Jean-Christophe Schwaab: Der Verteidiger der Banker

Nr. 34 –

Die Lieferung von 10 000 Mitarbeiternamen an die USA verunsichert die Schweizer Bankenwelt. SP-Nationalrat Jean-Christophe Schwaab erklärt, warum er sich für die Bankangestellten einsetzt und weshalb er seinen Job beim Gewerkschaftsbund verliert.

Jean-Christophe Schwaab: «Natürlich haben Banker in der Regel bessere Löhne, aber das bedeutet nicht, dass sie keinen Anspruch auf Rechtsschutz haben.»

Er gehört zu den erstaunlichsten Entdeckungen der Schweizer Politlandschaft: Jean-Christophe Schwaab, SP-Nationalrat, kann mit nur 33 Jahren bereits eine beachtliche Karriere vorweisen. Der Familienvater ist Doktor der Rechtswissenschaften, war Unia-Jugendsekretär, Gemeinderat in Bourg-en-Lavaux und Kantonsrat in der Waadt, ehe die SP bei den Wahlen 2011 zwei zusätzliche Sitze gewann und er in den Nationalrat gewählt wurde. In der Gewerkschaftsbewegung gilt Schwaab als Nachwuchshoffnung, auch wenn er Ende des Monats seine Stelle als Zentralsekretär beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund aufgibt.

Im Mai wurde Schwaab zum Präsidenten des Bankenpersonalverbands Westschweiz ernannt und vertritt seither vehement die Interessen der Bankangestellten, die sich im Steuerstreit mit den USA von ihren Arbeitgebern im Stich gelassen fühlen. Der Bundesrat hatte im April die Banken ermächtigt, Bankdaten in die USA zu liefern, um so zu einer Lösung des Konflikts zu kommen. Die angestrebte Globallösung mit den USA ist in weiter Ferne, stattdessen liegen nun rund 10 000 Namen von BankmitarbeiterInnen bei den US-Behörden. Schweizer Bankangestellte sind verunsichert, einzelne haben Klage gegen die Banken und den Bundesrat eingereicht – sie wurde diese Woche abgelehnt. Die Geschäftsprüfungskommission soll die Datenlieferung untersuchen. Und Schwaab verlangte jüngst in einer Interpellation vom Bundesrat, dass dieser jene Bankangestellten unterstützt, «die wegen der Übermittlung ihrer Personendaten in berufliche Schwierigkeiten geraten».

WOZ: Herr Schwaab, Sie sind als junger SP-Nationalrat derzeit der wohl auffälligste Verteidiger der Schweizer Banker.
Jean-Christophe Schwaab: Ja, das bekomme ich oft zu hören.

Überrascht Sie das?
Nein, die Leute haben das nicht erwartet. Aber eigentlich ist es völlig logisch: Banker sind Arbeiter, und die SP verteidigt die Interessen der Arbeiter seit mehr als einem Jahrhundert. Natürlich haben Banker in der Regel bessere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen, aber derzeit befinden sie sich in einer schwierigen Situation und müssen verteidigt werden. Da ist es doch logisch, dass ich mich als Gewerkschafter und Sozialist für sie einsetze.

Dabei hat die SP in der Finanzkrise kaum eine Gelegenheit ausgelassen, um gegen die Banken und die Banker zu wettern.
Es ist nicht das erste Mal, dass die SP eine Branche angreift und gleichzeitig die einfachen Angestellten verteidigt. Wenn die Migros gegen die Interessen der Landwirtschaft handelt, dann richtet sich der Aufruhr auch nicht gegen die Migros-Kassierinnen und -Kassierer, sondern gegen die Leitung der Migros.

Sie vergleichen Banker mit Migros-Kassierinnen?
Ich sehe keinen Grund, warum das bei den Banken anders sein sollte. Verantwortlich für die schlechten oder gar illegalen Strategien der Banken sind die Unternehmensleitungen, nicht die einfachen Angestellten. Warum sollten sie die Zeche zahlen für die Fehler des Managements?

Vertreten Sie denn die einfachen Angestellten? Oder schützen Sie Banker, die durchaus wussten, was sie taten: die aktiv US-amerikanischen Kunden dabei halfen, ihre Gelder in der Schweiz zu verstecken?
Das ist ein Dilemma, das jede Gewerkschaft hat: Früher oder später ist man mit einem Mitglied konfrontiert, das den Anspruch auf Rechtsschutz einlöst, aber eigentlich der Böse in der Geschichte ist. Das ist das Wesen der Gewerkschaft: Man muss den Mitgliedern helfen, wenn sie ein Problem haben – unabhängig davon, ob sie selber Schuld tragen.

