Parteienfinanzierung: «Wir müssen den Blick auf die Stimmbürger richten»
Martina Caroni, Rechtsprofessorin in Luzern, über den angeblich mündigen Bürger, schweigende PolitikerInnen und die Notwendigkeit, Regeln für die Parteien- und Kampagnenfinanzierung zu schaffen.
Stolz verkündete CVP-Präsident Christophe Darbellay Ende Jahr, seine Partei werde 2011 drei Millionen Franken für den Wahlkampf aufwenden – dreimal so viel wie 2007. Die FDP plant mit 2,6 Millionen Franken, während die SP rund 1,5 Millionen und die Grünen gar bloss 180 000 Franken zur Verfügung haben. Nur die SVP äusserte sich bisher nicht zu konkreten Zahlen. Sie liess einzig verlauten, dass auch sie dieses Jahr mehr Geld ausgeben werde als vor vier Jahren. Man kann davon ausgehen, dass sich das nationale Budget der SVP wie schon 2007 im zweistelligen Millionenbereich bewegen wird; Juso-Präsident Cédric Wermuth schätzte am traditionellen Dreikönigstreffen der SP in Muttenz das SVP-Budget gar auf dreissig bis vierzig Millionen Franken.
Problematisch sei dabei vor allem die ungleiche Verteilung der finanziellen Mittel, sagt Martina Caroni. Die Rechtsprofessorin der Universität Luzern hat 2009 ihre Habilitationsschrift mit dem Titel «Geld und Politik» veröffentlicht. Darin untersuchte sie die Parteien- und Kampagnenfinanzierung in der Schweiz und in den USA. Die WOZ hat sie in Bern zum Gespräch getroffen.
WOZ: Frau Caroni, warum spricht man in der Schweiz nicht gerne über Geld in der Politik?
Martina Caroni: Geld ist hier generell ein Tabuthema. Und das gilt auch in der Politik. Man fragt die Parteien nicht, woher sie ihr Geld bekommen oder wie viel Geld sie für ihre Kampagnen ausgeben. Ich habe während der Recherchen für mein Buch die Parteisekretariate angeschrieben. Aber mir wurde jedes Mal in unterschiedlicher Deutlichkeit mitgeteilt, dass man dazu keine Auskünfte gebe.
Mit welcher Begründung?
Ganz einfach: Man spreche nicht über Geld.
Haben Sie trotzdem etwas rausfinden können?
Konkrete Zahlen kann ich Ihnen nicht geben. Man erfährt nichts, ausser wenn – gewollt oder ungewollt – wieder einmal etwas an die Presse gelangt. Dann gibt es hin und wieder kleinere Skandale. Aber einen richtig grossen Parteispendenskandal hat es in der Schweiz noch nie gegeben. Vielleicht liegt das auch daran, dass Geld in der Politik erst in den letzten zwanzig Jahren eine viel stärkere Bedeutung erhalten hat.
Warum?
Früher war wesentlich weniger Geld vorhanden, der Milizgedanke war ausgeprägter – bei den Politikern wie bei den Stimmbürgerinnen. Was heisst Demokratie eigentlich? Ich glaube, diese Frage wurde viel ernster genommen. Heute ist das anders: Den vernünftigen Stimmbürger gibt es nicht immer. Man kann nicht jede Person als politisch interessiert und vernünftig bezeichnen. Die Leute lassen sich sehr schnell und leicht beeinflussen – von Plakaten, vereinfachten Aussagen oder freundlichen Kandidaten, die vor der Migros Gipfeli verteilen.
Nach den Abstimmungen über Ausschaffungsinitiative und Steuergerechtigkeitsinitiative bezeichnete der Historiker Jakob Tanner den sogenannt mündigen Bürger als «fiktionale Figur» ...
Ich teile diese Ansicht.
Das ist eine vernichtende Aussage.
Sie bedeutet ja nicht, dass es keine Stimmbürgerinnen und Stimmbürger gäbe, die informiert sind ...
... aber Sie glauben, dass die Stimmbevölkerung entpolitisiert wird, während sich die Politik professionalisiert?
