern der Staat sechs Millionen beisteuere. Am 5. November wollen sie dann mitteilen, ob doch das ganze Geld bei Privaten aufgetrieben werden kann. Sollte das nicht der Fall sein, wird die Betriebs AG die Bilanzen deponieren – und mit ihr auch der älteste Fussballklub der Schweiz.
Bürgerliche Netzwerke: Der Machtfilz fällt auseinander
Selbst bürgerlichen PolitikerInnen ist das Treiben der für das St. Galler Stadiondebakel Verantwortlichen zu bunt geworden.
Verantwortlich für das Stadiondesaster in St. Gallen ist der alte Machtfilz aus CVP und FDP – ein Klüngel aus Wirtschaft, Sport und Politik. Lange wurde die Situation schöngeredet, und es wurde selbstverständlich mit einer weiteren Finanzspritze des Staats gerechnet. Jetzt ist die Stimmung in der Bevölkerung und bei den Fans total gekippt. Selbst bürgerlichen PolitikerInnen ist der Fussballboden unter den Füssen zu heiss geworden. Die selbstherrlichen FC-Verantwortlichen wissen nicht mehr, wie ihnen geschieht. Am 4. November steht ihnen ein unbequemer Gang bevor. Die Finanzkommission des Kantonsrats hat eine Befragung angesetzt und verlangt vollständige Transparenz, wenn vom Kanton Geld für die Sanierung fliessen soll – was mittlerweile höchst unwahrscheinlich ist. Transparenz hatten die FCSG-Verantwortlichen mehrmals versprochen, passiert ist nichts. Selbst die Geschäftsprüfungskommission des St. Galler Stadtparlaments speisten sie Anfang September mit nichtssagenden Antworten ab. Und bekamen dafür am Dienstag vom Stadtparlament die Quittung.
Finanzdirektor im Ausstand
Der Druck nimmt weiter zu. Vor der Finanzkommission des Kantonsrats müssen antraben: Rainer Sigrist (Verwaltungsratspräsident der Generalunternehmung HRS und gleichzeitig VR-Präsident der Betriebs AG der AFG-Arena), Michael Hüppi (Verwaltungsratspräsident der FC St. Gallen AG), Max R. Hungerbühler (freisinniger Unternehmer und Verwaltungsrat der Stadion AG) und Dölf Früh (Vertreter einer privaten Investorengruppe). Üblicherweise ist bei solchen Gelegenheiten auch der Finanzdirektor mit von der Partie. Doch Regierungsrat Martin Gehrer, der offensiv für die Zeichnung von FC-Aktien warb und deswegen öffentlich kritisiert wurde, ist in den Ausstand getreten. Der smarte und als integer geltende CVP-Mann verdankt seinen politischen Aufstieg dem alten bürgerlichen Machtfilz. Regierungsrat Gehrers Bruder arbeitet im selben Anwaltsbüro wie Franz Peter Oesch. Oesch war lange CVP-Kantonsrat und wurde schliesslich Verwaltungsratspräsident der St. Galler Kantonalbank. Der Wirtschaftsanwalt ist auch dem FC seit langem verbunden, unter anderem war er Verwaltungsrat der Stadion AG. Als während der Bauphase weitere Kredite für Ausbauten wie zusätzliche Logenplätze gebraucht wurden, gewährte ein Bankenkonsortium – neben der St. Galler Kantonalbank die Credit Suisse, die Kreditanstalt St. Gallen und die Raiffeisenbank St. Gallen – zusätzliche Mittel in der Höhe von rund zehn Millionen Franken. Andere angefragte Bankinstitute lehnten wegen ungenügender Sicherheiten ab.
Speziell an diesem Vorgang: Zwar hatten Kanton und Stadt mit der Generalunternehmerin HRS und der Stadion AG einen Sicherungsvertrag mit Bankgarantie abgeschlossen, damit sich die Stadionbauer nicht übermässig mit grundpfandgesicherten Forderungen verschulden konnten. Diese Sicherung galt aber nicht für die später ins Leben gerufene Betriebs AG. Ihr wurden dann die Bankkredite gewährt. Die Kosten schnellten in die Höhe, der Sicherungsvertrag war umgangen, und am Ende resultierte daraus ein grosser Teil der aktuellen Liquiditätsnot.
Auch andere bürgerliche Politiker aus FDP und CVP bewegten sich gerne im Umfeld des FC oder bestimmten dessen Geschicke mit. Der rechte CVP-Nationalrat Thomas Müller präsidierte den Verein, der abgewählte FDP-Nationalrat Andreas Zeller war Vorstandsmitglied. Und der Unternehmer Max R. Hungerbühler (FDP), der als Nationalrat kandidierte, aber nicht reüssierte, ist ebenfalls Verwaltungsrat in der Stadion AG. Für den Vorgänger von Konrad Hummler als Präsident der Industrie- und Handelskammer St. Gallen–Appenzell muss das Stadiondesaster besonders bitter sein.
Der Musterknabe im Abseits
Abenteuerliche finanzielle Vorgänge ausgerechnet im Kanton St. Gallen: Bisher galt er als finanzieller Musterknabe der Schweiz. CVP-Regierungsräte waren die Kassenwarte – vor Martin Gehrer war es Peter Schönenberger, ebenfalls ein Anwalt, davor alt Ständerat Paul Gemperli, der auch noch im hohen Alter seine Dienste als Jurist anbietet. Wo wohl? Im Büro von Franz Peter Oesch.
Noch vor wenigen Jahren hatte der alte Machtfilz im Kanton das unumstrittene Sagen. Wer hier Karriere machen wollte, kam an der CVP und ihrem bürgerlichen Juniorpartner FDP nicht vorbei. Es waren mächtige Serviceklubs. Sie regierten den Kanton bis in die neunziger Jahre in selbstherrlicher Manier. Wie andernorts auch waren die politischen Netzwerke mit jenen aus Militär, Wirtschaft und Sport eng verflochten. Bundesrat und Brigadier Kurt Furgler (CVP), einst erfolgreicher Handballtrainer, war ein grosser Name innerhalb des bürgerlichen Machtfilzes. Ein anderer war Ernst Rüesch (FDP), Brigadier, dominanter Regierungsrat und späterer Ständerat. Ihren NachfolgerInnen fehlt deren Statur, aber ihre Netzwerke spielten noch immer. Die ungeheuren Steuergeldgeschenke an Private beim Bau der AFG-Arena – rund 42 Millionen Franken – wären ohne dieses Selbstverständnis nicht denkbar gewesen, ebenso wenig die nachträglichen Kreditvergaben.
Andreas Fagetti