Kommentar: Eine harte Probe für die demokratischen Prinzipien Europas

Nr. 31 –

Das Referendum vom letzten Sonntag hat erneut gezeigt, dass Rumäniens Elite die Demokratie und den Rechtsstaat verachtet. Das wird zu einem immer grösseren Problem – gerade auch für die EU, die durch die überstürzte Aufnahme des Landes die Wirren mit verursacht hat.

«Formen ohne Gehalt» – mit diesem Schlagwort kritisierte der Gelehrte Titu Maiorescu vor mehr als hundert Jahren die politisch-kulturelle Elite im jungen rumänischen Königreich, die Werte Westeuropas nur oberflächlich nachahmte. Die Formulierung machte in Rumänien Karriere wie keine zweite. Und ein Ende dieser Karriere ist auch heute nicht abzusehen.

Dass Demokratie und Rechtsstaat in Rumänien Formen ohne Gehalt sind, zeigte sich am vergangenen Sonntag. Die Regierung unter Ministerpräsident Victor Ponta scheiterte beim Versuch, Staatspräsident Traian Basescu durch ein Referendum abzusetzen. Bei der Volksabstimmung ging es nicht, wie suggeriert worden war, um die angeblichen Verfassungsbrüche des Staatspräsidenten; es ging auch nicht um die schwierige soziale Situation, in der sich viele Menschen in Rumänien befinden. Es ging einzig um einen Machtkampf korrupter Parteicliquen, die sich gegenseitig im Weg stehen.

Um das Verfahren zur Amtsenthebung Basescus durchzubringen, erliess die Regierung eine Reihe von Notverordnungen, brach offen Gesetze und ignorierte rechtsstaatliche Regeln und Prozeduren. Erst als die EU-Kommission mit Sanktionen gegen den Mitgliedsstaat drohte, lenkte die Regierung in einigen Punkten ein.

Der Abstimmungskampf hatte mit politischem Wettbewerb nichts mehr zu tun. Er war unwürdig und schmutzig. Wie abgeschmackt auch die Volksabstimmung selbst zuweilen verlief, zeigte etwa Radu Mazare. Der angeblich sozialdemokratische Machobürgermeister der Hafenstadt Constanta erschien vor laufenden Kameras in Guerillamontur zur Abstimmung, im Schlepptau ein Dutzend Fotomodelle in Badeanzügen. In Zuhältermanier hatte er ihnen die Personalausweise abgenommen; vor dem Wahllokal steckte er einigen das Dokument ins Dekolleté und befahl ihnen abzustimmen: «Na los, Mädels! Antreten!»

Dass die Mehrheit der politischen Elite in Rumänien Demokratie nur simuliert und dabei immer wieder unter Beweis stellt, wie sehr sie sie im Grunde verachtet, ist nichts Neues. Die Regierungsmehrheit der Sozialliberalen Union (USL) unter Ponta ist ein Dreiparteienbündnis, in dem Rumäniens mächtigste und korrupteste Seilschaften zusammengeschlossen sind. Doch auch die Liberaldemokraten, die dem Staatspräsidenten nahestehen, sind eine Klientelpartei mit zahlreichen korrupten PolitikerInnen, wenn auch nicht in dem Ausmass wie ihre WidersacherInnen in der USL. Staatspräsident Basescu legt oft ein zweifelhaftes Demokratieverständnis an den Tag und ist nicht der lupenreine Verfechter des Rechtsstaats und des Antikorruptionskampfs, als den er sich gern gibt.

Jenseits der rumänischen Grenzen wird gemeinhin unterschätzt, in welchem Ausmass in Rumänien Seilschaften dominieren, wie tief die Korruption verwurzelt ist und wie viel kriminelle Energie die politische Elite in ihren weit reichenden Netzen entwickelt, wenn es um ihre eigenen Interessen geht. Der Staatsapparat und die Verwaltung strotzen nur so von Funktionen und Strukturen, die keinen Sinn ergeben ausser den, ihrem Personal glänzende Titel zu verleihen und es vor allem ordentlich zu besolden. Parteien sind organisierte, von persönlichen Profitinteressen geleitete Oligarchien. Und die Ministerposten der Exekutive dienen häufig nur dazu, einer bestimmten Klientel möglichst viele Staatsaufträge zuzuschanzen.

Mit dem Beitritt Rumäniens zur EU hat die Elite des Landes sich verpflichtet, die politischen und gesellschaftlichen Werte und Regeln der Union anzuerkennen und umzusetzen – die Regeln von Demokratie und Rechtsstaat. Dass das womöglich nicht so ernst gemeint war, dürften Expertinnen und Entscheidungsträger der EU gewusst haben, als der Beschluss fiel, Rumänien bereits 2007 aufzunehmen und den Beitritt nicht zu verschieben. Warnungen hatte es genug gegeben.

Doch die Entscheidung, Rumänien in den Brüsseler Klub aufzunehmen, war nicht nur eine politische – sie war auch von ökonomischen Interessen der wirtschaftsstarken EU-Staaten geleitet. In den letzten Jahren haben vor allem die alten EU-Länder von der Osterweiterung der Union profitiert, denn ihre Unternehmen und Banken konnten sich in den mittel- und südosteuropäischen Ländern lukrative Märkte erschliessen. Zumindest zum Teil sind die derzeitigen antidemokratischen Wirren in Rumänien nun die Rechnung für das voreilige Geschäft, das Brüssel damals abgeschlossen hat.

Jenseits dessen geht es um etwas viel Wichtigeres: Mehr noch als Ministerpräsident Viktor Orban in Ungarn stellen Rumäniens Machthaber die EU und das demokratische Europa auf eine überaus harte Probe. Wenn die rumänische Elite ungestraft schalten und walten kann, dann besteht die Gefahr, dass Demokratie und Rechtsstaat künftig auch anderswo in der EU mit Füssen getreten werden dürfen. Der Machtkampf der Cliquen in Rumänien ist somit viel mehr als nur ein innenpolitisches Problem irgendeines Landes an der Peripherie Europas.