Ja. Die frühere Milizidee zielt eben auf zwei Seiten: Die Stimmbürger sind vernünftig und interessiert, setzen sich mit der Materie auseinander und stimmen ab. Und zwar nicht so, dass es ihnen persönlich möglichst viel nützt, sondern so, wie sie glauben, dass es für die Gemeinschaft richtig ist. Gleichzeitig sollten Politiker ihre Arbeit nicht als Beruf verstehen, sondern als Dienstleistung für die Gemeinschaft. Nur gibt es diese Haltung kaum mehr. Das führt zu einer Professionalisierung der Politik, während sich die Stimmbürger ins Private zurückziehen und ihren Individualinteressen folgen.
Was bedeutet das für die Demokratie?
Das Vertrauen in das Funktionieren unseres Systems schwindet. Man muss aber auch sagen: Der politische Alltag ist komplexer geworden, Politiker wie Stimmbürger müssen über immer kompliziertere Fragen entscheiden. Das hat unter anderem mit der Globalisierung zu tun, mit internationalem Recht, mit wirtschaftlichen Abkommen und Verträgen.
Gleichzeitig werden die politischen Botschaften immer einfacher ...
Das geht Hand in Hand. Am deutlichsten wird das bei der SVP sichtbar, die populistische Propaganda betreibt, indem sie neunzig Prozent der Fragen ausklammert und sich auf einen einzigen Punkt konzentriert. Gegen diese Propaganda anzukämpfen, ist unglaublich schwierig, denn Politik ist nun mal komplex.
Im Wahljahr 2007 lancierte die SVP die Ausschaffungsinitiative, ein schludrig verfasstes Anliegen, das lediglich als Kampagneninstrument diente.
Die Ausschaffungsinitiative war sicher Ausdruck dafür, dass Initiativen von politischen Parteien verfasst werden, um sich zu positionieren. Früher wurden Initiativen zwar oft mit der Unterstützung von politischen Parteien lanciert, aber sie entstanden durch mehr oder weniger unabhängige Initiativkomitees. Es ging um die Sache, nicht um Parteienpolitik. Die Initiative war also ursprünglich ein Mittel, das den Stimmbürgern eine Möglichkeit gab, von aussen Einfluss zu nehmen. Heute wird dieses Instrument von den Parteien missbraucht: Je radikaler der Inhalt, desto mehr wird darüber diskutiert, und desto nützlicher ist das für die Parteien. Das wirkt sich massiv auf den politischen Prozess aus – und auf Finanzierungsfragen.
Wie meinen Sie das?
Das Geld wird immer wichtiger. Eine Initiative einzureichen, kostet bis zu 1,5 Millionen Franken. Es gibt zwar keine offiziellen Zahlen, wie viel Geld die Parteien zur Verfügung haben. Aber in der Regel stehen die SVP und die Mitteparteien an der Spitze, die SP und vor allem die Grünen haben viel weniger Geld.
Die Linke verfügte bei der Steuergerechtigkeitsinitiative laut Eigendeklaration über 250 000 Franken. Der Wirtschaftsverband Economiesuisse gab – wie immer – keine Zahlen bekannt. Man schätzte das Budget aber auf rund vier bis zehn Millionen Franken. Das sind massiv ungleiche Spiesse.
Richtig, das ist nicht nur ein quantitativer, sondern auch ein qualitativer Unterschied. Mit wenig Geld muss man Abstriche machen. Vereinfacht gesagt: Will man zum Beispiel möglichst viele Plakate, muss man bei der Plakatgestaltung sparen. Die Möglichkeiten sind ganz eindeutig unterschiedlich. Kann man ein Inserat in den Sonntagszeitungen nur einmal schalten? Oder über mehrere Wochen? Das hat durchaus seine Auswirkungen.
Sie stellen den mündigen Bürger in Frage, konstatieren einen zunehmenden Populismus und sagen, dass in der Politik ein massives finanzielles Ungleichgewicht herrscht. Sind Abstimmungen käuflich?
