Wirtschaftsdemokratie: Arbeiten, konsumieren, mitbestimmen

Nr. 19 –

Vier strategische Zwischenziele, um eine umfassende Wirtschaftsdemokratie zu erreichen – auch zuhanden der Sozialdemokratischen Partei, auf dass sie endlich mit der Umsetzung ihres Parteiprogramms beginne.


Demokratie macht bekanntlich vor den Fabriktoren und Bürotüren halt. Die aktuellen Debatten um eine Bankenregulierung zeigen den beschränkten Einfluss der Politik auf die Wirtschaft. Deshalb ist eine Demokratisierung der Wirtschaft nötig. Sie zielt in beide Richtungen: den demokratischen Zugriff auf die Wirtschaft verstärken und die wirtschaftlichen Verhältnisse selber demokratisieren.

«Wirtschaftsdemokratie» heisst die Vision eines demokratischen Sozialismus, der ernsthaft daran geht, die Ausbeutung von Mensch und Natur zu überwinden. Die Vision beginnt mit den Frühsozialisten Charles Fourier, Robert Owen und Pierre-Joseph Proudhon. Karl Marx belächelte deren Überlegungen zwar wegen ihrer vermeintlichen Unwissenschaftlichkeit, war mit ihnen aber dennoch der Überzeugung, dass «die sachlichen Produktionsbedingungen genossenschaftliches Eigentum der Arbeiter selbst» werden sollten. Den Begriff «Wirtschaftsdemokratie» hat Fritz Naphtali 1928 in seinem gleichnamigen Buch im Auftrag des Deutschen Gewerkschaftsbunds eingeführt. Er begründete sie höchst aktuell mit der «Kritik der wirtschaftlichen Autokratie» und der «Unzulänglichkeit der politischen Demokratie».

In der Schweiz zieht sich die Idee der Wirtschaftsdemokratie wie ein roter Faden durch alle Programme der Sozialdemokratischen Partei seit ihrer Gründung. Dass sie im neuesten Programm von 2010 prononciert gefordert wird, ist also nichts Neues. Die Forderung ist in den Mainstreammedien als antiquiert abqualifiziert worden. Weiterhin bietet aber eine umfassende Wirtschaftsdemokratie die beste Alternative zum herrschenden Finanz- und Wirtschaftskapitalismus.

In der Politik bauen die westlichen Demokratien auf einem Menschenbild der mündigen, selbstbestimmten BürgerInnen auf. In der Wirtschaft hingegen dominieren autoritäre Vorstellungen und Strukturen. Dieser Gegensatz ist systemisch, wobei der Vorrang der Wirtschaft die demokratischen Prozesse immer wieder unterläuft und untergräbt. Wir brauchen einen grundsätzlichen Wechsel von der «Privatisierung aller privatisierbaren Bereiche» zur «Demokratisierung aller demokratisierbaren Bereiche». Einer der Kernsätze im neuen SP-Parteiprogramm lautet: «Die Demokratisierung der Wirtschaft ist als politischer Prozess zu verstehen und zu praktizieren, der im Hier und Heute ansetzt.» Schön und gut. Aber nun müsste die Partei mit der Umsetzung beginnen, hier und heute, auch und gerade im kommenden Wahlkampf.

Wir schlagen vier Bereiche vor, in denen diese Demokratisierung vorangetrieben werden sollte: wirtschaftspolitische Steuerungen, Mitwirkungsrechte im Service public, Ausbau des Genossenschaftswesens sowie Förderung der wirtschaftlichen Mitbestimmung. Diese strategischen Zwischenziele gilt es politisch umzusetzen.

Wirtschaftspolitische Steuerung

Die Finanzwirtschaftskrise hat Forderungen nach Eingriffen in den Bankensektor wiederbelebt. Mittlerweile werden Vorschläge, das Klumpenrisiko der Schweizer Banken zu reduzieren, wieder vehement bekämpft und verwässert. Doch sie müssen durchgesetzt und zugleich erweitert werden.

Die transnationalen Multis operieren mit Monopolpreisen; im Pharma- und Rohstoffbereich gefährden sie damit Menschenleben in der Dritten Welt. Und sie entziehen durch komplexe Gewinntransfers sowohl den industrialisierten wie den sich entwickelnden Ländern bedeutende Steuereinnahmen. Einige dieser transnationalen Konzerne sitzen in der Schweiz, sehr oft nur als juristisches Konstrukt. Strengere Vorschriften gegen die Produktion schädlicher Güter und ein gerechteres Steuersystem würden auch zur Demokratisierung gesamtgesellschaftlicher Entwicklungen beitragen.

