Kommentar: Extrem offen, für alle

Nr. 42 –

Um die Schweizer Occupy-Bewegung ist es ruhig geworden. Doch dieses Wochenende finden gleich zwei Anlässe statt.

Occupy St. Gallen ruft zu «Occupy Olma» auf. Ein Zeltlager zwischen Milchkühen und Säulirennen? Nein, die AktivistInnen treffen sich in der Altstadt. «Wir haben nichts gegen die Olma», sagt Ueli Gut von Occupy St. Gallen. «Aber etwas gegen die Art, wie heute ein grosser Teil der Nahrung produziert, gehandelt und am Schluss weggeschmissen wird.» Die Lösung sei eine Reregionalisierung der Landwirtschaft, zum Beispiel mit Urban Gardening oder Gemüseabos. An «Occupy Olma» beteiligen sich die Gewerkschaft Uniterre, das Vertragslandwirtschaftsprojekt Regioterre und die Neue Bauernkoordination Schweiz (NBKS). Diese bäuerliche Basisorganisation fordert kostendeckende Preise und einen geregelten Milchmarkt – aber sie will auch die neue, strengere Tierschutzgesetzgebung rückgängig machen und hat Christoph Blocher für einen Vortrag eingeladen. «Nicht alle in der NBKS sind SVP-nah», betont Ueli Gut. Es sei «Occupy Olma» wichtig, mit verschiedensten LandwirtInnen ins Gespräch zu kommen.

Durchgeknallt ist relativ

In Zürich organisieren Leute aus dem Occupy-Umfeld «danach», das «Symposium für Alternativen zum Wachstumszwang» (www.danach.info). Der ambitionierte Anlass möchte aufzeigen, dass «der Wandel zu einem nachhaltigen Leben möglich ist». Auf dem Podium sitzen etwa Grundeinkommensaktivist Enno Schmidt, die wachstumskritische Ökonomin Irmi Seidl und Christoph Pfluger, Herausgeber der Zeitschrift «Zeitpunkt», die sich mit ähnlichen Themen wie Occupy beschäftigt: Kritik am Finanzsektor, Alternativbewegungen, auch Spiritualität.

Zu den OrganisatorInnen von «danach» gehört Dominic Schriber, der vor einem Jahr als Sprecher von «We are Change» in den Medien war – einer Gruppe, die die Klimaerwärmung leugnet, den Anschlag auf die Twin Towers für eine Verschwörung hält und glaubt, die Welt werde von Geheimgesellschaften gesteuert. Heute habe er nichts mehr mit der Organisation zu tun, sagt Schriber. «We are Change» sei ihm «zu problemorientiert» und präsentiere zu wenig Alternativen und Lösungsvorschläge. Auf der Website von Occupy Zürich ist der Link zu «We are Change» weiterhin präsent.

Was macht Occupy Zürich denn sonst? Sie hätten zum Einjahrjubiläum Flyer verteilt, sagt Aktivist Amadeus Thiemann. Weiterhin gebe es jeden Samstag eine Mahnwache auf dem Paradeplatz «mit fünf bis hundert Leuten». «Occupy muss ein öffentlicher Diskussionsort sein, keine Gruppe, die herausfindet, was die Wahrheit ist», sagt Thiemann. Jeder habe eine eigene Meinung und spreche nur für sich selbst. Aber was tun, wenn jemand unter dem Namen Occupy durchgeknallte Theorien verbreitet? «Ich masse mir nicht an, zu bewerten, was durchgeknallt ist und was nicht. Auch ökonomische Reformen wie die Abschaffung der Zinsen oder die Vollgeldreform werden von manchen Ökonomen als durchgeknallt bezeichnet.»

Eine Geschichte aus Basel wirkt bezeichnend für die Probleme der Schweizer Occupy-Bewegung. Andreas Wyss, ehemaliger Webmaster von Occupy Basel, erzählt: «Als im Herbst das öffentliche Interesse abnahm, begannen einige Leute mit kruden Verschwörungstheorien zu dominieren – es ging um Ausserirdische und so. Sie äusserten sich auch rassistisch und waren teils sehr aggressiv.» Es sei zwar gelungen, diese Leute auszugrenzen, aber vielen habe es die Lust an Occupy verdorben. Die neue Gruppe, die dann entstand, sei ihm zu zahm: «Einmal blockierten wir den Eingang der Kantonalbank. Sie wollten schon nach wenigen Minuten die Leute wieder durchlassen.»

Die Bank als Krake

Andreas Wyss ist bei Basta! (Basels starke Alternative) und beim Verein für Gassenarbeit Schwarzer Peter aktiv. Anders als viele Schweizer Occupy-AktivistInnen wirkt er wie ein Mensch mit einer klaren politischen Haltung. Vielleicht war die Bewegung deshalb nichts für ihn. Die extreme Offenheit für alle Ideen, fast egal, woher sie kommen, hat sich als Bumerang erwiesen.

Und dann ist da noch die Sache mit der Bildsprache. Mehrere Occupy-Zürich-Flyer, gezeichnet von Ueli Gut, sparen nicht mit problematischer Symbolik: die Bank als Krake, der dicke, schiefäugige Spekulant mit Zigarre – bekannt aus antisemitischen Karikaturen der dreissiger Jahre. «Das ist mir nicht bewusst», sagt Gut. «Ich kenne diese historischen Sujets nicht. Auf die Idee mit der Krake bin ich selbst gekommen.»