Palästina: Der Weg bleibt steinig
Während die Hamas weiter an Einfluss gewinnt, sucht die Fatah politische Erfolge bei der Uno zu erreichen. Um eine neue Eskalation mit Israel abzuwenden, braucht es aber mehr als das.
Ramallah ist in diesen Tagen voller Plakate, auf denen der palästinensische Präsident Mahmud Abbas triumphierend ein Blatt Papier in den Händen hält. Die Aufnahme zeigt ihn bei seiner Rede vor der Uno-Generalversammlung am 23. September. «Palästina, der 194. Staat in der Uno», ist unter dem Bild zu lesen. Doch auch sechs Wochen nachdem Abbas in New York die Uno-Vollmitgliedschaft für Palästina beantragt hat, wird das Land durch die USA und Israel isoliert und verschärft sich die politische Lage weiter.
Dabei nahm es sich zunächst gut aus: Palästina ist seit Ende Oktober Mitglied der Unesco, der Uno-Sonderorganisation für Erziehung, Wissenschaft und Kultur. Mit 107 zu 14 Stimmen fiel das Votum der Vollversammlung in Paris überraschend eindeutig aus, auch wenn Deutschland und die USA dagegen stimmten und insgesamt 52 Staaten der Abstimmung fernblieben – die Schweiz enthielt sich ihrer Stimme.
Nach der Abstimmung hatten die USA allerdings sofort alle Zahlungen an die Unesco eingefroren, was für die Organisation, deren Budget bisher zu fast einem Viertel von den USA gedeckt wurde, einer finanziellen Katastrophe gleichkommt. Die Aufnahme Palästinas in die Unesco sei «bedauerlich und voreilig», sagte die Sprecherin des US-Aussenministeriums, denn den USA sei es gesetzlich nicht erlaubt, Organisationen zu fördern, in denen Palästina Mitglied ist.
Keine Auswirkung auf den Alltag
Immerhin: Der teuer erkaufte Entscheid der Unesco bringt Abbas den kleinen Erfolg, den er bitter nötig hat – und gibt seiner Regierung in Ramallah neuen Rückenwind. So plant sie für die nächsten Wochen sechzehn weitere Anträge bei Uno-Organisationen. Allerdings fehlen Abbas weiterhin Erfolge, die auch für die palästinensische Bevölkerung in ihrem Alltag spürbar sind. Abbas’ Achtungserfolge haben für die PalästinenserInnen wenig Bedeutung, solange sich nichts an Israels Besatzungspolitik ändert.
«Was in der Uno geschieht, hat keinen fühlbaren Effekt auf unser tägliches Leben», sagt etwa Ghassan Khatib, Sprecher der Palästinensischen Autonomiebehörde in Ramallah. «Dennoch hoffe ich, dass wir Wege finden, um das Verhalten Israels in den besetzten Gebieten zu beeinflussen.» So müsse Israel die Beschränkungen auf Verkehr und Handel aufheben und endlich den Siedlungsbau im Westjordanland stoppen.
Das wird jedoch vorerst nicht eintreten. Im Gegenteil: Für jeden Schritt in Richtung der Uno-Mitgliedschaft wird die Regierung in Ramallah von Israel und den USA noch stärker unter Druck gesetzt.
Uneinigkeit in Israel
Auf seinem Weg in die Uno muss Präsident Abbas nicht nur der Bevölkerung greifbare Veränderungen bringen, sondern auch gegen die mit Abbas’ Partei Fatah rivalisierende Hamas punkten. Diese konnte kürzlich einen grossen Erfolg verbuchen. Im Austausch für den 2006 entführten israelischen Soldaten Gilad Shalit erreichte die Hamas die Freilassung von rund 500 palästinensischen Gefangenen sowie die Zusage der Freilassung von noch einmal so vielen. Im Gazastreifen und im Westjordanland wurde die Rückkehr der langjährigen Gefangenen von emotionalen Willkommensfeiern begleitet. Hamas-Führer Ismail Haniya begrüsste jeden Heimkehrer einzeln. Der Austausch hat der Hamas Auftrieb verschafft. Sie hat erreicht, was der Fatah auch nach jahrelangen Verhandlungen nicht gelungen ist.
