US-Bundesstaaten in der Krise: Profit privat, bankrott der Staat
Einfach reinen Tisch machen und den Staat bankrottgehen lassen – mit diesem Rezept will die republikanische Rechte «die Linke ersetzen». Doch es ist eine Politik der verbrannten Erde.
Sogar in den USA gab es einmal eine Zeit, da es eine Schande war, Konkurs zu machen. Heutzutage wird die Bankrotterklärung gezielt als Instrument zur «Restrukturierung der Finanzen» eingesetzt. Und zwar geschieht das im Grossen (bei Konzernen wie General Motors und Chrysler) wie im Kleinen (individuelle Kreditschulden). 2010 gingen in den USA rund 60 000 Unternehmen und über 1,5 Millionen Privatpersonen offiziell in Konkurs. Nicht mitgezählt sind dabei die Millionen HausbesitzerInnen, die in den letzten Jahren einfach die Tür hinter sich zumachten, wenn sie ihre überteuerten Hypotheken nicht mehr abstottern konnten oder wollten. Denn ihre frühere Zahlungsmoral ergab nach dem Platzen der Immobilienblase für die SchuldnerInnen keinen Sinn mehr: Sollen die Banken doch selber mit dem Schlamassel fertig werden, den sie mit ihren spekulativen Geschäften angerichtet haben.
Einen Strich unter die (unbezahlte) Rechnung ziehen und schuldenfrei nochmals neu anfangen – das Konzept «Reset durch Konkurs» griff in dem Land, das sich gerne durch seine Möglichkeiten und Träume definiert, rasch um sich. Speziell in der Krise, die diese Träume dämpfte, wenn nicht ganz zunichte machte. Doch was immer einzelne US-AmerikanerInnen oder US-Unternehmen durch die geplanten Pleiten für sich selber erreichen konnten und können: Gesellschaftlich ist diese Politik der verbrannten Erde ein Desaster. Die Konkurse sind bloss ein weiteres Mittel, mit denen das Kapital von unten nach oben umverteilt wird, und zwar nach ganz oben – von den vielen Lohnabhängigen zu den wenigen CEOs, von den Kleinsparerinnen zu den Hedgefondsinvestoren, von einer breit abgestützten Realwirtschaft zur spekulativen Hochfinanz, die diese Kredite und Hypotheken zu immer neuen auf dem Schneeballsystem beruhenden Geschäftsmodellen bündelte. Und natürlich bewegten sich Geld und Geist auch weg vom Allgemeingut und hin zum Privatbesitz, weg vom Service public und hin zur Marktwirtschaft, die aus allem und selbst aus einem Bankrott Profite zu schlagen weiss.
Im Interesse dieser hemmungslosen Marktwirtschaft stiehlt Gouverneur Scott Walker im Bundesstaat Wisconsin den Gewerkschaften das Recht, über kollektive Arbeitsverträge zu verhandeln (siehe WOZ Nr. 9/11). Und aufgrund derselben neoliberalen Verblendung haben republikanische PolitikerInnen in allen fünfzig US-Bundesstaaten Vorstösse lanciert, um die Arbeitsbedingungen im öffentlichen Dienst den prekären Verhältnissen in der Privatwirtschaft anzupassen. Denn die Privatwirtschaft, die noch vor wenigen Jahrzehnten bessere Löhne zahlte als der Staat, hat vorgemacht, wie in den USA offenbar ungestraft und ohne grossen Protest die Löhne gedrückt, die Arbeitsplatzsicherheit vernachlässigt und die Sozialleistungen abgebaut werden können.
Protest gegen den Wal-Mart-Staat
Zum Erstaunen und Ärger der Neoliberalen regt sich aber der Widerstand, wenn sie nun Staatsdienste deregulieren wollen wie zuvor die Wal-Mart-Türsteher. Im schuldengeplagten Kalifornien schlug der frühere Gouverneur Arnold Schwarzenegger 2005 vor, die herkömmlichen garantierten Renten im öffentlichen Dienst abzuschaffen und durch private Alterssparguthaben zu ersetzen. Der Republikaner hatte mit dieser Idee keine Chance. Doch das war vor der grossen Krise. Heute sind ähnliche Vorstösse an der Tagesordnung. So schlägt Schwarzeneggers demokratischer Nachfolger Jerry Brown unter anderem eine zehnprozentige Lohnkürzung für kalifornische Staatsangestellte vor, um das Haushaltsdefizit zu reduzieren.
