Kommentar: Palästina auf dem langsamen Weg zum Staat
Von der «beobachtenden Körperschaft» zum «beobachtenden Nichtmitgliedsstaat»: Was den PalästinenserInnen die Aufwertung ihres Status bei der Uno bringen würde.
Vor einem Jahr, am 23. September 2011, beantragte der Präsident der palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas, vor der Uno-Generalversammlung in New York die «völkerrechtliche Anerkennung des Staates Palästina und seine Aufnahme in die Weltorganisation als Vollmitglied». Die für eine Annahme des Antrags erforderliche «zustimmende Empfehlung» des Sicherheitsrats an die Generalversammlung hätte damals die erforderliche Mehrheit von neun der fünfzehn Ratsmitglieder gefunden. Auch bei der Abstimmung in der Versammlung hätte weit mehr als die laut Uno-Charta notwendige Mehrheit von zwei Dritteln der 194 Uno-Mitglieder mit Ja votiert. Doch die USA haben die Abstimmung mit ihrer Vetodrohung im Sicherheitsrat bis heute verhindert. Deshalb wird Abbas der Generalversammlung am 27. September einen neuen, abgespeckten Antrag vorlegen: Der bisherige Beobachterstatus Palästinas soll von einer «anderen Körperschaft» («other entity») zu einem «Nichtmitgliedsstaat» («non-member state») abgeändert werden. Dafür ist keine Empfehlung des Sicherheitsrats erforderlich. In der Generalversammlung wird voraussichtlich eine grosse Mehrheit von bis zu 75 Prozent dem Antrag zustimmen.
Doch «What’s in a name?» könnte man mit Shakespeares Julia fragen. Abbas und seine UnterstützerInnen in der Generalversammlung hoffen auf einen grösseren Handlungsspielraum im Bemühen um einen eigenständigen Staat, der den PalästinenserInnen 1947 mit der Uno-Resolution 181 der Generalversammlung versprochen wurde. Die USA, Israel, Deutschland und die anderen Staaten, die am 27. September mit Nein stimmen oder sich enthalten werden, erwarten hingegen, dass die Namensänderung lediglich ein symbolischer Akt ohne praktische Konsequenzen bleibt. So wie schon 1988 einmal. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) unter Jassir Arafat – ähnlich wie einige Befreiungsbewegungen aus dem südlichen Afrika und aus Lateinamerika – den Beobachterstatus als «andere Körperschaft». Diesen Status hatte die Uno-Generalversammlung der PLO 1974 zuerkannt. Er erlaubte ihren VertreterInnen in New York die Teilnahme an Debatten der Generalversammlung sowie die politische Unterstützung von Anträgen und Resolutionsentwürfen zu Nahostthemen. Abstimmungsberechtigt sind Beobachter nicht. 1988 rief der Palästinensische Nationalrat, das oberste legislative Organ der PLO, die Gründung des Staates Palästina mit der Hauptstadt Ostjerusalem aus. Doch nach der Anerkennung durch über fünfzig Staaten wurde lediglich das Namensschild am Sitzplatz des palästinensischen Beobachters in den Uno-Zentralen von New York und Genf ausgetauscht: Statt «PLO» stand fortan «Palestine». Die Kompetenzen blieben unverändert begrenzt.
Die jetzt geplante Aufwertung zum beobachtenden Nichtmitgliedsstaat würde den PalästinenserInnen hingegen neue Rechte und Möglichkeiten eröffnen. Sie könnten dem für zwischenstaatliche Streitigkeiten zuständigen Internationalen Gerichtshof sowie dem Internationalen Strafgerichtshof beitreten und dort Klagen gegen Israel einreichen, etwa wegen der völkerrechtswidrigen Besetzung und fortgesetzten Besiedlung der Westbank oder wegen Menschenrechtsverletzungen. Zudem stiegen die Chancen auf eine Mitgliedschaft Palästinas in denjenigen Sonderorganisationen der Uno, die darüber unabhängig von der Generalversammlung entscheiden können. Bereits im November 2011 wurde Palästina von der Unesco in Paris aufgenommen. Als Nächstes plant Abbas den Beitritt zur Weltgesundheitsorganisation und zur Internationalen Arbeitsorganisation. Im Saal der New Yorker Generalversammlung und bei anderen Uno-Konferenzen sässen die palästinensischen VertreterInnen künftig direkt neben denen des Vatikans – dem einzigen anderen «beobachtenden Nichtmitgliedsstaat», seit die Schweiz sich 2002 zur Vollmitgliedschaft entschied.
Abbas braucht den «historischen Sieg» am 27. September in New York dringend. Er steht mit leeren Händen da, seit US-Präsident Barack Obama all seine früheren Forderungen an die israelische Regierung nach einem Siedlungsstopp und nach konstruktiven Verhandlungen mit den PalästinenserInnen über eine «gerechte Zweistaatenlösung» fallen gelassen hat. Allein die Tatsache, dass Abbas wie schon im letzten September trotz massiven Drucks aus Washington, Tel Aviv und Berlin erneut mit einem Antrag vor die Uno-Generalversammlung tritt, stärkt sein Ansehen unter den PalästinenserInnen sowohl in der Westbank wie auch im Gazastreifen. Und damit auch seine Position im innerpalästinensischen Machtkampf mit der Hamas. Längerfristig wird ihm der diplomatische Erfolg in der Uno aber nur nützen, wenn dieser auch tatsächliche Fortschritte auf dem Weg zu einem palästinensischen Staat in den Vorkriegsgrenzen von 1967 bringt. Wenn nicht, dann dürfte es unweigerlich zu einer Radikalisierung unter den PalästinenserInnen und zu einem Aufstand gegen die Autonomiebehörde kommen, was Abbas politisch kaum überleben würde.