Ein Megaprojekt für Ostafrika: «Das Erdöl fliesst nun mal nach Norden»
Ein gigantisches Hafenprojekt, lange Ölpipelines: Ostafrika plant den bisher grössten Infrastrukturausbau des Kontinents. Gigantisch sind auch die Hoffnungen in Kenia, Äthiopien und im krisengeschüttelten Südsudan. Was wird die Bevölkerung davon haben?
Jahrzehntelang haben die Staaten Ostafrikas ihre Infrastruktur vernachlässigt. Jetzt ist Bewegung in die Region gekommen. In den Hauptstädten werden moderne Geschäftshäuser hochgezogen, in der Agglomeration Wohnsiedlungen für Wohlhabende erstellt. In Kenia boomt der Strassenbau wie noch nie. Äthiopien staut seine wasserreichen Flüsse, um dem chronischen Strommangel abzuhelfen.
Doch das ehrgeizigste aller Entwicklungsvorhaben hat seinen Ursprung ausgerechnet im unentwickelten Südsudan, der noch kein Jahr lang ein unabhängiger Staat ist. Dort geistert die Idee bereits seit vielen Jahren herum, eine eigene Erdölpipeline in Richtung Süden zur kenianischen Meeresküste zu bauen. Davon hatten SüdsudanesInnen schon gesprochen, als die Anführer der Sudanesischen Volksbefreiungsbewegung (SPLM) noch in zähen Friedensverhandlungen mit dem Regime in Khartum steckten. Sie träumten davon, nicht mehr länger vom Norden abhängig zu sein, von den AraberInnen, wie es im Südsudan heisst, die sie seit Jahrhunderten unterjochten und dem Süden eine Entwicklung vorenthielten. Es war ein Traum. Denn noch war der Bürgerkrieg nicht beendet, waren die wichtigsten Streitigkeiten, die ihn seit zwei Jahrzehnten anheizten, nicht entschieden: wie die Macht zwischen dem Norden und dem Süden geteilt werden und welcher Anteil der Erdöleinnahmen dem Süden zukommen soll.
Ein Traum wird wahr – oder nicht?
Sogar als absehbar wurde, dass der Südsudan bald unabhängig sein würde, wirkte die Idee noch höchst unrealistisch: «Wir müssen gute Beziehungen mit Khartum behalten, trotz der schlimmen Vergangenheit», sagte der südsudanesische Journalist Clement Lomornana im Januar 2010. Es gebe keine Infrastruktur im Südsudan; als unabhängiger Staat müsse er von Grund auf beginnen. «Wir brauchen die Erdöleinnahmen. Woher sonst soll Geld kommen?», dachte Lomornana laut über die Aussichten seiner bald unabhängigen Heimat nach. «Das Erdöl fliesst nun mal nach Norden. Wir können ja nicht einfach die Pipeline zum Roten Meer nach Mombasa am Indischen Ozean umlegen.»
Auch heute erscheint die Idee einer neuen Erdölpipeline kaum weniger fantastisch. Zwar ist der Südsudan seit dem 9. Juli 2011 ein souveräner Staat, die überwältigende Mehrheit der SüdsudanesInnen stimmte beim Referendum dafür. Doch das jüngste und 54. afrikanische Land trägt das schwere Erbe seiner Geschichte von Unterdrückung und Vernachlässigung. Das Gebiet, das grösser ist als die Iberische Halbinsel, gehört zu den am wenigsten entwickelten des Kontinents. Von wirtschaftlicher Entwicklung kann auch jetzt keine Rede sein. Nur die Hauptstadt Dschuba, vor wenigen Jahren noch ein grosses Dorf, verändert sich stark. Ein Regierungsviertel mit Ministerialgebäuden und Residenzen für die neue Elite ist entstanden. Die ersten Asphaltstrassen im Südsudan wurden angelegt, Strassen und Avenuen, die bereits von unzähligen Geländefahrzeugen verstopft sind. Ein ständig wachsendes Handynetz sorgt für immer bessere Kommunikation.
Wer würde angesichts der immensen Entwicklungsbedürfnisse des jungen Staats einer neuen Pipeline Priorität einräumen? Die Pipelines von den südsudanesischen Ölfeldern über Khartum nach Port Sudan am Roten Meer, seit August 1999 in Betrieb, funktionieren bestens. Ebenso der dortige Offshore-Erdölterminal und drei Raffinerien. Wer wäre da schon bereit, mehrere Milliarden Dollar für eine andere Transportroute zu investieren? Und wo sollte diese anzulegen sein?