Seit dem parlamentarischen Rechtsrutsch im November sind in den USA die Hochfinanzkrise und die kostspieligen Missgriffe der Banken in den Hintergrund geraten. Die siegreiche Republikanische Partei hat das schillernde Image von Wall Street gegen das einfache und bewährte Feindbild der fettarschigen BeamtInnen ausgetauscht. Ab sofort sind nicht mehr die mehrheitlich republikanisch gesinnten FinanzjongleurInnen mit ihren riskanten Spekulationen für die Krise verantwortlich. Schuld an den Budgetdefiziten der Staaten sind nun die Löhne und Sozialleistungen der Lehrerinnen, Polizisten und Feuerwehrleute, die mehrheitlich demokratisch wählen. Das Wirtschaftsmagazin «Business Week» etwa bezeichnet die öffentlichen Pensionskassen schlicht als «Sinkhole» – als Kloake, die den ganzen schönen Kapitalfluss absaugt.
Auch Los Angeles ist am Ende
Die RechtspopulistInnen haben nun eine radikale Lösung gefunden, um das Pensionskassenabflussloch ein für allemal zu stopfen. Allen voran propagieren Newt Gingrich, eine Galionsfigur der «Republikanischen Revolution», und Jeb Bush, Bruder des letzten Präsidenten George Bush, das Recht auf den Staatsbankrott. Gingrich, der mit der Präsidentschaftskandidatur 2012 liebäugelt, hat die tolle Idee an einem Treffen der republikanischen GouverneurInnen unter dem Titel «Die Linke ersetzen» vorgestellt. Für «links» hält der Rechtsaussen der RepublikanerInnen so gut wie jedes staatliche Handeln seit der Eindämmung des ungezügelten Kapitalismus nach der Weltwirtschaftskrise der dreissiger Jahre. Diese «linke Bürokratie» will er durch das wettbewerbsorientierte Businessmodell der Rechten ersetzen – und zu diesem Modell, sagt er, gehöre eben auch, dass US-Bundesstaaten einen ordentlichen Konkurs vornehmen dürfen.
Ein gezielter Konkurs, so die neoliberale Idee, würde die Staaten mit einen Schlag von allen Verpflichtungen befreien: Die rentenberechtigten Staatsangestellten müssten sich mit andern GläubigerInnen in die Schlange stellen, wenn sie an ihre Pension – deren Beiträge immerhin ein Lohnbestandteil ist – kommen wollen. Die gewerkschaftlich erkämpften Verträge, Löhne und Sozialleistungen der noch erwerbstätigen Staatsangestellten wären Makulatur und könnten von der Regierung neu – und tiefer – festgesetzt werden. Allein schon die Drohung mit dem Staatsbankrott funktionierte als Druckmittel gegenüber den Gewerkschaften. Jeder Gouverneur könnte nun sagen: «Entweder ihr verhandelt, oder meine Regierung leitet ein Konkursverfahren ein.»
Wie diese Vorstellung von einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung aussieht, kann man bereits heute in manchen US-Städten sehen. Denn unter bestimmten Umständen können Gemeinden schon jetzt ihre Insolvenz erklären. Über ein Dutzend Städte haben in den letzten zwei Jahren von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht; weitere Kommunen stehen am Rand des Konkurses – darunter Hamtramck im ehemaligen Autoindustriezentrum Michigan oder die AKW-Stadt Harrisburg in Pennsylvania, die sich durch Spekulation und eine überdimensionierte und defizitäre Müllverbrennungsanlage massiv überschuldet hat. Auch in Kalifornien sind viele Städte finanziell am Ende, nicht zuletzt die Metropole Los Angeles.
Etliche ÖkonomInnen befürchten, dass in den nächsten Jahren über hundert Städte in den USA pleitegehen werden. Solche Kassandrarufe haben bereits zu einem Rückgang der Kommunalanleihen geführt und den Kampf der Citys ums Überleben noch schwieriger gemacht: Im Unterschied zu den von öffentlich-rechtlichen Banken sowie von übergeordneten Regierungen unterstützten Gemeinden in Europa sind die Kommunen in den USA stark auf den privaten Investitionsmarkt angewiesen. Und der ist bekanntlich sehr labil.