So klar kann man das nicht sagen, dafür spielen zu viele Faktoren eine Rolle: die politische Grundeinstellung der Wähler, das soziale Milieu, Traditionen, persönliche Betroffenheit. Aber Geld spielt ganz bestimmt eine wesentliche Rolle. Eine Abstimmung ist vielleicht nicht käuflich, aber durchaus beeinflussbar.
Wer ist besonders stark beeinflussbar? Die Wechselwähler?
Ja. Und diese nehmen zu. Das erhöht auch den Einfluss von Geld. Die Kampagnen für die Nationalratswahlen 2011 sprechen denn auch vor allem die Wechselwähler an. Das Wahljahr hat bereits begonnen.
Schon jetzt?
In Luzern hat beispielsweise die SVP-Nationalrätin Yvette Estermann Plakate aufhängen lassen, auf denen sie den Leuten schöne Weihnachten wünscht. Die letzten drei Jahre hat sie das meines Wissens nicht getan.
Die Wahlkämpfe beginnen immer früher. Man kennt das aus den USA, wo bereits in der Hälfte der Legislatur der Wahlkampf beginnt. Kann man von einer Amerikanisierung der Schweizer Politik sprechen?
Wir sind noch weit von US-amerikanischen Verhältnissen entfernt – zum Glück. Die Kampagnen in den USA laufen darauf hinaus, den politischen Gegner durch den Dreck zu ziehen. Das gibt es in der Schweiz bislang nicht. Aber es gibt eine Amerikanisierung in dem Sinne, dass Kampagnen bei Wahlen wie auch Abstimmungen immer teurer werden.
Sie haben nicht nur in der Schweiz, sondern auch in den USA zur Parteienfinanzierung geforscht. Was können wir aus den USA lernen?
Dort besteht der Wille, immer mal wieder etwas Neues zu versuchen, um den Einfluss von Geld auf die Politik einzudämmen. Überhaupt: Es gibt die Erkenntnis, dass Geld eine Rolle spielt.
Bereits George Washington hat im 18. Jahrhundert vor den Wahlen massenhaft Wein, Bier und Schnaps verteilt.
Genau. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts stellt man sich die Frage, wie man diesen Einfluss von Geld beschränken kann, wie man Korruption in der Politik verhindern kann ...
Korruption? Das ist ein starkes Wort.
Aber in den USA ein durchaus gängiges. Der gezielte Einsatz von Geld kann als Korruption verstanden werden: Wenn sehr viel Geld vorhanden ist und die Geldgeber für ihre finanzielle Unterstützung eine Gegenleistung erwarten. In den USA wissen die Politiker, dass sie sich politisch nicht zu sehr von ihren Geldgebern entfernen können, weil ihnen sonst der Geldhahn zugedreht wird.
Wie korrupt ist das US-System?
Es ist nicht durchgehend korrupt, weil es verschiedene Offenlegungs- und Transparenzvorschriften kennt.
In der Schweiz gibt es keine derartigen Regeln. Wie korrupt ist also das Schweizer Politsystem?
Das Problem ist ja, dass man diese Frage wegen mangelnder Transparenz nicht beantworten kann. Ich glaube, die Schweiz ist nicht korrupt, aber beeinflussbar. Das grösste Problem scheint mir, dass das Grundvertrauen in ein funktionierendes System verloren geht. Beim Stimmbürger macht sich das Gefühl breit, dass man der Politik nicht trauen kann, weil sie eben beeinflussbar ist.
Und trotzdem passiert nichts.
Nein, da wird geblockt.
Nach Abstimmungen wird das Misstrauen der Wähler verstärkt, wenn die Verlierer sagen, dass das Geld entscheidend gewesen sei.
Das erodiert das Vertrauen in die Politik ...
... und doch ist es eine richtige Feststellung.