Kämpfen Sie manchmal mit diesem Dilemma?
Es gibt vielleicht eine kleine Minderheit unter den Bankern, die aktiv, mit voller Überzeugung und sogar noch in leitender Funktion Beihilfe zur Steuerhinterziehung geleistet hat. Möglich, dass es auch unter unseren Mitgliedern solche Leute gibt – das weiss ich nicht. Aber selbst wenn es sie gibt – das bedeutet nicht, dass sie keinen Anspruch auf Rechtsschutz haben. Ich gehe davon aus, dass es eine kleine Minderheit ist. Sonst würde ich diese Rolle nicht übernehmen.

Der Konflikt entstand, weil der Bundesrat die Banken dazu ermächtigte, Namen von Bankangestellten an die USA zu liefern. Gegen wen richtet sich Ihre Kritik? Gegen den Bundesrat oder gegen die Banken?
In erster Linie gegen die Banken. Sie haben das Arbeitsrecht und den Datenschutz klar missachtet, als sie die Mitarbeiternamen lieferten. Es hätte wahrscheinlich ohnehin keine Möglichkeit gegeben, die Daten zu übermitteln, ohne das Datenschutzgesetz zu verletzen. Aber man hätte zumindest einige krasse Fehler vermeiden können.

Welche?
Zum Beispiel, dass die Leute nicht benachrichtigt wurden. Oder dass die Banken keine Einwilligung von den betroffenen Personen eingeholt haben, obwohl dies das Datenschutzgesetz klar vorschreibt.

Die Banken lieferten die Daten trotzdem in die USA.
Ja. Die Verteidigungslinie der Banken war, dass man mit der Lieferung der Daten im Interesse der betroffenen Mitarbeiter handle …

… eine zynische Argumentation.
Wie soll das denn bitte im Interesse der Mitarbeiter sein? Sie müssten doch bestimmen, was in ihrem Interesse ist. Aber wenn man die Leute nicht fragt, sie nicht informiert, dann kann man anschliessend nicht behaupten, die Datenlieferung sei in ihrem Interesse erfolgt.

Welche Rolle spielt dabei der Bundesrat?
Die Regierung hat gesagt: Liebe Banken, ihr dürft euch im Steuerstreit mit den USA verteidigen, auch wenn das bedeutet, dass ihr Daten schicken müsst. Die einzige Auflage des Bundesrats war, dass Datenschutz und Arbeitsrecht respektiert werden müssen.

Die Auflage klingt vernünftig.
Aber der Bundesrat hätte in diesem Moment wissen müssen, dass der Datentransfer nicht ohne Rechtsbruch möglich ist.

Wusste er das?
Das weiss ich nicht. Vielleicht war der Bundesrat fahrlässig. Er hätte von den Banken jedenfalls Garantien verlangen müssen, dass elementare Rechtsgrundsätze respektiert werden. Ob der Bundesrat das getan hat, wird sich zeigen – etwa in einer Untersuchung der Geschäftsprüfungskommission.

Aber Herr Schwaab, hatte der Bundesrat denn eine Alternative? Im Februar 2009 lieferte er 250 Kundendaten an die US-Behörden – unter Anwendung von Notrecht. Damals wurde der Bundesrat heftig dafür kritisiert. Es hiess, man hätte die Banken das Gesetz brechen lassen sollen. Jetzt, wo der Bundesrat diese Forderung befolgt hat, kritisieren Sie diese Vorgehensweise. Das ist doch ein Widerspruch.
Die Lage heute ist etwas anders als im Februar 2009. Damals beim Fall UBS entschied der Bundesrat per Notrecht. Heute sagt der Bundesrat: Wir haben eine gesetzliche Grundlage für die Datenlieferung. Vielleicht war die Rechtsgrundlage allerdings ungenügend, wie das Bundesamt für Justiz festgehalten hat. Dann wäre nichts anderes möglich gewesen als Notrecht. Aber das will niemand, auf keinen Fall. Notrecht für die Banken – das hatten wir in den letzten Jahren schon genug.

Was hätte der Bundesrat also tun sollen?
Der Bundesrat hätte den Banken für die Herausgabe von Mitarbeiterdaten präzisere Auflagen machen müssen. Er hätte eine Einwilligung der Betroffenen als Bedingung stellen können. Er hätte sichern müssen, dass die Leute wegen des Datentransfers keinen Schaden nehmen. Sie dürfen nicht vergessen, dass der Kündigungsschutz für Leute, die eine widerrechtliche Weisung nicht befolgen, in der Schweiz sehr schlecht ist. Viele Leute, die tatsächlich zur Steuerflucht beigetragen haben, hatten schlicht keine Wahl: Die Alternative wären ein Jobverlust und Marginalisierung innerhalb der Branche gewesen, faktisch sogar ein Berufsverbot.

