Pop: Bumm ohne Bummbumm

Nr. 16 –

Sein Ruf als DJ Koze schallt in alle Welt hinaus. Auf seinem Soloalbum «Music Can Hear Us» schwört der Hamburger Produzent Stefan Kozalla dem Dancediktat ab.

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DJ Koze alias Stefan Kozalla
Für die Hitparade ist das alles zu viel: DJ Koze alias Stefan Kozalla. Foto: Pampa Records

Vor bald einem Vierteljahrhundert hiess das erste Album von DJ Koze «Music Is Okay» und begann mit einem Frevel. Er pitchte die Stimme des nicht nur in Hamburg kultisch verehrten Blumfeld-Sängers Jochen Distelmeyer in den Lachgasbereich hoch und vermischte «Tausend Tränen tief» mit einem berühmten Minimal-Techno-Stück jener Tage, «Loverboy» von Steve Bug. Es ging in die Beine, traf ins Herz, und die zu hohe Stimme nahm das Pathos gleich wieder zurück.

Ja, so war das damals, Kinder. Aber Opa kann lange von früher erzählen, das Stück ist bei den Streamingdiensten, wohl aus rechtlichen Gründen, nicht erhältlich.

Die Peitsche bleibt im Schrank

Mittlerweile hat der in Flensburg im hohen Norden aufgewachsene und in Hamburg durchgestartete Stefan Kozalla als DJ Koze auf den grössten Festivals der Welt gespielt. Er weiss, wie man die Massen in die Raserei treibt. Trotz des blendenden Geschäfts im globalen Tanzzirkus blieb er stets zwei Treppchen unterhalb des Mainstreamerfolgs. In seinen Tracks ist zu viel los für die Hitparaden, das Klangbild verändert sich oft und überraschend. Seine Musik klingt deep und geschmeidig, aber stets spielerisch. Als wäre die Musik ein Organismus, wie schon der Titel «Music Is Okay» nahelegte, verspricht auch «Music Can Hear Us» lebendige Materie. Und das nicht nur, weil DJ Koze wie immer mit Gastsänger:innen zusammenarbeitet, die bei ihm stets noch besser klingen: Sophia Kennedy von seinem Label Pampa, aber auch Stars wie Damon Albarn von Blur oder die Österreicherin Soap & Skin.

Es ist Kozallas erstes Soloalbum seit sieben Jahren. Er ist nun 53 Jahre alt, und es ist klar, dass er von der geraden Bassdrum genug hat. Die Clubpeitsche bleibt weitgehend im Schrank. Selbst wenn das vergleichsweise stumpfe Signal des durchmarschierenden Viervierteltakts bei ihm elegant klingen kann, wie er es zuletzt mit dem Album für die irische Sängerin Róisín Murphy vor zwei Jahren gezeigt hat: «Hit Parade» landete Ende 2023 zu Recht auf den vorderen Rängen von gefühlt jeder Bestenliste. Doch Kozalla hat uns ausgetrickst, denn schon für Murphy, die ehemalige Moloko-Sängerin und spätere House-Music-Queen, baute er nur wenige gerade Beats, wie man erst beim bewussten Wiederhören merkt.

«Music Can Hear Us» hat nur zwei Tracks, die auf den Dancefloor drängen oder einfach in den Sommer, «Buschtaxi» und «Brushcutter» mit Marley Waters. Aber selbst da hören wir «broken beats», wie im Vereinigten Königreich der neunziger Jahre, und keine Viererwalzen. Alles andere ist langsamer, zarter, und verrät doch, dass das Herkunftsgebiet dieser schwankenden, leicht psychedelischen Tracks der Rave ist oder war. Hier nimmt DJ Koze das feinere Werkzeug zur Hand.

Wer nun Techno mit Matur denkt, liegt falsch. Denn der Stoff seiner Tracks bleibt in der Regel fast minimal, als würde er die Musik zuerst ordentlich grundieren. Im zweiten Arbeitsschritt passiert etwas anderes, und es kommt noch mindestens ein dritter dazu. Gleich das Eröffnungsstück zeigt das beispielhaft. «The Universe in a Nutshell» beginnt als Loop mit einer Art Meditationsgesang, leichter Perkussion wie von einem Tambourin, stark editierten Streichern und verschiedenen Saitenklängen, die nachklingen und Obertöne schaffen (Mandolinen, aber auch Hackbretter? Wer weiss …). Erst nach drei Minuten dreht DJ Koze ein paar Akkorde in die Spur. Harmoniewechsel! Das gab es im Club letztmals wohl im vergangenen Jahrhundert.

