Initiative «Staatsverträge vors Volk»: Die nächste Sau für den Souverän

Nr. 23 –

Kaum jemand kann im Detail sagen, was in der Initiative «Staatsverträge vors Volk» steht, über die wir am 17. Juni abstimmen. Es reicht eigentlich zu wissen, dass sie aus der Küche der Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (Auns) stammt, um dagegen zu sein; alt Bundesrat Christoph Blocher hat die Auns in den achtziger Jahren als Kampftruppe gegen den Beitritt zur Uno gegründet.

Ausser der SVP, den Schweizer Demokraten und der Partei der Arbeit sind alle Parteien gegen die Vorlage. Übrigens hat die Auns/SVP die Initiative nicht erfunden, sondern bei den Schweizer Demokraten abgekupfert. Vor bald vierzig Jahren hiessen diese noch Nationale Aktion gegen Überfremdung von Volk und Heimat und hatten ein fast identisches Volksbegehren lanciert, das aber 1977 abgelehnt wurde. Es verlangte ebenfalls, dass alle Staatsverträge dem Volk vorgelegt werden müssen. Damals hatte die Bevölkerung tatsächlich weniger zur Schweizer Aussenpolitik zu sagen. Aber das war schon seit der Gründung der Eidgenossenschaft so. Die Bundesverfassung von 1848 wollte eine repräsentative Demokratie und hatte es nicht so mit den Volksrechten. Die BürgerInnen durften gerade einmal den Nationalrat wählen und über die Revision der Bundesverfassung abstimmen. Aber das ist lange her, seither wurden die Volksrechte stark ausgebaut, auch in Bezug auf die Schweizer Aussenpolitik. Alle wichtigen Verträge unterstehen schon seit mehreren Jahren dem obligatorischen respektive dem fakultativen Referendum.

Die letzten umstrittenen Staatsverträge betrafen Schengen/Dublin. Die SVP bekämpfte damals die Abkommen, Teile der Linken waren ebenfalls dagegen, weil die Schengen/Dublin-Abkommen für die Festung Europa stehen und den repressiven Teil der Europäischen Union verkörpern. Die Linke hatte damals Schwierigkeiten, sich mit ihren Argumenten Gehör zu verschaffen, weil SP wie Grüne der EU beitreten und über die unschönen Aspekte lieber schweigen wollten. Die SVP spielte wie üblich die fremdenfeindliche Karte. Hätte aber 2005 – als über die Abkommen abgestimmt wurde – die Auns-Initiative schon gegolten, wäre die Schweiz heute nicht bei Schengen/Dublin dabei, wie Bernhard Ehrenzeller, Professor an der Universität St. Gallen, in einem Gutachten zur Vorlage feststellt. Die Mehrheit der StimmbürgerInnen hatte zwar den Verträgen zugestimmt, doch waren zwölf Kantone dagegen und nur elf dafür. Und das ist das Trickreiche beim obligatorischen Referendum, das die Auns-Initiative verlangt. Es bräuchte nicht nur eine Mehrheit der Stimmenden, es bräuchte auch das Ständemehr, damit künftig ein Staatsvertrag angenommen würde – so bekämen die kleinen, konservativen Kantone in der Aussenpolitik plötzlich ungeheuer viel Macht.

Müsste nun jeder noch so unbedeutende Staatsvertrag vom Volk abgesegnet werden, gäbe es jährlich etwa acht zusätzliche Abstimmungsvorlagen, was über zwanzig Millionen Franken kosten dürfte. Das könnte einem allerdings die demokratische Mitsprache schon wert sein. Für das obligatorische Referendum müssten jedoch keine Unterschriften mehr gesammelt werden. Die Auns/SVP könnte sich also im Schlafwagen von Abstimmung zu Abstimmung kutschieren lassen, gegen fremde Richter, fremdes Recht, fremde Vögte Stimmung machen und die nächste Sau durchs Dorf treiben, wie es ihr gerade in den Sinn kommt.

Bei der Abstimmungsflut liessen sich die wichtigen Vorlagen nicht mehr von den unwichtigen unterscheiden. Wichtig würde, was die SVP mit viel Lärm und Geld unterlegt. Darin hat sie Erfahrung. Gekonnt instrumentalisiert sie mit völkerrechtswidrigen Initiativen das Parlament. Seit Jahrzehnten glauben die Bürgerlichen, wenn man kusche, lasse sich die SVP besänftigen. Sie scheinen nicht zu kapieren, dass sie die Schweinchen sind, die die SVP mit Vergnügen durchs Dorf treibt. Zuverlässig liefern sie den Lärm für den permanenten Wahlkampf der SVP. Man wundert sich, dass sich die Bürgerlichen seit Jahrzehnten diesem erniedrigenden Spiel aussetzen. Sie hätten die Möglichkeit, es zu beenden – mit der völkerrechtskonformen Umsetzung der Ausschaffungsinitiative, in der anstehenden Asyldebatte oder in einer der nächsten Sessionen, wenn es darum geht, die Initiative für Masseneinwanderung für ungültig zu erklären.