Das Wo ist einfach geklärt: Die einzige sinnvolle Streckenführung geht durch das Flachland zwischen dem gebirgigen äthiopischen Hochland und den Bergzügen, die sich von Nordostuganda bis zum Mount Kenya erstrecken, am Turkanasee vorbei durch die nordostkenianische Steppe bis zum Indischen Ozean bei Lamu. Das ist eine Distanz von rund 1500 Kilometern.
Tiefseehafen und Retortenstädte
Diese alternative Exportroute für das südsudanesische Erdöl soll nun Realität werden: Am 2. März 2012 legten die Präsidenten Kenias und des Südsudan, Mwai Kibaki und Salva Kiir, zusammen mit dem Regierungschef Äthiopiens, Meles Zenawi, den Grundstein für ein Projekt, das eine Erdölpipeline vom Südsudan zum Indischen Ozean vorsieht. Unter anderem. Ort der Zeremonie: der Archipel Lamu am Indischen Ozean im Nordosten Kenias, hundert Kilometer von der Grenze zu Somalia entfernt. Der umständliche Projektname spiegelt etwas von der Komplexität und dem Umfang des Vorhabens wider: Lamu Port–Southern Sudan–Ethiopia Transport Corridor Project (Lapsset).
Übersichts-Karte zu Lapsset (Lamu Port–Southern Sudan–Ethiopia Transport Corridor Project)
Bei diesem Megaprojekt mit geschätzten Kosten von fast 25 Milliarden US-Dollar geht es in der Tat um sehr viel mehr als nur eine Pipeline. Neben dem Südsudan und Kenia – der stärksten Wirtschaftskraft Ostafrikas – ist mit Äthiopien auch Ostafrikas Bevölkerungsgigant (85 Millionen EinwohnerInnen) mit von der Partie. Das Projekt umfasst neben Erdöl- und Treibstoffpipelines auch Hochleistungsstrassen und Eisenbahnlinien vom Südsudan und von Äthiopien nach Lamu. In dieser historischen, bei TouristInnen beliebten Suaheli-Stadt soll auch eine riesige Hafenanlage entstehen. Und eine Erdölraffinerie. Und ein internationaler Flughafen. Schliesslich sind noch drei Retortenstädte bei Lamu, Isiolo und Turkana vorgesehen.
Ein grösseres Projekt hat es in Afrika südlich der Sahara noch nie gegeben. Es soll für die Binnenländer Südsudan und Äthiopien, aber auch für Nord- und Ostkenia einen zuverlässigen Meereszugang schaffen, wie Cyrus Njiru vom kenianischen Transportministerium im Oktober 2011 ausführte. Dadurch würden der Handel und die wirtschaftliche Integration nicht nur der direkt beteiligten Länder, sondern auch der weiteren regionalen Staaten wie Ruanda und der Demokratischen Republik Kongo gefördert.
Visualisierungen einer schönen neuen Welt
Die Pipelines, die Transportkorridore, der Lamu-Tiefseehafen und all die weiteren Infrastrukturvorhaben – sie sind bislang noch nicht viel mehr als bunte Projektbeschriebe auf Papier und in digitalen Dateien. Das Megaprojekt erscheint bei nüchterner Betrachtung noch immer ziemlich unrealistisch. Zu gross scheint die Anzahl der Komponenten, zu ambitiös deren Umfang. Doch den InitiantInnen schweben gar noch grössere Visionen vor: Der Südsudan-Lamu-Korridor wird in der Projektdokumentation in eine noch viel längere, «grossäquatoriale Landbrücke» von Lamu am Indischen Ozean bis ins kamerunische Douala am Golf von Guinea eingebettet – eine Distanz von immerhin 4200 Kilometer (vgl. «Verbinden, integrieren und transformieren» im Anschluss an diesen Text).
Der Eindruck, dass der Wunsch Vater der grossen Gedanken ist, wird verstärkt durch futuristische Visualisierungen einer schönen neuen Welt. Da vergnügen sich im Lamu-Kongresszentrum Menschen beim Shoppen und Radfahren, während sich andere in der Isiolo Resort City im Liegestuhl an nie endenden Wasserkaskaden erfreuen. Interessanterweise haben all diese virtuellen Menschen eine weisse Hautfarbe. Die geplante Projektdauer erscheint da schon realistischer: mit dreissig bis vierzig Jahren rechnen die Verantwortlichen.
