Medientagebuch: Eine Limonade für Pereira

Nr. 13 –

Kaspar Surber über Kulturjournalismus und Antonio Tabucchi

In seiner Berufsberatung unter dem Titel «Wer will unter die Journalisten?» beschreibt Niklaus Meienberg 1972 einen jungen Mann, der auf die Redaktion kommt. Spontan ist er und mutig, das Geld interessiert ihn nicht, nur das Schreiben. Bald stutzt ihn die Chefredaktion zurecht, er wird vom Kommentator zum Reporter zum Feuilletonisten. Hier geniesst er die Freiheit: «Er blüht auf. Er wird gedruckt. Meeresstille und glückliche Fahrt.» Bis ihm dämmert, woher die Zustimmung rührt: «Die oppositionellen Energien, die im Wirtschafts- oder politischen Teil nicht ausgetobt werden können, dürfen gefahrlos im Feuilleton verpuffen.»

Ganz so harmlos ist die Kulturkritik nun auch wieder nicht: Das zeigen gerade die Berichte über das Buch «Kulturinfarkt». Sie sind um einiges geschickter als der Umgang all der wichtigen PolitjournalistInnen mit SVP-Blödheiten. Dass das Feuilleton, meist im hinteren Teil einer Zeitung angesiedelt, gar der letzte Ort sein kann, an dem Widerstand möglich bleibt, davon handelt der Roman, mit dem der Schriftsteller Antonio Tabucchi berühmt wurde: «Erklärt Pereira», angesiedelt in Portugal während der Salazar-Diktatur.

Pereira, ein in die Jahre gekommener Redaktor, ist bei der regimetreuen Abendzeitung «Lisboa» für den Kulturteil verantwortlich. Meist füllt er ihn mit Gedichten ab, isst in seinem Büro die nächste Omelette oder bestellt sich im Café Orquidea eine kühle Zitronenlimonade. Pereiras Frau ist verstorben, zu Hause hat er schon begonnen, mit ihrem Bild zu sprechen. Als es in der Stadt zu Streiks kommt, nervt sich sein Freund, Pater Antonio, langsam über die Genügsamkeit: «In welcher Welt lebst du denn, der du in einer Zeitung arbeitest?», fragt er. « Hör mal, Pereira, informier dich doch ein wenig.»

Pereira lernt den jungen Philosophen Monteiro Rossi und dessen Freundin Marta kennen: Rossi soll für ihn Nachrufe schreiben, doch daraus werden politische Aufrufe. Pereira zögert, sie zu drucken, wenigstens bezahlt er den Philosophen aus der eigenen Tasche. Es wird klar: Rossi und Marta gehören zum antifaschistischen Widerstand. Pereira muss sich entscheiden. Er versteckt Rossi in seiner Wohnung, schon klopfen die Schergen an die Tür. Pereira wird das brutale Verbrechen publik machen, trotz der Zensur.

«Erklärt Pereira» ist, bei aller Dramatik, eine leichte Geschichte. Sie handelt davon, dass man als Journalist auch ein ruhiges Leben führen darf. Aber wenn es Momente gibt, die Mut erfordern, dann soll man ihn haben.

Vielleicht hat sich Autor Tabucchi auch selbst in Pereira gesehen: Der italienische Literaturprofessor, der in Lissabon lebte, kritisierte Premier Silvio Berlusconi unentwegt. Als er in einem Artikel auf dessen Mafiakontakte hinwies, wurde er verklagt. Beim Abgang des Medienherrschers im letzten Herbst setzte Tabucchi seine Hoffnung in die jungen SchriftstellerInnen Italiens. Die seien nicht verblödet von Berlusconis Fernsehen, weil sie es gar nie geschaut hätten. Am vergangenen Sonntag ist Tabucchi im Alter von 69 Jahren in seiner Wahlheimat gestorben.

Falls Sie demnächst nach Lissabon kommen, in diese Stadt am Rand Europas, in der man Zeitungen aus Rio lesen und Musik aus Luanda hören kann, in diese Stadt nach einer bleiernen Diktatur und in einer schweren Wirtschaftskrise, trinken Sie eine Limonade für Pereira und Tabucchi. Eine kühle Zitronenlimonade.

Kaspar Surber ist WOZ-Redaktor.