Gerd Imbsweiler (1941–2013): «Will singen bis ans Ende vom Lied»
Pionier des Kindertheaters, Grandseigneur der freien Szene, Wortspieler mit Sinn für das Absurde: Am 12. Januar starb in Basel der Schauspieler, Theatergründer und Autor Gerd Imbsweiler.
Es gibt Lebensläufe, die kann man auf einen Nenner bringen, ohne ihnen damit allzu viel Gewalt anzutun. Ein Leitstern von der Wiege bis zur Bahre. Selber gefunden – oder von der Nachwelt geprägt. Bei der wundersamen Vielseitigkeit, die Gerd Imbsweilers Leben und Wirken prägte, scheint sich alles gegen ein solches Motto zu sträuben. Und doch gibt es in seinen letzten Notaten, als er durch seine Krankheit bereits zur Bewegungslosigkeit verdammt war, Zeilen, die ins Auge, Hirn und Herz stechen: «möchte unterwegs bleiben / merkt euch das».
Das ist der «Imbs», wie ich ihn kenne. Immer neugierig, nie ganz zufrieden mit dem Erreichten, ein Fernwehsüchtiger auf Entdeckungsreisen ins Unbekannte. Im Spiel auf der Bühne wie im Leben gehörte er zu denen, die sich von sich selbst und ihren MitspielerInnen überraschen lassen wollten. Diese Fähigkeit ist ein Geschenk für jeden Schauspieler – und für sein Publikum.
Mit Sinn fürs Absurde
Während des Zweiten Weltkriegs 1941 im deutschen Offenbach geboren, kommt der junge Bankkaufmann mit 22 Jahren in die Schweiz, lässt sich hier zum Schauspieler ausbilden und gehört in der legendären Ära unter der Intendanz Werner Düggelins während sieben Jahren (1968 bis 1974) zum Ensemble des Theaters Basel. Das hätte ein Schauspielerleben lang so weitergehen können. Gerd Imbsweiler aber gründet 1974 zusammen mit seiner Frau und Schauspielkollegin Ruth Oswalt das erste ganzjährige professionelle Kindertheater der Schweiz, die Basler Spilkischte, die später zum Vorstadttheater Basel mit eigenem Haus und Ensemble wird.
In den 33 Jahren ihrer künstlerischen Leitung (bis 2007) ist das Haus einer der wichtigsten Orte der freien Theaterszene der Schweiz, mit zahlreichen auch internationalen Gastspielen. Gerd Imbsweiler beginnt, selber Stücke zu schreiben, und begründet gemeinsam mit seiner Crew und RegisseurInnen wie Beat Fäh und Antonia Brix einen neuen Typus des Kindertheaters, der dem jungen Publikum auch die grossen existenziellen Themen des Menschseins zutraut: Angst und Mut, Fremdsein und Identität, Liebe und Verlust, Abschied und Tod.
Hinzu kommt eine Spielweise, die sich auch dem Surrealen und Absurden öffnet, ein Zugang, der oft mehr die Erwachsenen verstört als die Kinder. Mit Eugène Ionescos «Die Stühle» wie auch mit den selbst entwickelten Ensemblestücken «Schildkrötenträume» und «Papageienjacke» feiert die Spilkischte Triumphe auf Tourneen und internationalen Festivals. 1987 werden Gerd Imbsweiler und Ruth Oswalt mit dem Basler Kunstpreis geehrt, 1999 mit dem Hans-Reinhart-Ring, der höchsten schweizerischen Auszeichnung für Theaterschaffende.
Unvergesslich bleibt auch das biografisch inspirierte Solostück «Aus der Früherheit». Da ist der ganze Imbsweiler drin, seine Lakonie, seine verspielte Poesie, sein Witz und Schalk, seine Melancholie auch. Und in allem eine kluge Sparsamkeit der Mittel, die tief berührt. In den letzten Jahren war Gerd Imbsweiler auch ein gern gesehener Gastschauspieler an der Münchner Schauburg, wo er unter anderem den Konsul in den «Buddenbrooks» spielte.
Der Weltenerkunder
Wenn der Unterwegsmensch Imbsweiler irgendwo zu Hause war, dann in der Sprache. Auf der Bühne spielend und selber schreibend. Und immer mit den Worten spielend. «Positiefschläge» heisst ein früher Kurzgeschichtenband, den er zusammen mit dem Schlagzeuger Fritz Hauser, einem weiteren Grenzüberschreiter, vertonte. Dass der Sinnenmensch Imbsweiler auch die Augen nicht lassen konnte von den Absurditäten dieser Welt, beweisen zwei schön gestaltete Fotobände, die er vor drei Jahren und jetzt noch kurz vor seinem Tod veröffentlicht hat: «ZISCH» und «augen-blicklich», beide im Imbos-Verlag erschienen. Zum Wortwitz kommt hier der Bildwitz, ebenso träf, ebenso lakonisch und mit einer wunderbaren Fähigkeit zur Fokussierung. Dabei hat es ihm der weltweite Schilderwahnsinn besonders angetan – und so findet er zum wohlbekannten «Ausfahrt freihalten» das unbezahlbar schöne Antwortschild «Freiheit aushalten».
Der stille Geniesser, grossartige Gastgeber und bescheidene Flaneur war auch ein leidenschaftlicher Reisender. Er hat mit seiner Frau die Welt erkundet, vom nördlichen Hammerfest bis ins südlichste Feuerland Argentiniens, vom wilden Osten bis zu den Fidschiinseln. Die Fotobände legen auch davon beredtes Zeugnis ab.
Seine letzte Reise hätte man ihm gerne anders gewünscht. Vor neun Monaten ereilte Gerd Imbsweiler die Diagnose ALS (Amyotrophe Lateralsklerose), eine degenerative Erkrankung des motorischen Nervensystems, die den Körper Schritt für Schritt lahmlegt. Unter dem Titel «Will singen bis ans Ende vom Lied» wollte der Wortmensch aber bis zuletzt ausdrücken und mitteilen, was ihn, der sich nicht mehr selbstständig bewegen konnte, bewegt. Einer seiner letzten Texte lautet: «laternen entdecken die nacht / ein weisser vogel / stirbt / antennen / raunen das geschehen / den sternen zu».
Texte und Informationen zu Gerd Imbsweiler und seinem Werk finden sich auf www.imbos.ch.