Buch: Globetrotterin mit forschen Rezeptoren
Monika Schnyder (*1945 in Zürich, lebt als Arabischlehrerin in St. Gallen) versteht sich auf eine eigene Poesie. Nun sind ihre «blattzungen. Ausgewählte Gedichte» erschienen. Der Titel lehnt sich nicht nur an die Botanik an, sondern auch an die Bezeichnung für ein antikes tropfenförmiges Ornament. Er darf programmatisch gelesen werden: Eine Flatterzunge ornamental durchtrainierter Poesie entspringt jeder Seite: welthaltige, historisch und kulturell breite Dichtung.
Schnyder gibt sich als Globetrotterin mit forschen Rezeptoren und sensiblen Antennen zu erkennen: Reisen führten sie immer wieder in islamische Länder – nach Ägypten zumal, doch auch nach Italien und Skandinavien; Reisen befruchten ihre Imagination. Dem Untertitel «Ausgewählte Gedichte» entsprechend, trifft der Band eine Auswahl aus Schnyders älteren Titeln «Hamâda», «Schnurrend im goldenen Licht» und «Swing by / Leuchtziffergrün» Er bringt aber auch viele neue Poeme. Zu Letzteren zählt dieses Erotikon aus der «Via dell’Abbondanza, Pompeji»: wie gestopft wir. löffelweise / mit dicken bohnen garum puls / an gaumen und zähnen schuppen und gräte / bulläugig fischäugig wogende see / die götter peitschen sie / reiten heroische nacktheit blasen / ins horn. lüsterne blicke (der silen dort) / wie er lacht, weinkrüge schwenkend / giess nach! wir glühn. lendengewoge / zwei gerippe streiten sich um einen kuchen / an der wand sein schatten / zuckt
Dem beigefügten Glossar ist zu entnehmen, dass Garum «ein Allerweltsgewürz im Alten Rom» war, «eine Sauce aus Fischinnereien und Salz, die man an der Sonne gären liess». Es kam ursprünglich aus Roms nordafrikanischen Provinzen, und so spinnen sich die Fäden dieses Gedichts in alle Welt. Selbst die Moral provoziert es: Im christlichen Abendland ist Nacktheit mit Blösse, Scham, Armut konnotiert, aber in der Antike mit Heroik! Solche Entdeckungen bietet uns Monika Schnyder.
Monika Schnyder: blattzungen. Ausgewählte Gedichte. Edition Isele. Eggingen 2011. 112 Seiten. Fr. 21.90