Kommentar: Israel mitten im nahöstlichen Sturm

Nr. 39 –

Nach zwanzig Jahren erfolglosen Friedensverhandlungen mit Israel hat Präsident Mahmud Abbas die Uno um die Anerkennung Palästinas als Staat gebeten. Auch wenn er keinen Erfolg damit hat: Israel rennt gegen die Zeit.


Nun liegt der Antrag auf dem Tisch. Letzten Freitag drückte Palästinas Präsident Mahmud Abbas Uno-Generalsekretär Ban Ki Moon das Gesuch für eine Vollmitgliedschaft eines palästinensischen Staates in den Vereinten Nationen in die Hand. Drei Stunden später reichte Ban dieses an den Sicherheitsrat weiter. Seit Montag wird dort von den fünfzehn Mitgliedern darüber beraten. Der Entscheid wird in einigen Wochen erwartet.

Für Israel und die USA ist die Sache ungemütlich: Letzte Woche mussten sie vor der Generalversammlung in New York erklären, warum sie – trotz ihrer prinzipiellen Befürwortung eines palästinensischen Staates – gegen den Antrag sind: Israels Premierminister Benjamin Netanjahu rief am Freitag in seiner Rede die palästinensische Seite zum wiederholten Male auf, Israel als «jüdischen Staat» anzuerkennen und an den Verhandlungstisch zurückzukehren: «Die Palästinenser müssen zuerst Frieden mit Israel machen, um ihren Staat zu bekommen.» Andersherum gehe es nicht. Zwei Tage zuvor hatte US-Präsident Barack Obama ähnliche Worte gewählt: Nur Verhandlungen könnten in einen Staat münden. «Es gibt keine Abkürzung.»

Für junge PalästinenserInnen, die seit Geburt unter israelischer Besatzung leben, müssen die Worte der beiden Herren wie blanker Hohn klingen: Anders als Israel hat die palästinensische Seite bereits zu Beginn des Osloer Friedensprozesses 1993 ihr Gegenüber als Staat anerkannt; die Forderung Israels, als «jüdischer Staat» anerkannt zu werden, soll auch davon ablenken. Zudem bleiben die Verhandlungen seit zwanzig Jahren ohne Erfolg. Die letzten Gespräche waren vor einem Jahr gescheitert, als die Regierung Netanjahu nicht bereit war, ein kurz zuvor eingeführtes Moratorium für den illegalen Siedlungsbau im besetzten Westjordanland zu verlängern, in dem der Staat Palästina einst liegen soll.

Israels unnachgiebige Haltung hat einen einfachen Grund. Seit Ende der Zweiten Intifada (2005) lebt es sich in Israel relativ sicher, der Kriegsalltag in den besetzten Gebieten wird kollektiv verdrängt. Und: Der Status quo bietet Israel freie Hand, das besetzte Westjordanland und Ostjerusalem – wenn auch völkerrechtswidrig – weiterhin zu besiedeln.

Mit einem Verhandlungsdurchbruch hätte Israel daher viel zu verlieren. Denn die völkerrechtlichen Leitplanken für ein Abkommen sind klar: Unter anderem müsste Israel das Westjordanland, in dem mittlerweile 300000 SiedlerInnen leben, weitgehend räumen; Ostjerusalem (200000 SiedlerInnen) hätte es mit dem neuen Staat Palästina zu teilen.

Palästinas Uno-Antrag ist keine «Abkürzung». Nach zwanzig erfolglosen Verhandlungsjahren ist die Gründung eines Staates eine der letzten Optionen, Israel zum Einlenken zu zwingen. Denn als Uno-Mitglied erhielte Palästina erhebliches rechtliches und politisches Gewicht, der Druck auf Israel würde steigen. Anders, als es das Mantra von Dialog und Verhandlung behauptet, war es in der Geschichte meist politischer Zwang, der langfristig zum Frieden führte.

Zur Anerkennung des palästinensischen Staates durch den Sicherheitsrat wird es jedoch nicht kommen. Die USA haben bereits ihr Veto angekündigt. Obama will den langjährigen geostrategischen Partner Israel nicht fallen lassen. Schon gar nicht ein Jahr von den Präsidentschaftswahlen, denn dies könnte ihn den Kopf kosten. Dennoch ist Abbas’ Antrag nicht umsonst: Er erhöht den politischen Druck auf Israel und die USA, eine realistische Alternative vorzulegen.

Und der Druck steigt auch von anderer Seite. Etwa aus Ankara und Kairo, wo der Westen an Einfluss verliert und die Töne gegenüber Israel rauer werden. Aber auch vonseiten aufstrebender Mächte wie China, das sich hinter den Antrag stellt. Und: Irgendwann wird Israels Rechte begreifen, dass die Annektion des Westjordanlands langsam in einen Einheitsstaat mündet, in dem sich die PalästinenserInnen irgendwann für gleiche Bürgerrechte erheben werden. Das Umdenken wird kommen.