Spanien: Franco will einfach nicht verschwinden
35 Jahre nach seinem Tod lebt der spanische Diktator weiter. Oder zumindest sein Geist. Zu diesem Befund kommt Georg Pichler in einem neuen Buch.
Vor zwei Jahren wurde Spaniens berühmtester Richter, Baltasar Garzón, wegen angeblicher Rechtsbeugung aus dem Amt gejagt. Er hatte die Verbrechen des Franco-Regimes untersuchen wollen. Der Fall erregte weltweit Aufsehen. Warum bloss wird ein Richter seinen Job los, wenn er doch nur seinen Job tut? Das fragten sich viele. Und auch noch dies: Was ist los mit der Demokratie in Spanien?
Wer das verstehen will, ist bei Georg Pichler am richtigen Ort. Pichler ist Professor für deutsche Sprache und Literatur in Madrid und ein ausgewiesener Kenner der spanischen Geschichte. In seinem neuen Buch «Gegenwart der Vergangenheit» beleuchtet er die Kontroverse um Bürgerkrieg und Diktatur und zieht eine beunruhigende Bilanz. Zwar liegen sowohl der blutige Konflikt (1936–1939) als auch die nicht minder brutale Franco-Diktatur (bis 1975) schon Jahrzehnte zurück. Doch der Ungeist dieser Epoche prägt die Tagespolitik noch immer.
30 000 gestohlene Kinder
Einst hochgelobt für den friedlichen Übergang von der Diktatur zur Demokratie, die sogenannte «transición», entpuppt sich der scheinbar problemlose Machtwechsel immer deutlicher als Mythos. Spaniens Gesellschaft bleibt tief gespalten und, anders als in Deutschland, die faschistische Vergangenheit unbewältigt. Wie soll sie auch aufgearbeitet werden, wenn kein einziger Scherge des Franco-Regimes je zur Rechenschaft gezogen wurde? Wenn die zahllosen Todesurteile, die Franco bis zuletzt unterschrieb, nie aufgehoben wurden? Und wenn laut der Schätzung der Memorialbewegung immer noch weit über 100 000 unidentifizierte Tote in Massengräbern liegen?
Sorgfältig und mit Bedacht legt Pichler die Wurzeln der Probleme frei. Er zeigt auf, wie erst heute dank hartnäckiger ForscherInnen das ganze Ausmass des franquistischen Terrors deutlich wird. Der Historiker Francisco Espinosa Maestre spricht von einem Genozid, den die Militärs damals angerichtet haben. Alles, was an Demokratie gemahnte, sollte mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden. Die katholische Kirche gab dazu den Segen, weil ihr die Diktatur die Rückgewinnung verlorener Machtpositionen versprach. Und sie machte aus der Repression noch ein Geschäft: Eine «Kloster- und Klinikmafia» nahm republikanischen Eltern an die 30 000 Kinder weg und verkaufte sie an regimetreue Paare. Das Drama der «niños robados» füllt seit Monaten die Spalten der Zeitungen.
Was die «transición» mit ihrem staatlichen Pakt des Schweigens versäumte, hat die Zivilgesellschaft an die Hand genommen. Bewegungen wie die Asociación para la recuperación de la memoria histórica führen Exhumierungen von Massengräbern durch. Kein Wunder, rühren sie mit ihrer Tätigkeit an eine empfindliche Stelle der spanischen Gesellschaft. Zu viele leben noch, die auf die Straflosigkeit für ihre Untaten gebaut haben und nun befürchten müssen, dass diese doch noch ans Licht kommen.
Entlarvende Interviews
In den Machtzirkeln Spaniens ist der Franquismus nach wie vor präsent. Vor allem in der rechten Volkspartei von Ministerpräsident Mariano Rajoy, die jetzt mit absoluter Mehrheit regiert und auf dem Rücken der Bevölkerung brutale Sparprogramme durchzieht. Das Berufsverbot gegen Garzón verhängten konservative Richter, die im Geiste Francos urteilen. Revisionistische Literatur, die den Caudillo als Retter vor dem Kommunismus preist, überschwemmt den Markt. Pichler interviewt den Journalisten Pio Moa und den Anwalt Jaime Alonso, den Präsidenten der Franco-Stiftung. «Franco ist der beste Politiker, den Spanien in den letzten beiden Jahrhunderten hatte», tönt Moa, der übrigens früher Maoist und ein Linksterrorist war. Und Alonso, der eine rechtsextreme Gewerkschaft präsidiert, hält das Vermächtnis des Diktators für «beeindruckend». Beide Interviews sind in ihrer radikalen Selbstentlarvung so deutlich wie bedrückend.
Georg Pichlers Buch bringt die komplexe Realität Spaniens auf den Begriff. Als zeitgenössischer politischer Reiseführer nach Südwesteuropa ist es unentbehrlich. Und wer noch mehr über das Thema lernen will, kann das auf der nächsten WOZ-Reise nach Spanien vom 1. bis 8. Juni 2013 tun.
Georg Pichler: Gegenwart der Vergangenheit. Die Kontroverse um Bürgerkrieg und Diktatur in Spanien. Rotpunktverlag. Zürich 2013. 330 Seiten. 36 Franken