Angst vor Unruhe auf dem Markt für Kommunalanlagen ist denn auch der Hauptgrund, weshalb Gingrichs radikaler Vorstoss unter seinen republikanischen KollegInnen nur auf mässige Begeisterung stösst. Die Rechten argumentieren, dass die Gewerkschaften auch mit diskreteren und marktfreundlicheren Methoden ausgebootet werden können. Etwa so wie es Scott Walter Mitte vergangener Woche in Wisconsin vorgemacht hat. Mit einem simplen abstimmungstechnischen Trick hat der republikanische Gouverneur die demokratische Opposition ausgeschaltet.
Ob man auf Walker oder Gingrich setzt, ist bloss eine Frage der Taktik. Der wirkliche Widerstand gegen den neoliberalen Staatsbankrott kommt von den Gewerkschaften, von demokratischen PolitikerInnen und all denjenigen US-AmerikanerInnen, die noch sehen und verstehen können, warum ein Staat kein Privatunternehmen sein kann und darf.
Mehr als finanzieller Bankrott
Ein anschauliches Beispiel dafür liefert Vallejo, eine Stadt mit 100 000 EinwohnerInnen etwa vierzig Kilometer nördlich von San Francisco. Wie in vielen anderen Kommunen in den USA drohten auch in Vallejo grosse Budgetdefizite. Anders als die meisten andern hat diese Gemeinde im Mai 2008 tatsächlich den Konkurs eingereicht: Aber während die Finanzinstitute heute wieder grosszügige Dividenden und Boni auszahlen, geht es den BewohnerInnen von Vallejo immer noch schlecht. Sie wurden nicht von der Regierung in Washington gerettet. Sie konnten ihre Verluste nicht einfach auf andere abschieben. Vor allem aber ist Vallejos «Kerngeschäft» – die Grundversorgung der Bevölkerung – nicht so manipulierbar wie das Börsengeschäft oder die Autoproduktion.
Schüler brauchen ihre Lehrerinnen, Kranke bedürfen der Pflege, Strassen müssen geputzt, Brücken repariert und Trinkwasseranlagen überwacht werden. Wenn eine Stadt oder ein Staat aus freien Stücken – und nur, um Sozialverpflichtungen loszuwerden – einen Bankrott anstrebt, bleiben nicht bloss frustrierte Leute zurück, die ihr Geld in Kommunalobligationen angelegt haben. Sondern auch Menschen ohne Recht auf ein anständiges Leben, ein Volk ohne Demokratie.
Unsoziale Kürzungen : Mehr Armut, weniger Geld
Die Budgetsorgen der US-Bundesstaaten sind real. Ihre Steuereinnahmen sind in der Krise um rund zwölf Prozent gesunken. Die Nachfrage nach sozialen Dienstleistungen hat hingegen zugenommen. Mehr US-AmerikanerInnen benötigen Arbeitslosengelder, Medicaid (die staatlich subventionierte Gesundheitsvorsorge), Heizungszulagen oder Stipendien. Aber weniger Leute bekommen diese Hilfen tatsächlich. Überall werden Arbeitslosenprogramme gestrichen und Studiengebühren an staatlichen Hochschulen erhöht. Massachusetts schliesst die Obdachlosenheime. Arizona versucht, 280 000 Menschen aus dem Medicaid-Programm zu drängen. Allein im letzten halben Jahr wurden rund 400 000 LehrerInnen entlassen – bei steigenden Schülerzahlen.
Das sind sozial unverantwortliche Kürzungen. Doch die einzelnen US-Staaten (mit Ausnahme von Vermont) müssen – im Gegensatz zur Zentralregierung – jederzeit ein ausgeglichenes Budget vorweisen können. Auf dem Höhepunkt der Krise unterstützte Präsident Barack Obama die Einzelstaaten mit 160 Milliarden US-Dollar. Doch im neuen Budgetjahr läuft diese Hilfe aus, während der wirtschaftliche Aufschwung in den Bundesstaaten noch kaum zu spüren ist. Über die kommenden mageren Jahre sind die GouverneurInnen von Florida bis Maine zu Recht besorgt – aber selten so besorgt, dass sie Steuererhöhungen vorschlagen würden. Stattdessen vermischt eine alarmistische Rechte die Finanzprobleme mit der «Rentenexplosion». Dabei ist die Finanzierung der Altersvorsorge ein strukturelles Problem, das längerfristig angegangen werden muss. Jedenfalls nicht mit einem kopflosen Konkurs.