Service public

Wenn durch den Staat eine Demokratisierung der Wirtschaft erreicht werden soll, so muss der Staat damit bei sich selbst anfangen. In den letzten zwei Jahrzehnten haben die VerfechterInnen des Neoliberalismus erfolgreich versucht, staatliche Unternehmen zu verselbstständigen mit dem Ziel, sie längerfristig zu privatisieren. Bei SBB und Swisscom bis hin zu Universitäten und öffentlichen Spitälern sind neue Leitbilder und Leitungshierarchien eingeführt worden, die nach kapitalistischer Logik funktionieren, die Beschäftigten und Betroffenen von den Entscheidungen ausschliessen und BürgerInnen auf die Karikatur von KundInnen reduzieren. Dagegen muss die solidarische Bedeutung zentraler Infrastrukturaufgaben betont werden, gekoppelt mit flächendeckender Versorgungssicherheit, mit Arbeitsplatzsicherheit, Lohngleichheit und ökologischer Nachhaltigkeit.

Wirtschaftsdemokratisch gestaltet sich der Service public allerdings erst dann, wenn auch das beschäftigte Personal, die betroffenen KonsumentInnen sowie die Kommunen ein Mitspracherecht bei richtungsweisenden Entscheidungen und ein Mitentscheidungsrecht bei deren Vollzug erhalten. In den Verwaltungen von Städten mit links-grüner Mehrheit ist von einem Einbezug der Beschäftigten nichts zu spüren; im Gegenteil. Auch diese Verwaltungen beugen sich dem Trend des New Public Management und setzen auf privatwirtschaftliche Entscheidungsstrukturen. So wird ein falsches Bild vom Bürger und der Bürgerin als egoistischen Wirtschaftssubjekten gefördert, und Abwehrkämpfe können mit dem Klischee der konservativen Besitzstandswahrung diffamiert werden. Dagegen sollte Links-Grün in die Offensive gehen und die Beschäftigten stärker in die täglichen Entscheidungen einbeziehen. Das würde nicht nur deren Motivation stärken und ein neues staatsbürgerliches Bewusstsein fördern, sondern auch schlummernde Fähigkeiten und Ressourcen wecken.

Der Service public könnte so gegenüber der Privatwirtschaft zum Vorbild werden. Zudem könnte ein an Wirtschaftsdemokratie interessierter Staat als Eigentümer von Unternehmen, als Grosskunde und Wirtschaftsförderer aktiv zur Verbreitung demokratischer Strukturen in privaten Unternehmen beitragen.

Genossenschaften

Die Schweiz ist ein Land der Genossenschaften. Insbesondere im Wohn- und Konsumbereich sind sie stark vertreten. Aber die meisten dieser Genossenschaften sind längst ihres solidarischen Inhalts beraubt. Nachdem die Wohnbaugenossenschaften in den letzten Jahren stark unter marktwirtschaftlichen Druck geraten sind, sollten ihre finanzielle und juristische Stellung wieder gestärkt und die entsprechende Bautätigkeit der Kommunen gefördert werden. Dies würde zudem eine raumplanerische Diskussion um die Zersiedelung und die Ausbreitung der Agglomeration wiederbeleben.

Zur Genossenschaftsform hat in letzter Zeit vor allem der Ökonom Hans Kissling konkrete Vorschläge entwickelt, die teilweise ins SP-Parteiprogramm eingeflossen sind. Dazu gehören etwa ein Fonds für kleinere und mittlere Familienbetriebe, deren EigentümerInnen keine NachfolgerInnen finden: Sie könnten aufgekauft und in Genossenschaften umgewandelt werden. Zudem sollte das Genossenschaftsrecht revidiert werden, sodass es die Finanzierung erleichtert und die demokratische Transparenz der Grossgenossenschaften verbessert. Kapitalgesellschaften würden also allmählich durch Genossenschaften und Stiftungen abgelöst, die sich nicht vorrangig an der Renditemaximierung orientieren.

