Indien: Die Diener der «ausländischen Kräfte»

Nr. 11 –

Die indische Regierung setzt auf Atomkraft und Biotechnologie –
und drängt atomkritische Nichtregierungsorganisationen in die Ecke.
Doch die wehren sich, unterstützt von der katholischen Kirche.

Diese Aussage wird Manmohan Singh noch lange verfolgen. «Das Atomenergieprogramm ist in Schwierigkeiten geraten, weil diese NGOs einfach nicht einsehen wollen, dass unser Land den wachsenden Energiebedarf decken muss», sagte der sonst so sanfte indische Ministerpräsident Ende Februar in einem Interview mit der US-amerikanischen Zeitschrift «Science». Die meisten dieser NGOs, so fügte Singh hinzu, seien in den USA und Skandinavien beheimatet.

Seit langem schon setzt die Kongresspartei, die führende Kraft der Regierungskoalition UPA, auf den Ausbau der Atomkraft und der Biotechnologie. Sie will endlich die Vereinbarungen mit Russland, den USA und Frankreich umsetzen und dem Atomenergieabkommen Geltung verschaffen, das die indische Regierung im Oktober 2008 – trotz grossen Widerstands der Bevölkerung – unterzeichnet hatte.

Besonders stört sie dabei, dass seit zwanzig Jahren der Bau von zwei 1000-Megawatt-Atomreaktoren bei Kudankulam im südostindischen Bundesstaat Tamil-Nadu nicht vorankommt: Dort halten noch immer die Proteste gegen das mit Russland vereinbarte Projekt an.

Die Kongresspartei verliert an Boden

Im Anschluss an Singhs Worte liess die Regierung zudem die Bankkonten von vier NGOs einfrieren und weitere unter Beobachtung stellen – mit der Begründung, dass sie die Gelder für den Kampf gegen das Kudankulam-Projekt verwenden würden. Allerdings bestehen zwei der Organisationen schon seit siebzig Jahren und gehören der katholischen Kirche, die in Indien teilweise befreiungstheologisch orientiert ist. Kein Wunder, verurteilten daraufhin mehrere Bischöfe die Kongresspartei. «Wir sind nicht gegen AKWs, aber wenn unsere Leute uns um Hilfe bitten, sind wir für sie da», sagte Erzbischof A. M. Chinnapa, Vorsitzender des südindischen Bischofsrats. Seit Indiens Unabhängigkeit 1947 steht die katholische Kirche der Kongresspartei nahe. Doch durch deren Skandale und Korruption in den letzten Jahren mehrten sich innerhalb der Kirche die Zweifel an diesem Bündnis. Dass viele InderInnen die Kongresspartei zunehmend ablehnen, zeigten in den letzten Wochen die Wahlen in fünf Bundesstaaten, die für die Regierungspartei in einem Fiasko endeten. Im vornehmlich katholischen Goa verlor Singhs Partei sogar Stimmen an die ultrahinduistische Volkspartei BJP.

Unterstützung aus dem ganzen Land

Unterstützung erhalten die atomkritischen NGOs mittlerweile von JuristInnen, JournalistInnen und AktivistInnen, zu denen auch der frühere Richter des Obersten Gerichtshofs, V. R. Krishna Iyer, gehört. Sie trafen sich vergangene Woche in Delhi und schrieben Manmohan Singh einen Brief: «Nicht wir sind es, die mit ausländischen Kräften zusammenarbeiten», heisst es in dem Schreiben, «es sind Sie und Ihre Regierung, die – unterstützt von indischen und ausländischen Unternehmen – die indische Landwirtschaft, die Anbaumethoden sowie den Energiesektor kommerzialisieren.» Auch andere Bürgerbewegungen wandten sich in einem gemeinsamen Appell an die Regierung. Sie kritisierten «die bösartige Propagandakampagne gegen den Kampf der Bevölkerung von Tamil-Nadu» und plädierten für einen Wechsel hin zu erneuerbaren Energien.

Über Jahre hinweg hatte die Regierung gehofft, dass Grossprojekte wie AKWs in ländlichen Regionen auf wenig Widerstand stossen würden – zumal die Menschen dort mit dem Kampf ums Überleben beschäftigt sind. Seit der Katastrophe von Fukushima ist das jedoch anders. Und so «versucht die Regierung uns entlang von Kasten und religiösen Unterschieden auseinanderzudividieren und die Bevölkerung mit falschen Beschuldigungen über ausländische Finanzierung zu verwirren», sagt S. P. Udaykumar, Sprecher der Bewegung gegen Atomkraft. Auf einem grossen Treffen von verschiedenen Anti-Atomkraft-Organisationen Ende Februar in Delhi wurden die nächsten Schritte beschlossen. An diesem Wochenende besuchen AtomkraftgegnerInnen aus ganz Indien Kudankulam, um den dort kämpfenden Menschen ihre Solidarität zu zeigen.