Mit keinem Wort wird hingegen auf die Auswirkungen des Projekts auf Umwelt und Gesellschaft eingegangen. Isiolo liegt in einer semiariden Region, die in den letzten Jahren mehrmals von Dürren heimgesucht wurde. Der Lamu-Archipel mit seinen idyllischen Mangrovenbuchten und weissen Sandstränden ist von einer noch weitgehend intakten Naturlandschaft umgeben. Die Stadt Lamu und ihre Bevölkerung sind noch heute von der jahrhundertealten, islamischen Suaheli-Kultur geprägt. BewohnerInnen beklagten, sie seien über das Projekt nicht einmal informiert worden. Einige von ihnen verdienen ihren Lebensunterhalt mit traditioneller Kleinfischerei. Gegenüber dem Fotografen Abdallah Bargasch beschwerte sich ein Fischer: «Wie sollen wir hier noch fischen können, wenn Grosstanker ein- und auslaufen?» Kurz darauf beschlagnahmten Behördenvertreter aus Nairobi die Fotodateien. Die kenianische Regierung scheint öffentliche Kritik zu fürchten. Doch dieser Kritik schliessen sich auch lokale PolitikerInnen an. Der Stadtrat Hussein Taiba bekämpft den Lamu-Hafen auf juristischem Weg: «Das Projekt befindet sich in einem Gebiet, in dem viele Fische ihre Laichplätze haben. Das Projekt wird die ganzen Mangrovenbuchten verschmutzen.»
Die erforderlichen Investitionen sind enorm. Wer die veranschlagten 24,5 Milliarden US-Dollar aufbringen wird, ist unklar. Im Projektbeschrieb werden die beteiligten Staaten als Geldgeber genannt. Deren Wirtschaftskraft ist allerdings beschränkt und sicher nicht ausreichend. Die Weltbank würde eine Finanzierungsbeteiligung von relativ strengen Umweltauflagen abhängig machen. Da zieht Kenia es vor, bei weniger kritischen GeldgeberInnen anzuklopfen. So warb Ministerpräsident Raila Odinga am diesjährigen Weltwirtschaftsforum in Davos für das Lamu-Projekt. Präsident Kibaki bat im März China um eine Beteiligung. Der südsudanesische Präsident Kiir tat es ihm bei seinem ersten offiziellen Chinabesuch Ende April gleich. Beijing hat gemäss Kiir eine Beteiligung in Aussicht gestellt und gleichzeitig dem Südsudan ein Darlehen in der Höhe von acht Milliarden US-Dollar zugesagt. Chinesische Unternehmen sollen damit Strassen, Brücken, Mobiltelefonnetze und Wasserkraftwerke bauen und die Landwirtschaft weiterentwickeln.
Projekthype durch den Sudankonflikt
Auch wenn die Finanzierung noch fraglich ist – das Lamu-Projekt hat durch jüngste Entwicklungen stark an Bedeutung gewonnen. Der Konflikt zwischen dem Südsudan und dem Sudan hat sich drastisch verschärft. Eine Alternative für den Erdölexport wird für Dschuba deshalb immer dringlicher. Weil sich die beiden Regierungen über den Preis für die Erdölexporte nicht einigen konnten und Khartums Behörden südsudanesisches Erdöl beschlagnahmten, legte die Regierung in Dschuba im Januar die Erdölförderung komplett still. Der Produktionsstopp hat weitreichende Konsequenzen. Dem Norden entgehen dadurch erhebliche Einnahmen, was den Zorn des sudanesischen Präsidenten Omar al-Baschir auf die Abtrünnigen im Süden zusätzlich schürt. Der international als mutmasslicher Kriegsverbrecher gesuchte al-Baschir hat seither seine militärischen Aggressionen gegen den Südsudan intensiviert (vgl. «Kenia im Krieg. Und ein neuer Krieg im Sudan?» im Anschluss an diesen Text).