Auch Produktionsgenossenschaften im KMU-Bereich müssten gefördert werden. Sie dienen der Selbsthilfe der Arbeitenden und der GewerblerInnen in einem Bereich, in dem die SP und die Linke schwach sind. Selbst für Grossunternehmen wie die Swisscom kommt die Genossenschaftsform in Betracht. Ihre Mitglieder könnten ähnlich wie bei Coop oder Migros aus einem Grossteil der Schweizer Haushalte bestehen. Dabei muss das Wahlrecht der Genossenschaftsmitglieder ausgebaut werden, damit es ständig ein- und ausgeübt werden kann.

Mitbestimmung

1976 ist die gewerkschaftliche Mitbestimmungsinitiative wuchtig verworfen worden. Die Schweiz ist seither weit hinter Länder wie Deutschland zurückgefallen, wo es eine Mitbestimmung in den Aufsichtsräten und ein Betriebsrätesystem gibt. Aus dem damaligen Debakel wäre zu lernen – an eine mehrheitsfähige Revision des Gesellschaftsrechts kann erst dann gedacht werden kann, wenn sich die Basis für die Mitbestimmung motivieren und mobilisieren lässt; und zwar für eine umfassende Mitbestimmung der Belegschaften, die vom Arbeitsplatz über den Betrieb bis zur Unternehmenspolitik reicht. Solche Mühen des Alltags sind zweifellos schwierig, aber vielleicht kommt ja der Appetit beim Essen.

Die Mitbestimmung geht in der Schweiz nirgends so weit wie in den Stiftungsräten der Pensionskassen. Gerade sie aber haben bislang kaum etwas zur Demokratisierung der Wirtschaft beigetragen. Das könnte zum Beispiel durch gesetzliche Auflagen geändert werden, wonach Pensionskassenkapitalien nur in sozial verantwortungsvolle und ökologisch nachhaltige Unternehmen investiert werden dürfen sowie einen Industriefonds für den sozialökologischen Umbau der Wirtschaft speisen. Der auf fossilen Energien beruhende Kapitalismus ist ein Auslaufmodell, eine möglichst krisenresistente Umlenkung der Pensionskassenmilliarden in den ökosozialen Umbau der Wirtschaft ist keine Utopie, sondern eine Notwendigkeit.

Zugleich sollte das Pensionskassenkapital an Aktionärsversammlungen anderer Unternehmen dafür eingesetzt werden, um Arbeitende in die Verwaltungsräte zu wählen, um beschäftigungswirksame Investitionsentscheide herbeizuführen oder um gegen niedrige Frauenlöhne und für bessere Aufstiegschancen von Frauen zu kämpfen.

Mitbestimmung ist ein «Recht aus Arbeit» und nicht ein «Recht aus Eigentum». Die Parteien der Linken und vor allem die Gewerkschaften sollten immer an die fehlende Mitbestimmung erinnern, wenn es um feindliche Übernahmen oder um Auslagerungen, Massenentlassungen, Betriebsschliessungen im alleinigen Shareholderinteresse oder um überrissene Managergehälter geht. Wenn Grübel und Co. nicht einfach wegziehen oder mit Abwanderung drohen können, weil dies am Veto der Arbeitenden scheitern würde, wäre das der bestmögliche «Standortvorteil» für eine Wirtschaft, die den Menschen dient.


Seit März 2009 stellt die WOZ in ihrer Serie «Wirtschaft zum Glück» unterschiedliche nachhaltige Produktions- und Eigentumsformen, neue Ideen für eine alternative Ökonomie und ökologisch sinnvolle Projekte vor. Finanziert wird diese Serie aus einem Legat des früheren Nachhaltigen Wirtschaftsverbandes WIV.

Willy Spieler ist ehemaliger Fraktionsvorsitzender der SP im Zürcher Kantonsrat und hat mit seinen Anträgen wesentlich zur Verbesserung des SP-Parteiprogramms beigetragen.

Stefan Howald weiss als WOZ-Redaktor, was es heisst, in einem demokratischen Betrieb zu arbeiten.

Wirtschaft zum Glück

Seit März 2009 stellt die WOZ in ihrer Serie «Wirtschaft zum Glück» unterschiedliche nachhaltige Produktions- und Eigentumsformen, neue Ideen für eine alternative
Ökonomie und ökologisch sinnvolle Projekte vor. Finanziert wird diese Serie aus einem Legat des früheren nachhaltigen Wirtschaftsverbandes (WIV).