Ich glaube, der Fokus liegt zu stark auf den Politikern, den Parteien und den Komitees. Aber wir müssten uns auf die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger konzentrieren. Ich berufe mich da auf die Bundesverfassung: Wir haben einerseits das Recht auf freie Meinungsäusserung, anderseits gibt es eine Wahl- und Abstimmungsfreiheit, die garantiert, dass wir unseren politischen Willen frei und unbeeinflusst bilden und kundtun können. Die Verfassung schützt also unsere freie Meinungsbildung vor Beeinflussung – sei es von staatlicher oder von privater Seite. Wenn wir das ernst nehmen und wieder mehr interessierte, vernünftige Stimmbürger wollen, dann muss die Bevölkerung auch wissen, welcher Politiker wie viel Geld von wem erhalten hat und wofür er es ausgibt.
Sie fordern durchgehende Transparenz?
Ja. Wir reden hier nicht von fünfzig oder hundert Franken, die jemand einem Nationalratskandidaten gibt. Aber es wäre ein Fortschritt, wenn man bei höheren Spenden wüsste, woher sie kommen.
Das Anliegen ist aber schwierig durchzusetzen. Die Schlüsselfrage lautet also: Wie kann man über Geld in der Politik reden?
Wir müssen den Blickwinkel wechseln: Was wollen die Stimmbürger? Es gibt den Grundverdacht, dass «die dort oben in Bern» sowieso machen, was sie wollen, dass man ohnehin nichts ausrichten könne, dass Geld die Politik beeinflusse ... Dem müssen wir entgegentreten. Wir wissen, dass Geld einen Einfluss hat. Warum legen wir ihn also nicht offen und deklarieren beispielsweise Spenden ab 10 000 Franken? Zusätzlich müssen die Stimmbürger einen einfachen Zugang zu diesen Informationen haben. In den USA kann jeder Bürger online einsehen, wer welchem Politiker wie viel Geld zur Verfügung gestellt hat. Wenn ein Kandidat 15 000 Franken von einem Unternehmen für seinen Wahlkampf erhält, dann ist das ein wesentliches Element für die Entscheidungsfindung des Stimmbürgers.
Übrigens: In der Schweiz gibt es bei einzelnen Kantonen solche Transparenzvorschriften, etwa in Genf und dem Tessin.
Wie sind die Erfahrungen?
In Genf sehr gut. Die Regeln wurden ohne grosses Murren eingeführt.
Warum klappt das in Genf, aber nicht auf nationaler Ebene?
Aus Westschweizer Sicht ist Transparenz nichts Problematisches, es herrscht eine andere politische Kultur. Hinzu kommt, dass in Genf mit den Transparenzvorschriften eine partielle öffentliche Finanzierung der Parteien einherging.
Halten Sie das für erstrebenswert?
Im US-Bundesstaat Maine etwa hat man festgestellt, dass Leute gewählt wurden, die sonst nie gewählt worden wären: Frauen und Angehörige von Minderheiten. Diese Diversifizierung wäre für die Schweiz besonders interessant, weil das Parlament ja Abbild der Bevölkerung sein will. Das ist heute natürlich überhaupt nicht der Fall, es gibt zum Beispiel viel zu viele Juristen in Bern.
Und wie sind die Erfahrungen im Tessin?
Im Tessin gibt es nur Transparenzvorschriften, keine öffentliche Finanzierung. Dort funktioniert das System nicht ganz so gut. Die Spenden sollten eigentlich im amtlichen Bulletin des Kantons publiziert werden. Aber während meiner Arbeit für mein Buch habe ich nicht einen einzigen Eintrag gefunden. Bei der Tessiner Staatskanzlei hiess es auf meine Nachfrage hin lediglich, dass die Parteien immer meldeten, es seien keine Spenden über 10 000 Franken eingegangen.
Das ist ein Argument, das die Gegner von Transparenzvorschriften immer wieder nennen: Die Regeln seien nicht praktikabel, weil sie umgangen würden.
Ja, das höre ich oft. Aber es ist ein sehr schwaches Argument. Oder käme es jemandem in den Sinn, die Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Autobahnen aufzuheben, bloss weil die Leute ohnehin zu schnell fahren?
Martina Caroni: «Geld und Politik. Die Finanzierung politischer Kampagnen im Spannungsfeld von Verfassung, Demokratie und politischem Willen». Stämpfli Verlag. Bern 2009. 420 Seiten. 153 Franken.