Auch China bedauert den Lieferausfall – die Volksrepublik ist Hauptabnehmerin des wegen seiner hohen Qualität begehrten sudanesischen Erdöls und liess offiziell verlauten, dass dies für die betroffenen chinesischen Unternehmen unangenehm sei. Die Stilllegung der Förderanlagen führt auch zu technischen Herausforderungen: Wenn kein Erdöl mehr fliesst, drohen die Pipelines zu verstopfen. Am stärksten jedoch trifft die radikale Massnahme den Südsudan selbst. Sein Bruttoinlandsprodukt wird zu drei Vierteln durch den Erdölexport generiert, der Staatshaushalt sogar zu 98 Prozent. Die totale Produktionsstilllegung zeigt auf, wie feindselig sich die beiden Regierungen gegenüberstehen.
Mehr noch als der sudanesische Konflikt hat die Entdeckung grosser Erdölvorkommen in Kenia dem Lamu-Projekt weiteren Auftrieb verliehen. Ende März verkündete die britisch-irische Tullow Oil, sie sei bei Probebohrungen in einer Tiefe von über tausend Metern auf Erdöl gestossen. Die Erdöllagerstätten wurden in der Turkanaregion im Nordwesten Kenias gefunden – genau dort also, wo der Verlauf der Erdölpipeline aus dem Südsudan vorgesehen ist. Der Fund ist der erste seiner Art in Kenia, das sonst über keine nennenswerten Bodenschätze verfügt und seine Devisen hauptsächlich mit dem Export landwirtschaftlicher Güter wie Blumen, Gemüse, Tee und Kaffee sowie mit dem Tourismus einnimmt. Präsident Kibaki nannte die Entdeckung des Erdöls einen Durchbruch für Kenia, auch wenn noch nicht klar ist, ob Menge und Qualität eine kommerzielle Förderung erlauben werden, und obwohl es bis zu einer Produktionsaufnahme erfahrungsgemäss sowieso mindestens drei Jahre dauern würde.
Da würde sich für Kenia ein Blick ins Nachbarland empfehlen. In Uganda wartet man bereits seit sechs Jahren auf die Produktionsaufnahme. Im Jahr 2006 wurde Erdöl entdeckt, doch bis heute fliesst kein Tropfen. Schuld daran ist vor allem der Umstand, dass das Öl bei normaler Temperatur wachsähnlich ist und ein Pipelinetransport über eine grosse Distanz sehr kostspielig wäre. Das ugandische Öl soll deshalb nicht direkt exportiert, sondern nahe den Förderstellen raffiniert werden. Was übrigens der Grund sein dürfte, weshalb Uganda beim Lamu-Projekt nicht mitmacht.
Die Erfahrungen in Uganda sind auch in anderer Hinsicht lehrreich. Zum einen haben die Erdölfelder in der Region des Albertsees, in dessen Mitte die Grenze zur Demokratischen Republik Kongo verläuft, zu Spannungen zwischen den beiden Ländern geführt. Zum anderen nimmt sich Präsident Yoweri Museveni das Recht heraus, alle wichtigen Entscheidungen im Erdölsektor eigenmächtig zu treffen, insbesondere was die Verträge mit den Förderunternehmen betrifft. Das ist der Bereich, in dem beträchtliche Schmiergelder anfallen. Dabei hatte das ugandische Parlament ausdrücklich den Abschluss neuer Verträge untersagt, bis strengere Gesetze verabschiedet sind, die den Erdölsektor regeln.
Vor allem aber sehen sich die meisten UganderInnen schon längst als VerliererInnen im Erdölgeschäft. Viele BäuerInnen müssen um ihr Land und ihre Rechte fürchten, wenn die Ölfirmen auftauchen. Und sie bezweifeln, dass sie für Land, das ihnen weggenommen wird, auch angemessen entschädigt werden.
Ähnliches befürchten kritische BeobachterInnen in Kenia. Der Journalist Reuben Kyama sagt: «Die Bevölkerung der Region Turkana hegt viel zu grosse Erwartungen, dass das Erdöl ihre Lebenssituation bald stark verbessern wird.» Die Region ist sehr abgelegen und trocken, und die BewohnerInnen leben noch in traditioneller Weise als nomadische ViehzüchterInnen. Schon länger komme es zwischen den Turkana und den Pokot, die in der Region heimisch sind, immer wieder zu schweren Streitigkeiten über Landfragen, sagt Kyama in Nairobi. «Die Konflikte könnten zunehmen, wenn es nicht nur um Weiderechte, sondern auch noch um Erdöl geht.» Auch anderswo im Land hätten die Leute übertriebene Hoffnungen, dass ihnen das Erdöl nun Wohlstand bringe.