Keine Angst vor Einkehr

Allerdings spielt er die Harmonien nur so lang, bis sie sich festgesetzt haben im Hirn der Hörer:innen. Danach nimmt er sie wieder weg, und der Track folgt dem Grundton. Doch die Verheissung bleibt, die Sehnsucht nach dem Akkordwechsel, auch einem Symbol für Wandel. Das Gehirn denkt sich die Akkorde auch dann dazu, wenn sie gar nicht mehr da sind. Einige Tracks sind nach dieser Regel gebaut. Eine weitere betrifft nicht die horizontale Dramaturgie, sondern die vertikale: Es spuken immer neue Sounds durch das Klangbild, «kleine Feenwesen», wie sie Kozalla im Gespräch einmal nannte. Der Eindruck, die Musik sei komplex, stimmt nur, wenn man damit stete Veränderung meint. Den Flow der Tracks tangiert diese verschwenderische Geste nie.

Dass das Album auf die Kopfhörer passt und ganz gehört werden soll, liegt daran, dass DJ Koze nicht mehr so viel Angst vor Pathos oder vor Einkehr hat wie früher. Manchmal hat der viele Quatsch genervt, wenn sich jeder zweite Track mit nicht immer ganz spitzenmässigem Humor selbst abschoss, als verachte er die eigene Virtuosität. Der Witz ist nicht verschwunden, aber er hibbelt weniger.

DJ Koze kommt aus dem Hip-Hop. Zuerst hat er gerappt, dann war er DJ der Hamburger Formation Fischmob, lange bevor er zum Star wurde. Die Herkunft bleibt bis heute spürbar: weil er die Stimmen mit Sorgfalt behandelt und nie als Klangtapete, und auch weil er Gespür für die Sounds zeigt, die mal gesampelt sind, mal live eingespielt. Gerade in Deutschland war Hip-Hop bis weit in die neunziger Jahre hinein von Rappern geprägt, viel weniger von den DJs und ihrer Produktion wie in den USA. Hip-Hop handelte von Texten, nicht von Sounds (weshalb sich lange eher Jungs dafür interessiert haben, die mit verschränkten Armen im Publikum standen und mit dem Kopf nickten, während kaum jemand tanzte). DJ Koze kennt das alles aus der Nähe, und so ist es auch zu verstehen, wenn bei ihm die Männerstimmen viel stärker bearbeitet sind als jene der Frauen. Ja nicht Männer breitbeinig auftreten lassen, das muss nicht mehr sein.

Die berühmteste Stimme auf dem Album gehört Damon Albarn. Das viele, für diesen Sänger ungewöhnliche Autotune in «Pure Love» habe sich Albarn selbst gewünscht, sagt Kozalla. Die Gitarrenlicks und auch die Beats wirken deutlich afrikanisiert, und doch klingt es immer nach DJ Koze. Es schunkelt und schwankt weit weg von einem Technoclub. «Wie schön du bist» mit der Band The Düsseldorf Düsterboys und der Stimme von Arnim Teutoburg-Weiss, dem Sänger der Rockband Beatsteaks, shuffelt gemütlich, die Männer singen mal heliumhoch, dann wieder fast parodistisch geschmeidig. «Tu Dime Cuando» mit Ada und der peruanischen Produzentin Sofia Kourtesis ist schon fast ein Hörspiel. Auf der wechselnden Mollharmonie sitzt eine Gesangslinie, deren Tonmaterial gleich bleibt, dazwischen gibt es Pausen, die den Song wie eine Skulptur leuchten lassen.

Wind an der Gondel

Die Stimmen von Sophia Kennedy aus Hamburg und der Wienerin Anja Plaschg alias Soap & Skin singen derweil direkter. In «Die Gondel» trifft Kennedys Alt, hinter dem sich eine zweite, verfremdete Stimme versteckt, auf einen schleppenden Beat, der sich die Hänge hochschiebt. Kopfhörermusik, ganz klar: Die Claps wandern im Stereobild, hier knarzt plötzlich ein Wind am Seilbahngehäuse, da kündet sich ein Grollen aus dem benachbarten Tal an. Psychedelisch bedeutet in dieser Kunst: die kontrollierte Illusion erschaffen, als hätte man gerade wenig unter Kontrolle.

Obwohl DJ Koze auf «Music Can Hear Us» fast auf die gerade Bassdrum verzichtet und lieber die Kicks auf der Zwei und dazwischen sucht, obwohl dieses wunderbare, morphende, atmende und betörende Album viel mit Aufschub arbeitet statt mit Bedürfnisbefriedigung, lässt er kurz vor Schluss in «Buschtaxi» die Maschinen schnattern und beschwört mit Flöten ein durchgehendes Riff. Wer jetzt nicht tanzt, ist so tot wie Techno.

Albumcover «Music Can Hear Us» von DJ Koze
DJ Koze: «Music Can Hear Us». Pampa Records. 2025.