Die Banken und der Krawall: Der Ort der Empörung
Über die Riots von London schrieb der Philosoph und Psychoanalytiker Slavoj Zizek: «Das war ein Protest am Nullpunkt, ein gewaltsamer Akt ohne jede Forderung. In ihrem verzweifelten Versuch, einen Sinn in den Ausschreitungen zu finden, vernebelten die Soziologen und Leitartikler das Rätsel, das die Krawalle darstellten.»
Die Krawalle in Zürich der letzten Woche sind weder in ihrem Ausmass noch in ihrer Bedeutung mit London vergleichbar, dennoch ist Zizeks Feststellung hilfreich: Sie hält uns davon ab, die Proteste voreilig als «unpolitisch» abzuqualifizieren – aber auch mit unangemessenem Verständnis nach ihrem tieferen Sinn zu suchen. Wichtiger ist vielleicht, die Krawalle zu akzeptieren, als Tatsache und wohl auch als Ausdruck eines bestimmten Gefühls, das sich Luft verschafft hat – sei es mit artikuliertem, politischem Protest (etwa für mehr Freiräume oder gegen christlich-fundamentalistische AbtreibungsgegnerInnen), sei es mit nicht artikulierter, blinder Zerstörungswut.
In Wirtschaft und Politik liessen sich in jüngster Vergangenheit zwei grosse Linien ausmachen: eine Deregulierung der Märkte und in den letzten zehn Jahren als Folge eine Überregulierung des öffentlichen Raums. Diese Politik bedroht nicht nur einst gewonnene Freiräume, sondern vor allem auch die Freiheit, sich im öffentlichen Raum frei zu bewegen und aufzuhalten.
Die Gründe der Empörung sind nicht eindeutig festzumachen. Aber Gründe, empört zu sein, Gründe, wütend zu werden, gibt es derzeit genug.
Letzte Woche wurde bekannt, dass ein 31-jähriger UBS-Angestellter der Bank einen Verlust von rund zwei Milliarden Franken beschert haben soll. Angesichts der Darstellung der UBS, es handle sich um einen kriminellen Einzeltäter, fragte selbst die NZZ: «Wieso liest man nie von ‹kriminellen› Gewinnen?»
Das Führungsduo Kaspar Villiger und Oswald Grübel wurde in den letzten zwei Jahren nicht müde zu betonen, dass es eine «neue UBS» mit den Leitwerten «Klarheit, Wahrheit, Leistung» repräsentiere. Davon war nur wenig zu spüren: Konzernchef Grübel verkündete als Ziel grössenwahnsinnige Eigenkapitalrenditen von fünfzehn bis zwanzig Prozent, sein Handlanger Villiger nörgelte wenn immer möglich gegen neue Regulierungen.
Diese Woche passierte – allem Widerstand der Grossbanken zum Trotz – die sogenannte «Too big to fail»-Vorlage den Nationalrat. Das scheint auf den ersten Blick erfreulich. Tatsächlich kann damit kaum jemand zufrieden sein: Die höheren Eigenmittelvorgaben sollen den Banken – einmal mehr – mit einer Steuererleichterung schmackhaft gemacht werden. Und die Eigenmittel, also die Kapitalpolster der Banken, sollen nun doch nicht so hoch werden wie vorgesehen.
Zudem: Die Eigenmittelvorschriften sind ein riesiges Täuschungsmanöver. Sie basieren nicht auf der gesamten Bilanzsumme der Banken, sondern lediglich auf den «risikogewichteten» Anlagen. Am Ende werden die Banken ihre Bilanz bloss mit rund drei bis fünf Prozent eigenem Kapital decken müssen.
Geschieht etwas nur einmal, kann es als Unfall abgetan werden. Geschieht es mehrmals, liegt ein grundsätzliches, strukturelles Problem vor. Das gilt für die UBS, das gilt für die seit drei Jahren anhaltende Kaskade von Krisen in Finanz- und Weltwirtschaft. Während die sozialen Ungleichheiten – weltweit und selbst auf der Wohlstandsinsel Schweiz – weiter zunehmen, bleiben die einzigen Folgen des Beinahecrashs der Finanzmärkte von 2008 ein paar wenige Reformen kosmetischer Natur.
In New York haben vergangenes Wochenende mehr als tausend Menschen versucht, die Wall Street zu besetzen. Einige Hundert campieren seither mitten im Finanzdistrikt, wollen ausharren und protestieren. Sie berufen sich auf die Demokratiebewegungen in der arabischen Welt, auf die «Empörten» in Spanien. Bemerkenswert ist dabei nicht die Masse, sondern der Ort, an den sie ihre Empörung tragen.
Vielleicht lädt die nächste SMS, die unter ZürcherInnen kursiert, nicht an das Bellevue oder das Central – sondern zum Campieren an den Paradeplatz. Gründe dafür gäbe es genug.