Medientagebuch: Ein Gespenst geht um

Nr. 5 –


Ein interessantes Gespräch über Literatur und Sprache hätte es werden können am Montagabend im «Fokus» auf DRS 3. Doch Moderatorin Anna Meier fühlte sich bemüssigt, den Germanisten Peter von Matt in die medial angeheizte Debatte über Gewalt im Allgemeinen und jene von links im Speziellen reinzuziehen.

Der Fall Hans Fehr zieht weiterhin seine Kreise. Gar nach seinem Leben getrachtet hätten die Schläger, die den SVP-Politiker vor der Abisgüetlitagung vermöbelten, wollte Meier wissen. Sie zitierte damit wohl unwissentlich einen Beitrag, der auf der Internetplattform Indymedia veröffentlicht und von zahlreichen JournalistInnen für bare Münze genommen wurde. Weil die Aussage so schön ins Bild der blutrünstigen Radikalen passt, muss Quellenkritik hintanstehen.

Nun ist hinlänglich bekannt, dass freie Kommentarplattformen im Internet regelmässig ProvokateurInnen – im Jargon als Trolle bekannt – anziehen. Das ist bei «indymedia» so. Das ist bei «tagesanzeiger.ch» nicht anders. Was in Schweizer Medien auch schon getan wurde: JournalistInnen verfassen anonym oder unter Pseudonym den provokativen Beitrag gleich selbst, um ihn danach als Beleg für ihre wilden Thesen zu zitieren.

So weit braucht man indes gar nicht zu gehen. Auch aus dem hohlen Bauch (oder Kopf) heraus lässt sich vortrefflich Schwach- und Unsinn verbreiten. Zum Beispiel jene Mär von der fehlenden wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der radikalen Linken in der Schweiz.

Der «SonntagsBlick» irrt, wenn er einfach behauptet: «Fakt ist: Die extreme Schweizer Linke wurde weder politisch noch sozialwissenschaftlich jemals untersucht.» Zum einen widerspricht sich der Journalist in der nächsten Zeile gleich selbst, wenn er dort eine Dissertation zum Thema von 2008 erwähnt. Zum anderen gibt es mehrere Lizenziatsarbeiten, die Aspekte der ausserparlamentarischen Linken aufgreifen. Und zwar auch solche, die wunde Punkte treffen, wie etwa jene zwei Arbeiten, die den Antisemitismus in der radikalen Linken untersuchen. Und auch der Staatsschutz befasst sich seit Jahrzehnten recht intensiv mit dem Linksextremismus, wie jedes Jahr auch im Bericht Innere Sicherheit ausführlich nachzulesen ist.

Doch wenn es darum geht, der Forderung von rechts nach einer «Durchleuchtung der linksextremen Szene» das Wort zu reden, interessiert all das offenbar nicht. Dazu passt auch die Behauptung einer Radikalisierung. Davon ist seit mindestens zehn Jahren immer wieder die Rede, vor allem nach publizitätsträchtigen Ereignissen, wie aktuell dem Übergriff auf Hans Fehr. Von einer ernsthaften journalistischen Auseinandersetzung mit der radikalen Linken kann nicht die Rede sein. Vielmehr treibt die Politik die Journaille vor sich her, und die wiederum gebärdet sich als willige Erfüllungsgehilfin für die Forderungen der Politik.

Faktenarmut ist freilich nicht alleine das Privileg der BerichterstatterInnen an der Extremismusfront. Gerade bei Medienkampagnen, mit denen ein vermuteter Missstand nicht nur aufgedeckt, sondern gleich auch behoben werden soll, droht die eigenständige Recherche auf der Strecke zu bleiben. Hat erst einmal ein Leitmedium – im aktuellen Fall die «Weltwoche» mit ihrer Titelgeschichte zur linken Gewalt – die Thesen schön ausgebreitet, dann schreibt sichs im Fahrwasser leichter.

Nick Lüthi ist Medienjournalist in Bern.