Zwar versuchte Abbas nach dem Austausch sofort, den Moment für sich zu nutzen, indem er in einer Rede verkündete, auch die Fatah werde mit Israel bald ein Abkommen schliessen. Doch die israelische Regierung zeigt ihm die kalte Schulter. Abbas müsse für seinen Antrag um Uno-Mitgliedschaft bestraft werden, war der vorherrschende Tenor. Der israelische Aussenminister Avigdor Lieberman von der nationalistischen Partei Yisrael Beitenu forderte gar seinen Rücktritt. Abbas sei «ein Hindernis für den Frieden, das sofort verschwinden muss», sagte er. Auch die palästinensische Unesco-Mitgliedschaft wird von Israel als «friedenshindernd» kritisiert. Zur Strafe wolle man den Bau von 2000 Wohneinheiten in israelischen Siedlungen beschleunigen, sagte ein Sprecher von Premierminister Benjamin Netanjahu. Zudem wurde ein vorläufiger Stopp der Steuer- und Zollrückzahlungen an die PalästinenserInnen beschlossen. Dabei geht es um Beträge in Millionenhöhe. Weitere Schritte würden folgen.
Allerdings wird in Israel über den Sinn dieser Bestrafungswelle gestritten. So werde die Fatah, die Israel nahesteht, im Westjordanland weiter geschwächt, was der Hamas und militanten Gruppierungen Auftrieb verschaffe, sagen KritikerInnen. Selbst das israelische Militär ist der Ansicht, dass eine solche Bestrafung Probleme für Israels Sicherheit schaffe – und fordert nun gar die Freilassung von Fatah-Häftlingen als Unterstützungsgeste für Abbas. Diese Warnungen stossen in der Regierung jedoch auf taube Ohren.
Um einen Weg aus dem Schlamassel zu finden, hat die Fatah nun ein Komitee gegründet. Darin soll auch die Zukunft der Palästinensischen Autonomiebehörde besiegelt werden. Präsident Abbas drohte unlängst sogar mit deren Auflösung. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass diese Drohung umgesetzt wird, da derzeit rund 160 000 PalästinenserInnen ihr Gehalt über die Behörde beziehen. Ebenfalls im Raum steht ein möglicher Rücktritt von Abbas.
Widersprüchliche Interessen
Im Gegensatz zur Fatah ist die Hamas in den vergangenen Jahren populärer und selbstsicherer geworden. Doch auch sie sieht sich im Gazastreifen mit einem Dilemma konfrontiert: Die Hamas will eine Gewalteskalation mit Israel vermeiden, kann aber nicht verhindern, dass es immer wieder zu Raketenangriffen auf Israel kommt; so vom Islamischen Dschihad, dessen Kämpfer Ende Oktober über dreissig Raketen nach Israel abfeuerten, darunter erstmals auch russische Grad-Raketen mit rund vierzig Kilometern Reichweite, die vermutlich aus Libyen stammen. Eines der Geschosse tötete einen israelischen Zivilisten in der südlichen Stadt Ashkelon. In der Folge kamen bei israelischen Gegenangriffen mindestens neun Mitglieder des Islamischen Dschihad ums Leben.
«Die Hamas hat kein Interesse an einer Eskalation», sagt der Politikanalyst Usama Antar aus Gaza-Stadt im Gespräch mit der WOZ. Solange der Gazastreifen von Israel bombardiert werde und sich die Hamas selbst den Widerstand auf die Fahnen schreibe, könne sie die Angriffe des Dschihad nicht verhindern. «Das kann sie den Leuten nicht verkaufen.» Die einzige Lösung, sagt Antar, sei ein Waffenstillstand mit Israel, den Ägypten vermitteln könnte. Eskaliert die Situation dennoch weiter, wird eine israelische Grossoffensive folgen. Darunter wird die palästinensische Zivilbevölkerung leiden – was wiederum die Kritik an der Hamas lauter werden liesse.
Für die rund 3,8 Millionen PalästinenserInnen in den von Israel besetzten Gebieten ist die Versöhnung der rivalisierenden Parteien Fatah und Hamas deshalb eine nationale Priorität. Beide Seiten hatten sich im Kairoer Abkommen vom 4. Mai zwar auf die Bildung einer Einheitsregierung sowie auf Neuwahlen für 2012 geeinigt, doch die laufenden Verhandlungen zur Umsetzung dieser Ziele zeigen bisher kaum Erfolge.