Fumoir : Und es bleibt: Eurodance
Ruedi Widmer outet sich als Fan
Europa taumelt. Der Euro hängt am Rettungsschirm.
In einem Winterthurer Club habe ich wie früher mit Kollegen aufgelegt. Mich retrospektiv der Dance-Musik von etwa 1987 bis 1992 angenommen. Der optimistischen Musik, die den sich damals befreienden Kontinent begleitete. Musik aus einer fernen Zeit.
Anders als Postpunk zehn Jahre früher ist diese Tanzmusik musikhistorisch schlecht dokumentiert, und anders als die immergleichen siebziger/achtziger-Hits heute selten zu hören. Doch der Rave wurde damals erfunden, im kurzen Zeitfenster, in dem sich Hip-Hop, House, Kraftwerk, Hippietum und Punk zu einem wilden Tanz vereinigten und wo kurz alles möglich war, weil alles NEU war. Visionäre Pickeljungs warfen mit den neuen Sampling-Geräten die etablierten Postpunk-Epigonen aus den Hitparaden, verscheuchten Phil Collins und Tina Turner und liessen die ganzen achtziger Jahre alt aussehen. Diese Ursuppe liess stilistisch alles zu, bevor sie sich ab 1992 verfestigte und teilweise unerträglich wurde. Hip-Hop wurde wieder ernst, Sampling-House mutierte zur Geldmaschine Eurodance und Techno zum Massenspektakel. Aber am Anfang machte jeder mit jedem rum. Primal Scream und die Stone Roses kreuzten Gitarren mit Hip-Hop-Beats, Marrs oder Bomb the Bass spielten alle Platten, die sie besassen, gleichzeitig ab und gaben sich als Musiker aus, Coldcut remixten die Rapper Erik B & Rakim so krud, dass selbst diese die Welt nicht mehr verstanden. Die Jungle Brothers, die über Housebeats rappten. Der schalkhafte Bastelgroove von De La Soul und A Tribe Called Quest.
Die House-Hippies von Deee-Lite, die frühen Massive Attack, Rebel MC, die Anarchisten von KLF, die späteren Millionenseller Snap und WestBam, der verspielte Warp-Bleep-Techno von LFO und Black Dog. Es klang alles naiv und aufregend neu. Wie Punk 1977. Diese neuen Acts enterten die Top Ten und liessen die Radiomoderatoren, die lieber Bon Jovi spielten, ratlos zurück. In der Schuldisco war Housemusic verpönt. Es vergingen noch Jahre bis zur Streetparade.
Man sieht, hier schreibt ein Fan. Doch Herzblut sollte man für sich behalten.
Das Publikum kam von irgendwoher und ging irgendwohin. Ein Teil hat das Motto nicht mitbekommen. Betrunkene Männer tanzten die Frauen an, die Frauen tanzten lieber untereinander. Seit Adam und Eva ist das so. Und dazu muss halt irgendeine Musik rumpeln.
Spezifisch Anteilnahme an meinem sorgsam ausgeklügelten Musikprogramm nahm jene Dame, die mich fragte, ob ich nicht etwas anderes spielen könne, und auf meine Frage, was denn, entgegnete, egal, irgend etwas anderes. Einer fragte, als Public Enemy lief, ob ich Hip-Hop auflegen könne.
Ich bin ja nicht David Guetta, hoch oben auf der Kanzel. Ich stand auf einem Podestli, versuchte, meinen Bauch einzuziehen (oder mit der Rauchmaschine einzunebeln) und war damit eine ideale niederschwellige Beschwerdestelle.
Recht haben sie. Der DJ sollte kein bald 40-jähriger Oberlehrer, sondern ein Dienstleister sein. Seine Aufgabe ist, den Paarungstanz mithilfe ewiggleicher Melodien zu strukturieren. Doch wofür wird eigentlich dauernd neue Musik aufgenommen?
Ich bin ja selbst nicht anders: Ich will ein Bier an der Bar und nicht irgendwelche kunstvoll zusammengemischten Liköre, die dem Barkeeper am Herzen liegen.
Später raste die Crowd zur Eurodance-Fasnachtsmusik von 2Unlimited und Vengaboys, aufgelegt von den jüngeren Kollegen.
Eurodance zieht und braucht keinen Rettungsschirm.
Ruedi Widmer ist Karikaturist in Winterthur.