Ein Berufsverbot?
Ja, wer als Rebell oder als Geheimnisverräter gilt, der hat keine Chance, in der Branche wieder einen Job zu finden. Ich nenne Ihnen ein Beispiel, das nichts mit Beihilfe zur Steuerflucht zu tun hat: Ein Tessiner Whistleblower deckte Missstände in seiner Bank auf und wurde dafür entlassen. Nach vier Jahren gab ihm das Bundesgericht recht, die Kündigung war missbräuchlich. Dennoch hatte diese Person keine andere Wahl, als sich bei der Sozialhilfe zu melden, sie fand keine neue Stelle mehr. In einer Branche, in der Geheimnisverräter keine Anstellung mehr finden, kann man nicht erwarten, dass die Angestellten den Helden spielen.

Ein Whistleblower befindet sich in einer anderen Situation als jemand, der beim Steuerbetrug behilflich war.
Für diejenigen, deren Namen in die USA geliefert wurden, ist die Situation sehr vergleichbar: Sie haben schlechte Chancen, einen neuen Job zu finden. Ich habe gerade von einer Person erfahren, die zu einer anderen Bank wechseln wollte. Der neue Arbeitgeber wollte von der alten Bank die Information, ob die Person von der Datenlieferung betroffen sei. Der alte Arbeitgeber wollte keine schriftliche Bestätigung geben. Resultat: Die Person hat den Job nicht erhalten.

Wenn man sich umhört – auch unter Ihren politischen Gegnern – vernimmt man viel Sympathie für Ihr Engagement. Man schätzt Ihre Dossierkenntnisse und Ihre Sachlichkeit. Kaum jemand sagt etwas Schlechtes über Sie …
… das kommt noch.

Wirklich? Wo liegen denn Ihre Schwächen?
Ich rede zu gerne. Eine Gefahr für meine Karriere könnte sein, dass ich mal ein Tweet zu schnell absetze. Im Ernst: Ich habe noch sehr wenige Erfahrung, das merke ich in der Rechtskommission, in der ich sitze. Da ist ein Professor Jositsch, ein Carlo Sommaruga, eine Susanne Leutenegger-Oberholzer. Aber auch auf der politischen Gegenseite: Um gegen eine Gabi Huber zu reden, muss man mehr als top vorbereitet sein, wenn man glaubwürdig sein will.

Jemand hat Sie als das Gegenteil von Cédric Wermuth bezeichnet …
Ach ja?

Sie arbeiteten sehr viel, seien aber kaum in den Medien.
Ja? Ich habe nicht den Eindruck, dass Cédric wenig arbeitet. Vielleicht ist es einfach eine Seite von ihm, die man weniger wahrnimmt. Ich habe selten so eine medienbegabte Person wie ihn getroffen. Natürlich habe ich weniger die Mediencoups gesucht. Meine Auftritte beschränkten sich auf meine Rolle als Zentralsekretär beim SGB. Und da kam ich vor allem 
in der Westschweiz vor.

Sie gelten als aufstrebendes Gewerkschaftstalent. Sie waren Unia-Jugendsekretär, Zentralsekretär beim SGB – aber Ende des Monats hören Sie auf beim Gewerkschaftsbund. Warum?
Weil das so beschlossen wurde.

Von wem?
Vom SGB. Wir haben die interne Regel, dass Zentralsekretäre als Lobbyisten gelten und deshalb nicht im Parlament sein sollen.

Das gilt aber nicht für alle Gewerkschafter.
Nein, die Spitzen wie Paul Rechsteiner oder Corrado Pardini sitzen im Parlament. Es war abgemacht, dass ich die Arbeit als Zentralsekretär aufgeben würde bei einer Wahl in den Nationalrat.

Ist das nicht eine etwas seltsame Regelung?
Dazu will ich mich nicht äussern …

… Paul Rechsteiner ist doch Präsident des SGB und Ständerat?
Ja, er ist Präsident und nicht Zentralsekretär. Darin liegt der Unterschied.

Und Corrado Pardini? Er ist SP-Nationalrat.
Aber er ist in der Geschäftsleitung der Unia, einem Verband, der dem SGB nur angeschlossen ist.

Und SP-Nationalrat Max Chopard?
Ebenfalls. Das gilt auch für Maria Roth-Bernasconi vom Personalverband des Bunds – sie sind alle in einem Verband. Beim Gewerkschaftsbund selbst sind die Regeln aber anders.

Und das finden Sie gut so?
Wie gesagt: Dazu will ich mich nicht äussern.