VertreterInnen der Erdölindustrie selbst scheinen hingegen skeptisch zu sein, dass ihr Engagement den normalen Menschen etwas bringen wird. Temesi Mukami von der National Oil Corporation of Kenya befand: «Die Bevölkerung erwartet zu viel.»
Erdöl – Reichtum und Streitpunkt
Sudans Erdölreserven werden auf 4,2 bis 6,7 Milliarden Fass geschätzt. Drei Viertel davon liegen im Süden, ein Viertel im Norden. Die Regierung in Dschuba erhebt allerdings Anspruch auf die Heglig-Felder, die die Hälfte des Erdöls des Nordens enthalten.
Das Erdöl ist von hoher Qualität (Brent crude), schwefelarm und wachshaltig. Es wird derzeit über Pipelines in den Norden transportiert und in Port Sudan am Roten Meer verschifft. Ein Teil wird in drei Raffinerien verarbeitet.
Der jetzige Südsudan produzierte 2011 maximal 350 000 Fass pro Tag, der Norden 115 000 . Zwei Drittel des Erdöls gingen nach China, ein Viertel in andere asiatische Länder (Malaysia, Japan, Indien, Singapur).
Am 25. Januar 2012 legte Dschuba die gesamte Erdölförderung im Südsudan still. Hauptgrund dafür ist der ungelöste Streit mit dem Nordsudan über Transport-, Raffinerie- und Hafengebühren.
Entwicklungseuphorie und Kriege : Kenia im Krieg. Und ein neuer Krieg im Sudan?
Mit dem publikumswirksam inszenierten Start des Lamu-Projekts wollen die ostafrikanischen Politiker bei der Bevölkerung den Anschein erwecken, eine gloriose Zukunft habe schon begonnen. Gleichzeitig sind Kenia und der Südsudan allerdings in bewaffnete Konflikte verstrickt, deren Folgen nicht absehbar sind.
Kenia führt Krieg – erstmals seit der Unabhängigkeit 1963. Am 15. Oktober 2011 erklärte der kenianische Sicherheitsminister öffentlich, Kenia habe den islamistischen Al-Schabab-Milizen Somalias den Krieg erklärt. Einen Tag zuvor hatten 1600 kenianische Soldaten die Grenze zu Somalia überschritten. Die Armeeführung hoffte, in die Hafenstadt Kismayo vorzustossen und so das wirtschaftliche Zentrum der al-Schabab auszuschalten. Doch der Vorstoss der kriegsunerfahrenen Truppen blieb bald stecken. Inzwischen hat Kenia seine Einheiten auf 4000 Mann aufgestockt und sie den Truppen der Afrikanischen Union in Somalia (Amisom) angegliedert. Amisom konnte al-Schabab aus der somalischen Hauptstadt Mogadischu vertreiben. Das Ziel, die al-Schabab vernichtend zu schlagen, hat sie bis heute nicht erreicht, trotz der Unterstützung durch die äthiopische Armee.
Kenias offizieller Grund für die militärische Intervention in Somalia war die Entführung von TouristInnen aus der Region Lamu, einer betagten Französin und einem britischen Paar, der Ehemann wurde erschossen. Das hatte eine grosse Beunruhigung in Lamu ausgelöst. Die Operation sollte einer Schwächung des wirtschaftlich wichtigen Tourismus entgegenwirken. Ein mindestens so wichtiger Anlass könnte gewesen sein, dass Kenia mit der Militäraktion Terroranschläge der al-Schabab im Grossraum Lamu verhindern und so das Megaprojekt Lamu sichern will. Die Militäraktion hat aber eher das Gegenteil erreicht: Mehrere Bombenattentate wurden seither in der Hauptstadt Nairobi verübt, bei denen zahlreiche Menschen getötet und verletzt wurden. Al-Schabab erklärte, sie habe damit nichts zu tun. Die der al-Kaida zugehörige Organisation hat aber unter den 2,4 Millionen Somalis in Kenia und den 600 000 somalischen Flüchtlingen im Dadaab-Lager nahe der gemeinsamen Grenze zweifellos SympathisantInnen, die bereit sind, solche Anschläge zu verüben.
