Bürgermeisterwahl in London: Wie einst gegen Margaret Thatcher?

Nr. 18 –

Die britischen Kommunalwahlen am 3. Mai sind der erste Stimmungstest, seit die Regierung heftig spart. Vor allem in London geht es um viel.

Der Tiefpunkt wurde nach einer Radiodebatte Anfang April erreicht. «Sie sind ein Scheisslügner», schrie Boris Johnson seinen Rivalen im Lift des Studios an. Während eines Streitgesprächs hatte Ken Livingstone dem amtierenden Bürgermeister von London vorgeworfen, Steuern zu hinterziehen. Tagelang beherrschte daraufhin der Steuerstreit den Bürgermeisterwahlkampf. Der Konflikt zwischen den beiden Spitzenkandidaten sei bloss inhaltsloses Spektakel, urteilen viele Medien. Doch es geht um mehr als um ein paar Steuerrechnungen.

Auf der einen Seite steht Boris Johnson, amtierender Bürgermeister seit dem Jahr 2008. Der Konservative mit dem blonden Wuschelkopf hat sich in den vergangenen Jahren vor allem mit kontroversen Äusserungen und verbalen Ausrutschern hervorgetan (wie zuletzt, als er die IrInnen in Britannien pauschal mit der ehemaligen IRA-Partei Sinn Féin gleichsetzte). Seine Auftritte haben Unterhaltungswert, konkret vorweisen kann er allerdings wenig: Er stoppte die Ausweitung der City-Maut, die sein Vorgänger Livingstone durchgesetzt hatte, machte sich für teure, durchgestylte Doppeldeckerbusse stark und führte ein Velomietsystem ein, das jedoch kaum genutzt wird. Opposition gegen das Sparprogramm der konservativ-liberalen Regierung konnten sich die vielen armen Londoner Gemeinden von ihm nicht erhoffen – dafür lobbyierte der erzkonservative Johnson für eine Senkung des Spitzensteuersatzes für grosse Einkommen, die Schatzkanzler George Osborne dann auch prompt umsetzte.

Gegen die Zentralregierung

Und als im letzten Sommer die heftigsten Strassenkrawalle seit einer Generation ausbrachen, klagte Johnson über «zu viele soziologische Erklärungen» und schlug in dieselbe Kerbe wie Premierminister David Cameron: Die Jugendlichen hätten ein falsches «Anspruchsdenken», und es mangle ihnen an Respekt. Ken Livingstone hingegen sah die «riots» differenzierter: Viele Jugendliche fühlten sich von der Politik nicht wahrgenommen, und das Sparprogramm der Regierung verschärfe die soziale Kluft – eine Einschätzung, die mittlerweile eine Studie der London School of Economics und der Zeitung «Guardian» bestätigte. Neben den Spannungen mit der Polizei nannten die befragten Jugendlichen den Mangel an Arbeitsplätzen, die Abschaffung von Studienbeihilfen und ein allgemeines «Gefühl von Ungerechtigkeit» als Gründe für die Krawalle.

Anders als Johnson will Livingstone die krasse Ungleichheit in Europas ungleichster Metropole verringern. Er verspricht, die bescheidenen Kompetenzen des Bürgermeisters zum Wohl der Mehrheit der knapp acht Millionen LondonerInnen einzusetzen – indem er die Billettpreise im öffentlichen Nahverkehr um sieben Prozent senken, Studienbeihilfen für arme SchülerInnen wieder einführen und eine Obergrenze für die exorbitanten Mietpreise setzen will.

Mit solchen Massnahmen könnte Livingstone der Landesregierung das Leben schwer machen. Erfahrung hat er darin. Schon in den achtziger Jahren legte er sich mit der Regierung an, damals jener von Margaret Thatcher. Als Vorsitzender des Greater London Council (GLC) betrieb er eine dezidiert linke Politik: Er senkte die Ticketpreise für U-Bahnen und Busse, lancierte Antirassismuskampagnen, rief London zur atomwaffenfreien Zone aus und initiierte alternative ökonomische Projekte. Damit war er so erfolgreich, dass Thatcher den GLC 1986 gleich ganz abschaffte.

Ein Labour-Rebell

Nach seiner Wahl ins neu geschaffene Bürgermeisteramt im Jahr 2000 (er wurde 2004 wiedergewählt) schlug er sich mit Tony Blairs Labour-Regierung herum. Er widersetzte sich der Teilprivatisierung des U-Bahn-Systems, baute das Busnetz aus, leitete die dringend nötige Modernisierung der U-Bahn in die Wege und finanzierte dies zum Teil mit einer sogenannten Staugebühr für den Privatverkehr im Stadtzentrum. Über viele Jahre verfügte der «rote Ken», lange ein Rebell innerhalb der Labour-Partei, über genügend Einfluss, um eine eigenständige Politik zu verfolgen.

Ein Sieg Livingstones (und ein Erfolg bei den Gemeindewahlen im ganzen Land) wäre für die Labour-Partei und ihren Vorsitzenden Ed Miliband auch deswegen wichtig, weil die letzte Nachwahl überraschend verloren ging: Ende März hatte George Galloway von der linken Respect-Partei in der nordenglischen Stadt Bradford einen vermeintlich sicheren Labour-Sitz gewonnen. Schafft es Labour nicht, die Hauptstadt zurückzuerobern, dürfte Miliband in ernsthafte Schwierigkeiten geraten. Ein linker Bürgermeister in London hingegen könnte den Widerstand gegen das Sparprogramm der Regierung beflügeln.