Asylhetze: Trockene Zahlen für enge Herzen

Nr. 49 –

Vom Übungsplatz Bettwil im Aargau werden Signale für Aufklärungsdrohnen in den Himmel geschickt. Die Luftwaffe fliegt damit Einsätze für das Grenzwachtkorps. Noch sollen sie nur den Schmuggel verhindern – weltweit aber sind Drohnen eine wichtige Waffe gegen die Migration. Auf diesem Übungsplatz, welche Symbolik, will der Bund mehr als hundert Flüchtlinge unterbringen.

Seit der Ankündigung läuft Bettwil Sturm. Am Samstag brannte ein Höhenfeuer «im Kampf für unsere Sache», Männer drangen in die Militäranlage ein und hissten die Gemeindefahne. Erst seit Rechtsextreme im Internet ihre Unterstützung kundtaten, hat sich der Ton etwas gemässigt.

Bettwil ist kein Einzelfall, eine Hetze geht durchs Land. Auch in Luzern oder Zug wird gegen Flüchtlingsheime opponiert. Die Medien führen das abschätzige «Asylant» in Titeln und warnen vor «kriminellen Nordafrikanern».

Höchste Zeit durchzuatmen. Die Asylsuchenden machen gerade einmal 0,5 Prozent der Schweizer Wohnbevölkerung aus. Wer die Statistik nicht nur mit dem Vormonat vergleicht, kommt 2011 nicht auf einen dramatischen Anstieg: Die Zahl der bis Ende Oktober gestellten Gesuche liegt mit 17 500 im Durchschnitt der letzten 25 Jahre von 21  000 Gesuchen pro Jahr. Beim Ausbruch des Jugoslawienkriegs 1991 oder während des Kosovokriegs 1998 kamen mehr als 40 000 Flüchtlinge. Auch zu Beginn des Irakkriegs 2003 lag die Zahl höher.

Warum also die Probleme bei der Unterbringung? Die Politik von alt Justizminister Christoph Blocher zeitigte fatale Folgen: Im Zuge der Asylverschärfungen von 2006 wurden die Aufnahmeplätze gesamtschweizerisch von 200 000 auf 100 000 reduziert. Aufgrund der Sparmassnahmen schlossen die Kantone Unterkünfte und entliessen Personal. Blocher frisierte auch die Asylstatistik. Gesuche von 8000 irakischen Flüchtlingen, auf den Schweizer Botschaften in Syrien und Ägypten eingereicht, blieben liegen. Letzte Woche erschien ein Zwischenbericht zu diesem Asylskandal. Darin bestätigt der damalige Chef des Bundesamts für Migration, Eduard Gnesa, dass den Gesuchen wegen der Sparmassnahmen eine «niedrige Prioritätsstufe» zukam.

Die Schweiz hat keine Krise mit AsylbewerberInnen. Ihre Asylpolitik der stetigen Verfahrensbeschleunigung ist in der Krise: Mit Arbeitsverboten, Einschränkungen bei Wohnen, Gesundheit, Bildung sowie Zwangsmassnahmen bis zur Fesselung bei Ausschaffungsflügen werden die Asylsuchenden in existenzielle Isolation getrieben. Dabei gibt es auch Profiteure. Wie Recherchen der WOZ zeigen, ist das Asylwesen für die private Dienstleistungsfirma ORS zum Millionengeschäft geworden – unter anderem, indem sie Flüchtlingen eklatant hohe Wohnkosten verrechnet (vgl. Seite 3).

Justizministerin Simonetta Sommaruga will den Kantonen zu Hilfe kommen. Auf dem Berner Jaunpass, auf 1500 Metern Höhe, wurde ein Containerlager eröffnet, die Unterkunft auf dem Militärgelände im Aargau soll folgen: Aus den Augen, aus dem Sinn. Politisch dreht sich die Verschärfungsspirale weiter, die Asylgesetzrevision, die der Ständerat nun diskutiert, will Desertion als Fluchtgrund abschaffen. Die davon besonders betroffenen Eritreer sollen so aus der Statistik fallen, auch wenn der Flüchtlingsbegriff unterminiert wird (vgl. Seite 4).

Als Fernziel schweben Sommaruga Bundeszentren vor, in denen die Gesuche von Anfang bis Schluss behandelt werden. Realistischer wäre zu sagen: Es braucht mindestens 20 000 Plätze, und zwar inmitten der Gesellschaft. Damit könnte eine Diskussion über andere Fiktionen der gegenwärtigen Migrationspolitik beginnen. Denn die Flüchtlinge, die sich während der Revolutionen in Nordafrika auf den Weg machten, zeigen: Politische, ökonomische, klimatische Fluchtgründe lassen sich nicht auseinanderhalten.

Noch eine Zahl gegen die Engherzigkeit der BettwilerInnen, die die Engherzigkeit der offiziellen Schweizer Politik ist: Gemäss Europarat haben dieses Jahr 1971 Menschen ihr Leben auf der Flucht übers Mittelmeer verloren.