Der Konflikt zwischen dem Sudan und dem Südsudan ist ebenso bedrohlich. Dabei geht es nicht allein um das Erdöl. Das Friedensabkommen von 2005 hat weitere äusserst heikle Fragen ungelöst gelassen. So den Grenzverlauf in erdölreichen Gebieten, die Staatszugehörigkeit des Gebiets Abyei, den Status und die Bürgerrechte der SüdsudanesInnen im Sudan und umgekehrt den von SudanesInnen im Südsudan. Seit Wochen eskaliert der Konflikt, politisch wie militärisch. Immer wieder kommt es zu Gefechten. Sudans Luftwaffe hat wiederholt Ortschaften und Ölförderanlagen im Südsudan bombardiert, während südsudanesische Truppen die Heglig-Ölfelder eroberten, sich auf internationalen Druck hin allerdings wieder zurückgezogen haben.
Sowohl die Afrikanische Union als auch der Uno-Sicherheitsrat versuchen, die verfeindeten Parteien von einem offenen Krieg abzubringen. Gleichzeitig erhöht das Regime in Khartum den Druck auf die vielen SüdsudanesInnen im Norden: Wer keine gültigen Dokumente hat, soll ausgewiesen werden. Der Südsudan ist daran, in Khartum eine Botschaft aufzubauen und den Landsleuten Pässe zu verschaffen, was angesichts der grossen Zahl von AntragstellerInnen nicht so rasch zu bewerkstelligen ist. Südsudans Präsident Salva Kiir hatte sich weiterhin zu Gesprächen bereit erklärt, sein sudanesischer Amtskollege Omar al-Baschir aber den Dialog verweigert.
Unter Androhung von Sanktionen stellte der Uno-Sicherheitsrat schliesslich beide Staaten vor ein Ultimatum, eine Resolution der Afrikanischen Union umzusetzen. Danach sollten der Sudan und der Südsudan wieder Verhandlungen aufnehmen, Truppen aus dem Nachbarland abziehen und innerhalb dreier Monate einen Friedensplan festlegen. Khartum und Dschuba haben die Resolution angenommen – unter Verweis auf Schwierigkeiten in der Umsetzung aufgrund abweichender Auffassungen des Grenzverlaufs.
Programm für Infrastrukturentwicklung in Afrika : «Verbinden, integrieren und transformieren»
Zahlreiche afrikanische Länder haben in den vergangenen Jahren ein überdurchschnittlich starkes Wirtschaftswachstum verzeichnet, insbesondere die rohstoffreichen Staaten. Wesentlich dazu beigetragen hat die enorm gestiegene Nachfrage nach natürlichen Ressourcen und Land insbesondere von China, aber auch von Indien und weiteren asiatischen Staaten. Seit zwei Jahren ist Afrika zudem auf dem Radarschirm von Finanzinstituten und AnlageberaterInnen aufgetaucht.
Das hat viele afrikanische Regierungen und die Afrikanische Union veranlasst, in grossem Stil Entwicklungsprojekte auszuarbeiten. Den Ambitionen scheinen keine Grenzen gesetzt. Unter dem Motto «Es ist Zeit für Afrika zu handeln» wurde im Juli 2010 das Programm für Infrastrukturentwicklung in Afrika (Pida) lanciert. Es will den Kontinent «verbinden, integrieren und transformieren» – durch die Modernisierung und Schaffung von Dämmen und Wasserkraftwerken, Wasserreservoirs und -leitungen, Stromnetzen, Erdöl- und Gaspipelines, Häfen, Internet-, Strassen-, Eisenbahn- und Flugverbindungen.
Das Lamu-Projekt ist Teil des Pida, genauso wie drei neue Wasserkraftwerke in Äthiopien mit der gigantischen Gesamtleistung von 8500 Megawatt. Anlagen und Projekte mit Sonnenenergie, Windkraft und Erdwärme gehören hingegen nicht zum Pida. Kenia baut zurzeit eine der weltgrössten Windenergieanlagen (300 Megawatt) in der Turkanaregion. Ebenso bestehen Pläne, die Erdwärme im vulkanaktiven Grossen Grabenbruch noch mehr zu nutzen als bisher.
Die bis 2020 geplanten Investitionen durch das Pida werden auf rund 68 Milliarden US-Dollar beziffert. Die Pida-Verantwortlichen rechnen im Subsaharaafrika mit einem anhaltenden Wirtschaftswachstum von sechs Prozent und wollen bis 2040 in allen Ländern ein jährliches Bruttoinlandsprodukt von mindestens 10 000 US-Dollar pro Kopf erreichen – heute beträgt dieser Wert durchschnittlich 1500 US-Dollar.