Medientagebuch: Neger und Mohren

Nr. 5 –

Toni Keppeler über einen Streit um Worte.

Am Anfang steht eine Provinzposse: Bei einer Schokoladenmesse im schwäbischen Tübingen im vergangenen Dezember bot ein bodenständiger Konditormeister «Mohrenköpfe» an. In der lokalen Tageszeitung hagelte es empörte Leserbriefe gleich im Dutzend, sogar der grüne Oberbürgermeister Boris Palmer wurde angegangen: Wie er denn solch kruden Rassismus in seiner Stadt dulden könne. Palmer blieb gelassen. Er esse seit seiner Kindheit Mohrenköpfe, beschied er. Wie soll man auch sonst sagen zu diesem mit Schokolade überzogenen, zuckersüssen Eiweissschnee mit einer Waffel drunter?

Nur wenige Tage später erzählte Christina Schröder, Deutschlands Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, sie ersetze das böse Wort «Neger» durch ein lieberes, wenn sie ihrer Tochter aus Otfried Preusslers Kinderbuchklassiker «Die kleine Hexe» vorlese. Seither wird in den Feuilletons der deutschen Qualitätspresse («Zeit», «Spiegel», «Süddeutsche Zeitung», «Frankfurter Allgemeine») um «Neger» und «Mohren» gefochten. Daniel Bax, das politisch korrekte Gewissen der linken «tageszeitung», tat den ersten Streich: Die christdemokratische Familienministerin habe den grünen Oberbürgermeister links überholt, schrieb er in einem Kommentar. Die Hatz auf böse Worte in guten Büchern war eröffnet.

FeuilletonistInnen forderten von Preusslers Verlag, der «Neger» müsse aus der nächsten Auflage verschwinden. Man bekniete den sich zunächst sträubenden Autor so lange, bis der zermürbt einer Änderung zustimmte. Triumphierend wurde darauf hingewiesen, dass Pippi Langstrumpfs Vater in neueren Auflagen kein «Negerkönig» mehr sei wie im Originalmanuskript von Astrid Lindgren, sondern ein unbedenklicher «Südseekönig».

Die Verteidiger der «Neger» argumentieren mit Werktreue und schreiben von «Zensur». Oft wird auch der Struwwelpeter ins Feld geführt. Man kennt das Gedicht Heinrich Hoffmanns aus dem Jahr 1845: Da geht ein Mohr spazieren vor dem Tor, und drei böse Buben necken ihn so lange, bis der grosse Nikolas sie in ein Tintenfass tunkt. Dieser Mohr ist weder gut noch böse, sondern einfach nur «kohlpechrabenschwarz». Böse sind diejenigen, die böse über ihn denken. Das Wort «Mohr» hatte schon damals einen rassistischen Beigeschmack. Doch Hoffmann trat mit seinem Kindergedicht dagegen an. Er hat noch um die Bedeutung von Worten gestritten.

Der Olms-Verlag gibt derzeit die «Bibliothek verbrannter Bücher» heraus. Eines der ersten in dieser Reihe erschienenen Werke ist vom französischen Literaturnobelpreisträger André Gide: «Kongo und Tschad», ein Reisebericht aus den zwanziger Jahren, dessen deutsche Ausgabe von 1930 der Verlag nachgedruckt hat. Dort ist ganz selbstverständlich von «Negern» die Rede. Gide hat viel Sympathie für sie und findet sie meist intelligenter als ihre tumben und gewaltbereiten weissen Kolonialherren. So etwas passte nicht zur Rassenideologie der Nazis. Sie haben das Buch verbrannt.

Semiotisch gesehen haben Gide wie Preussler und Lindgren das Wortzeichen «Neger» (französisch «nègre», beides abgeleitet vom lateinischen «niger» = «schwarz») ganz unschuldig in ein freundliches Umfeld gestellt und ihm damit eine positive Bedeutung gegeben. Denn nicht das Wort als solches ist böse. Böse sind diejenigen, die es niederträchtig verwenden. Die Haltung, die hinter solcher Verwendung steckt, muss man bekämpfen, nicht die in ihren Dienst gestellten Worte.

Toni Keppeler ist WOZ-Mitarbeiter in Tübingen und San Salvador und gelernter Semiotiker.